HANNOVER (dpa-AFX) - Die Digitalisierung der Wirtschaft sorgt für Hoffnung und Angst auf der CeBIT. IT-Schwergewichte versprechen in Hannover das "digitale Wirtschaftswunder", warnen aber zugleich davor, dass deutsche Firmen abgehängt werden könnte. "Wer jetzt nicht die Weichen für die Zukunft stellt, ist schnell vom Markt verschwunden", mahnte der Präsident des Branchenverbands Bitkom, Dieter Kempf, am Sonntag zum Start der weltgrößten IT-Messe. "In der Wirtschaft wird kein Stein auf dem anderen bleiben."
Es gehe darum, ob Deutschland eine Führungsrolle als digitalisierter Industriestandort einnehme oder das Feld agilen Ländern wie Südkorea, China oder die USA überlasse, sagte Microsoft (NASDAQ:MSFT) (FSE:MSF)-Manager Klaus von Rottkay. "Wir können die Erfolgsgeschichte des Wirtschaftsstandorts Deutschland digital fortschreiben, wenn wir jetzt entschlossen die Voraussetzungen für ein digitales Wirtschaftswunder schaffen."
Bundeskanzlerin Angela Merkel warb zum CeBIT-Start für einen engen Schulterschluss mit der aufstrebenden IT-Industrie in China - mahnte zugleich aber auch faire Spielregeln an. "Unternehmen und Investoren haben ein natürliches Interesse daran, dass sie wissen, in welchen Rahmenbedingungen sie arbeiten: Berechenbarkeit, Verlässlichkeit, Gleichbehandlung der verschiedenen Unternehmen in unseren Ländern", sagte die CDU-Politikerin zur Messe-Eröffnung. China ist das diesjährige Partnerland der CeBIT.
China sei bereit, Handelshemmnisse und Hindernisse jedweder Art zu beseitigen, um einen globalen Markt aufzubauen, sagte der chinesische Vize-Ministerpräsident Ma Kai. Er warb zudem für ein internationales Regelwerk für die IT-Sicherheit.
Der Gründer der chinesischen Online-Plattform Alibaba, Jack Ma, nannte die Beständigkeit deutscher Unternehmen wie Mercedes-Benz und Siemens (XETRA:SIEGn) (ETR:SIE) ein Vorbild für die Digitalwirtschaft. Er sei auf der CeBIT, "weil ich dieses fehlende Teil für das Puzzle Internet finden will".
Netzbetreiber wie Deutsche Telekom (XETRA:DTEGn) und Vodafone (FSE:VOD) (ISE:VOD) wollen eine Schlüsselrolle als Dienstleister für die vernetzte Wirtschaft einnehmen. "Wir werden in den nächsten Jahren das industrielle Internet bauen und damit ein Tor für ganz neue Wertschöpfungsketten aufstoßen", sagte Vodafone-Deutschlandchef Jens Schulte-Bockum.
Die Telekom will alle Eckpunkte abdecken: Standards setzen, Plattformen bauen, Daten analysieren, Sicherheit bieten, Konnektivität über die Netze herstellen. So soll es als Plattform für die vernetzte Technik eine "Cloud der Dinge" geben, sagte der Chef der Dienstleistungstochter T-Systems, Reinhard Clemens.
Deutsche Unternehmen seien heute beim Maschinen- und Anlagenbau an vielen Stellen Weltmarktführer, sagte Clemens. Experten warnen aber schon lange, dass diese Position mit der Digitalisierung in Gefahr geraten könnte. Mit der Vernetzung von Maschinen und Geräten werden Dienste auf Grundlage der erhobenen Daten immer wichtiger. Zum Jahr 2020 rechnen Experten mit bis zu 50 Milliarden vernetzten Geräten von Industriemaschinen bis hin zu Zahnbürsten.
Der Analyse großer Datenmengen - "Big Data" - wird Kempf zufolge eine zentrale Rolle zukommen. Davon werde es abhängen, wie der digitale Wandel in der Produktion bewältigt werde, sagte er.
Zum CeBIT-Start hob der Bitkom seine Wachstumsprognosen für das laufende Jahr an. Der Umsatz wird in der Branche demnach um 1,5 Prozent auf 155,5 Milliarden Euro wachsen. Zuvor gingen die Branchenbeobachter von einen Anstieg um 0,6 Prozent aus. "Es ist die Digitalisierung, die den Markt treibt", sagte Kempf. Zugleich stelle sie Unternehmen in Deutschland heute vor ähnlich große Probleme wie der Fachkräftemangel, ergab eine repräsentative Bitkom-Umfrage.
Laut IHK Unternehmensbarometer erwarten in Deutschland derzeit 50 Prozent der industriellen Großunternehmen, aber nur 27 Prozent der mittelständischen Firmen durch Digitalisierung ihrer Prozesse Umsatzzuwächse. "Dieses Deutschland der zwei Geschwindigkeiten können wir uns auf Dauer nicht leisten", sagte Microsoft-Manager Rottkay.
Die CeBIT in Hannover (16. bis 20. März) steht im Zeichen von Digitalisierung und Vernetzung. Die Veranstalter machten die CeBIT, die einst auch viele Privatleute besuchten, zu einer vor allem auf Unternehmen ausgerichteten Messe.