Noch vor ein paar Jahren war es vergleichsweise einfach, den Goldmarkt zu modellieren. Ein solides, simples Zwei-Faktoren-Modell lieferte verlässliche Hinweise auf den „fairen Wert“ des Edelmetalls. Diese beiden Faktoren waren der US-Dollar und die realen Zinssätze – und Gold schien davon beinahe fest im Griff zu sein.
Doch die Märkte haben sich verändert, und das gilt ganz besonders für Gold. Der Dollar als „Gegenspieler“ zum Gold schuf eine klare Korrelation: Ein starker Dollar drückte meist den Goldpreis, und umgekehrt führte ein schwächerer Dollar oft zu steigenden Preisen. Auch die realen Zinssätze spielten eine entscheidende Rolle: War der inflationsbereinigte Zinssatz niedrig oder negativ, schien Gold als zinsloses Investment umso attraktiver. Hohe reale Zinsen jedoch ließen Gold als Wertaufbewahrungsmittel oft schlechter aussehen.
Doch dieses eingespielte Bild ist ins Wanken geraten. Trotz steigender realer Zinssätze und einem starken Dollar in den letzten Jahren ist der Goldpreis auf über 2.700 Dollar pro Unze geklettert – ein Rekordwert, den man so nicht erwartet hätte.
Die Frage lautet also: Was treibt Gold in diesen Tagen? Die klare Antwort bleibt aus, doch es gibt zwei Faktoren, die derzeit besonders ins Auge fallen: erstens die massiven Goldkäufe der Zentralbanken und zweitens eine zunehmende Nachfrage nach Gold als Absicherung in einer unsicheren Welt.
Die Zentralbanken haben laut World Gold Council in den letzten Jahren so viel Gold gekauft wie noch nie: Über 1.000 Tonnen allein in den Jahren 2022 und 2023.
Dieser historische Aufkauf hat den Goldmarkt zweifellos beeinflusst, da die Nachfrage nach dem Edelmetall nachhaltig gestiegen ist. Dabei kommt Golds Rolle als „sicherer Hafen“ immer stärker zum Tragen. In Zeiten geopolitischer und wirtschaftlicher Unsicherheit suchen Investoren nach stabilen Anlagen, und die Liste der Sorgen ist lang: Konflikte im Nahen Osten, der Krieg in der Ukraine, die Spannungen zwischen den USA und China und eine besorgniserregende Schuldenlast in den Vereinigten Staaten.
Diese Entwicklungen zeigen, dass das alte Modell für Gold seine besten Zeiten hinter sich hat. Der Goldmarkt verlangt heute nach neuen Ansätzen, die insbesondere auf Zentralbankkäufe und das sich wandelnde Risikoempfinden an den Weltmärkten achten. Realzinsen und der Dollar behalten ihre Bedeutung, aber der Einfluss dieser klassischen Faktoren ist aktuell begrenzt.
Was bedeutet das für dich als Anleger? Es wird klar, dass der Markt nicht statisch ist – die Faktoren, die den Goldpreis beeinflussen, sind in Bewegung. Die Märkte unterliegen einem ständigen Wandel, und das macht das Investieren in Gold faszinierend und anspruchsvoll zugleich. Das „Physik-Phänomen“ an der Wall Street – der Wunsch, Finanzmärkte präzise zu modellieren wie die Naturwissenschaften – wird wohl auch hier enttäuscht.