FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 19. Mai 2016. Wie sich ein EU-Austritt Großbritanniens auf die Aktienmärkte in Europa auswirken scheint vollkommen offen. Die größten Effekte sehen Händler für Banken, Versicherungen sowie Investment Fonds.
In gut vier Wochen ist es soweit. Am 23. Juni stimmen die Briten darüber ab, ob sie weiterhin Teil der Europäischen Union sein wollen. Aktuellen Umfragen zufolge ist ein Verbleib in der Staatengemeinschaft zwar das wahrscheinlichste Szenario. Dass es allerdings auch anders kommen könnte, spüre man im Handel mit Auslandsaktien. "Derzeit passiert nicht viel, Anleger verhalten sich tendenziell abwartend", berichtet Walter Vorhauser.
Sollte Großbritannien entgegen den Prognosen die EU verlassen, würde dies nach Meinung des Händlers der Oddo Seydler Bank in besonderem Maße die Finanzindustrie durcheinanderwirbeln. "Schweizer Banken wie die UBS (SIX:UBSG) (WKN A12DFH) und Credit Suisse (SIX:CSGN) (WKN 876800) haben beispielsweise über einen bilateralen Vertrag ihres Heimatlandes mit der EU Zugang zum gemeinsamen Währungsraum." Der würde von London aus seine Gültigkeit verlieren.
Umbruch für City of London?
Auch amerikanische Banken säßen häufig mit ihren Europazentralen in der britischen Hauptstadt und müssten zumindest zum Teil ihre Struktur anpassen. Die Auswirkungen dieser Veränderungen werden nach Ansicht von Vorhauser deutliche Spuren hinterlassen. "Immerhin steht die Finanzindustrie für etwa 10 Prozent des britischen Bruttoinlandsproduktes." Im Vergleich dazu mache die Branche in Deutschland lediglich rund 4 Prozent vom BIP aus.
"Die Zukunft von Hedgefonds aus den Staaten aber auch anderen wichtigen Regionen ist ein großes Thema im Zusammenhang mit dem so genannten Brexit, weil für viele Großinvestoren die britische Hauptstadt das Tor zu Europa ist", meint auch Jan Vrbsky von der Baader Bank. Mit einer möglichen Abwanderung von Investment-Aktivitäten institutioneller Anleger verliere London als führender Finanzplatz Europas sicherlich an Kraft. Das könne Arbeitsplätze kosten und über einen längeren Zeitraum zu Einbußen bei britischen Banken führen.
Eindeutig ist die Tendenz bei den Geldhäusern bislang aber nicht. Zwar hat die Barclays-Aktie (WKN 850403) seit Januar in der Heimatwährung mit 25 Prozent deutlich an Federn lassen müssen. Ebenso rutschte die Royal Bank of Scotland (WKN A0RCAE) 20 Prozent in den Keller. Andererseits bewegten sich die Werte von Standard Chartered (LON:STAN) (WKN 859123) und Lloyds (WKN 871784) kaum von der Stelle. "Das kann an der langen Übergangsfrist von zwei Jahren liegen, die nach einem Votum für den Austritt gilt." In dieser Zeit würden die Karten hinsichtlich der künftigen Handelsbeziehungen neu gemischt.
Britisches Pfund signalisiert Unruhe
"Seit Jahresbeginn scheint das Thema jedenfalls zunehmend in den Vordergrund zu rücken", stellt Vrbsky fest und macht die Beobachtung an der Entwicklung des britischen Pfunds gegenüber dem Euro fest. Auf Sterling-Basis hat die Währung seit Januar rund 10 Prozent verloren, in Euro errechnet sich ein Minus von etwa 5 Prozent. Stimmten die Briten für einen EU-Verbleib könnte das für Rückenwind beim britischen Pfund sorgen. Die Aktienmärkte gäben wenig Aufschluss über den Grad der Anlegernervosität. Sowohl DAX als auch FTSE 100 bewegten sich mit Verlusten von rund 10 und 8 Prozent aus Euro-Sicht seit Januar in etwa im Gleichschritt. "Gemessen am Pfund hat der FTSE 100 in dem Zeitraum lediglich 3 Prozent verloren."
Verluste eher kurzfristiger Natur
Analysten sind sich einig: Aktien, die einen Großteil ihrer Umsätze in Großbritannien erzielen sind im Falle eines EU-Austritts des Landes anfälliger für Kursverluste. "Wer im Stoxx Europe 50 engagiert ist muss ebenfalls mit Kursreaktionen rechnen", meint Vorhauser. Der Index setze sich zu einem Drittel aus britischen Großunternehmen wie der HSBC (WKN 923893), Vodafone (LON:VOD) (WKN A1XA83) oder BP (WKN 850517) zusammen, enthalte aber auch viele global aufgestellte Konzerne wie Novartis (WKN 904278) und Nestle (WKN A0Q4DC).
Finanzplatz Frankfurt könnte gewinnen
Falls Finanzdienstleister dem Inselstaat als Folge eines EU-Austritts mit einem Teil ihrer Geschäfte den Rücken zuwenden würden, verlagere sich der Schwerpunkt der betroffenen Aktivitäten auf den Binnenmarkt. In dem Fall kommen für Vorhauser Frankfurt, Dublin oder Paris als zukünftige europäische Dreh- und Angelpunkte in die engere Wahl. Die Mainmetropole sieht der Händler als möglichen Gewinner. "Bislang konzentrieren sich die deutschen Ableger der großen Investment-Banken überwiegend auf den Vertrieb, während die Produktentwicklung in London stattfindet."
von: Iris Merker
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© 19. Mai 2016 - Deutsche Börse AG
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.