Von Geoffrey Smith
Investing.com -- Deutschlands größte Fluggesellschaft gab am Donnerstag denjenigen zu denken, die auf die Wiedereröffnung wetten. Das Unternehmen sah sich gezwungen seinen Ausblick nach unten zu korrigieren. Gleichzeitig legte man größten Wert darauf, dass das Schicksal des gesamten Sektors in den Händen der europäischen Politiker liegt. Denn genau diese sind es, die bisher kläglich daran scheiterten, ein weitreichendes Impfprogramm auf die Beine zu stellen.
Die Deutsche Lufthansa (DE:LHAG) teilte mit, sie erwarte 2021 zum zweiten Mal in Folge einen operativen Verlust. Allerdings sei dieser deutlich geringer als die 5,5 Milliarden Euro im vergangenen Jahr. Für das erste Quartal rechnet CEO Carsten Spohr mit einem Abfluss von 300 Millionen Euro.
Wie so oft in der Vergangenheit wird die Fluggesellschaft auch in diesem Jahr mehr Flugzeuge haben, als sie benötigt: Im Vergleich zu dem Zeitraum vor der Pandemie werden lediglich 40-50% der Kapazität benötigt. Zuvor war man noch von bis zu 60% ausgegangen. Doch für einen operativen Cashflow muss die Lufthansa mehr als 50% der Kapazität auslasten.
"Unser Geschäft hat sich langsamer erholt, als wir ursprünglich gehofft hatten", sagte Spohr.
Die Fluggesellschaft äußerte sich auch zu den längerfristigen Aussichten, die alles andere als gut sind: Vor der Mitte des Jahrzehnts ist nicht damit zu rechnen, dass das Verkehrsaufkommen das Niveau von vor der Pandemie erreicht. Auch dies ist eine Verschlechterung gegenüber der bisherigen Prognose. Man war eigentlich davon ausgegangen, dass bereits 2024 das Niveau von 2019 wieder erreicht wird. Das führt zwangsläufig dazu, dass man sich von älteren Flugzeugen trennt.
Hinzu kam der Rekord-Nettoverlust von 6,7 Milliarden Euro (8,0 Milliarden Dollar), den der Markt bereits eingepreist hatte. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass die Lufthansa-Aktie um weitere 1,4% fiel.
Auffallend war, dass ganz oben in der Pressemitteilung der Lufthansa ein Appell an die Europäische Union stand, "international anerkannte, digitale Impf- und Testnachweise" zu etablieren. Denn nur so können die Menschen davon überzeugt werden wieder unbesorgt zu reisen, frei von der Angst, sich in einer Flugzeugkabine mit Covid-19 anzustecken.
Derart innovative Konzepte sind es, die "Reiseverbote und Quarantäne ersetzen müssen", sagte Spohr. Das Interessante daran ist, dass der größte Anteilseigner der Lufthansa, die deutsche Regierung selbst, wahrscheinlich das größte Hindernis für die Umsetzung eines solchen Programms ist. Dies demonstrierte sie deutlich auf dem EU-Gipfel der letzten Woche. Sie wehrte sich gegen die Appelle von Ländern wie Griechenland und Spanien, deren Wirtschaft auf den Tourismus angewiesen ist. In Krisenzeiten ist sich jeder selbst der Nächste. Vielleicht zieht es die Bundesregierung vor, dass die Deutschen im eigenen Land Urlaub machen.
Die Europäische Kommission sagte am Montag, sie werde bald mit der Ausarbeitung eines Gesetzes beginnen, das einen EU-weiten "Digital Green Pass" einführt. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sich Madrid oder Athen damit zufriedengeben werden, wenn das System nicht auch auf Großbritannien ausgeweitet wird.
Euronews berichtete am Dienstag, dass das Vorhaben wahrscheinlich mindestens drei Monate technische Arbeit erfordern wird. Hinzu kommen die Bedenken rund um den Datenschutz über Diskriminierung bis hin zur Fälschungssicherheit. Es wäre also nicht verwunderlich, wenn der Sommer beginnt und man keine Lösung für Urlauber und Saisonarbeiter gefunden hat.
An der Stelle muss man sich ernsthaft fragen, ob der Enthusiasmus für europäische Airline-Aktien nicht fehl am Platze ist. Der Stoxx Total (PA:TOTF) Market Airlines Index ist seit dem Durchbruch des Pfizer-BioNTech Impfstoffs um mehr als 60% gestiegen, und sowohl die International Airlines Group (LON:ICAG) als auch Wizz Air (LON:WIZZ) stiegen am Donnerstag erneut, was in Anbetracht der allgemeinen Prognosen für den Sektor geradezu wahnwitzig ist. Interessant ist aber auch, dass die von Investing.com zusammengestellten Daten darauf hindeuten, dass die Aktien immer noch durch niedrige absolute und relative Bewertungen glänzen: Europäische Fluggesellschaften werden im Durchschnitt mit dem 0,22-fachen des Umsatzes gehandelt. Das vergleichbare Verhältnis für US-Fluggesellschaften liegt bei 1.
Dennoch sollte die Warnung der Lufthansa als Erinnerung daran dienen, dass sich der Reisesektor nicht erholen kann, solange das Virus nicht besiegt ist. Und dies gelingt nur, wenn die EU ihre Bilanz bei den Impfungen erheblich verbessert. Die drei Länder mit dem besten Impfergebnis auf dem Kontinent - Großbritannien, Norwegen und Serbien - sind sehr verschieden aufgestellt und haben außer ihrer Nichtmitgliedschaft in der EU wenig gemeinsam.