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Veröffentlicht am 13.01.2012, 19:56
Börsen-Zeitung: Realismus kehrt zurück, Börsenkommentar 'Marktplatz',

von Thorsten Kramer.

Frankfurt (ots) - Mit den Meldungen über die bevorstehende

Herabstufung mehrerer europäischer Länder durch die Ratingagentur

Standard & Poor's ist an Europas Aktienmärkten vor dem Wochenende

endlich wieder mehr Realismus eingezogen. Anlagestrategen hatten

bereits seit Wochen vor neuen Rückschlägen im ersten Quartal des

neuen Jahres gewarnt, schließlich fehlt nach wie vor eine umfassende

Lösung für die Staatsschuldenkrise in Europa; der nach wie vor

ausstehende Forderungsverzicht des Finanzsektors in Griechenland

unterstreicht die Brisanz der Problematik. Doch Europas Aktienmärkte

ließen sich davon lange Zeit kaum beeindrucken. Die Notierungen zogen

vielmehr seit dem Jahreswechsel kräftig an, während der Euro auf das

niedrigste Niveau seit 16 Monaten deutlich unterhalb von 1,27 Dollar

abrutschte und der Bund bei der Auktion von Geldmarktpapieren sogar

erstmals eine negative Rendite erzielte - ehe im Nachmittagshandel am

Freitag eine Korrekturbewegung einsetzte.

Für die unterschiedliche Tendenz der Marktsegmente seit dem

Jahresbeginn gibt es gute Gründe. So profitierten Aktien sicherlich

davon, dass Staatsanleihen im Zuge der Schuldenkrise ihren Status als

sicheres Investment verloren haben. Die Ratingmeldungen vom Freitag

setzen dahinter ein Ausrufezeichen. Hinzu kommt, dass viele

europäische Unternehmen inzwischen die Verschuldung gesenkt haben und

somit finanziell sehr solide aufgestellt sind und die

Dividendenrenditen ihrer Anteile häufig deutlich über den Renditen

von Anleihen solider Schuldner wie der Bundesrepublik liegen.

Zudem eröffnen sich den Aktienkäufern auf dem aktuell enorm

niedrigen Bewertungsniveau langfristig hohe Renditechancen -

vorausgesetzt, es bleiben erneute, stark belastende Hiobsbotschaften

aus. Hinzu kommt, dass Aktien einen Sachwert darstellen und sie in

Zeiten steigender Inflation eine recht gute Absicherung versprechen,

wie die Historie zeigt; einen kräftigen Anstieg der Teuerung in den

folgenden Jahren halten viele Beobachter weiterhin für möglich.

Dies alles reicht allerdings nicht, um die zurzeit hohen Risiken

einfach auszublenden. Schließlich steht die Eurozone nun am Rande der

Rezession, und selbst das Auseinanderbrechen der Eurozone ist immer

noch denkbar. Es spricht deshalb einiges dafür, dass die Kursverluste

vom Freitag lediglich der Auftakt einer mittelfristig anhaltenden

Abwärtsbewegung gewesen sind. Investoren haben zwar bereits viel

Negatives eingepreist, nun stellen sich allerdings neue Fragen wie

etwa die, inwieweit der Rettungsschirm EFSF von einer Ratingkürzung

betroffen ist.

Hinzu kommt, dass der viel beachtete Sentimentindikator der

American Association of Individual Investors (AAII) inzwischen ein

Niveau erklommen hat, auf dem in der Vergangenheit in der Regel eine

Korrekturphase einsetzte. Ein ähnlich ausgeprägter Optimismus der

Investoren zeigte sich beispielsweise zu Beginn des Jahres 2010 sowie

im November desselben Jahres. In beiden Fällen schloss sich daran

eine mehrwöchige Korrekturphase an, die auch den europäischen

Aktienmarkt erfasste. Der EuroStoxx50 verlor damals im Januar rund 7%

und im November knapp 4,5%.

Anleger, die sich defensiv positioniert und ausreichend

diversifiziert haben, können sich das allerdings ohne übermäßige

Nervosität ansehen, wenn die Prognosen der meisten Banken zutreffen,

die in ihren Basisszenarien von einer Stabilisierung der Konjunktur

schon ab dem Frühjahr sowie einem Fortbestand der Eurozone ausgehen.

Investoren sollten deshalb in den nächsten Wochen den Blick auf die

politische Entwicklung und die Frühindikatoren dies- und jenseits des

Atlantiks richten. Fallen die Daten wie zuletzt sehr häufig besser

als erwartet aus und signalisieren sie dabei eine weitere, wenn auch

moderate Belebung, ist dies voraussichtlich bereits die Basis für

eine stärkere Entwicklung der Aktienmärkte im zweiten Halbjahr. Damit

Anleger darauf vertrauen und sich wieder offensiver an den Börsen

positionieren, muss Europas Politik aber zunächst für mehr Klarheit

sorgen.

Von der Berichtssaison sind für den Gesamtmarkt keine

trendbrechenden Impulse zu erwarten. Sicherheit gibt es immerhin,

dass sowohl Dax als auch EuroStoxx50 bei gleichbleibendem Kursniveau

selbst dann noch als günstig bewertet anzusehen sind, wenn Analysten

die Gewinnprognosen um weitere 20% senken sollten. Dies unterstreicht

die Einschätzung, dass die Indizes auf der Unterseite spätestens auf

Höhe des Buchwertes Unterstützung finden. Im Dax liegt diese

Unterstützung bei etwa 5200 Zählern.

(Börsen-Zeitung, 14.1.2012)

Originaltext: Börsen-Zeitung

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