- von Thorsten Severin
Berlin (Reuters) - Bei der Entscheidung über eine Auslieferung des in Schleswig-Holstein festgenommenen ehemaligen katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont haben die deutschen Behörden nach Einschätzung von Experten nicht viel Spielraum.
"Denn der europäische Haftbefehl zielt darauf, dass er vollstreckt wird, wenn seine Voraussetzungen gegeben sind", sagte der Strafrechtler Martin Heger von der Berliner Humboldt-Universität der Nachrichtenagentur Reuters. Und Regierungssprecher Steffen Seibert verwies in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf, dass Spanien ein Rechtsstaat sei. Alle Augen richten sich nun auf die Justizbehörden in Schleswig-Holstein, wo der 55-Jährige einsitzt.
Vorgeworfen werden Puigdemont Haushaltsveruntreuung und Rebellion. Diese zählen nicht zu sogenannten Katalogstraftaten, bei denen es ausreicht, wenn die Tat im Land des Haftbefehls mit einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren belegt werden kann. Daher muss die deutsche Justiz laut Heger nun schauen, ob es vergleichbare Straftatbestände im deutschen Recht gibt.
Soweit es um die Veruntreuung von Haushaltsmitteln gehe, müsse der europäische Haftbefehl wohl zwingend vollstreckt werden, erläutert Heger. Denn das sei auch in Deutschland strafbar. Schwieriger werde es beim Vorwurf der Rebellion. "Wir haben keinen eigenen Tatbestand der Rebellion", gibt der Strafrechtsprofessor zu bedenken. Daher müsse man prüfen, ob etwa die Norm des Hochverrats als Pendant passe - also "ob sein Verhalten umgestellt auf Deutschland Hochverrat wäre". Allerdings setze Hochverrat in Deutschland gewöhnlich ein gewaltsames Auftreten voraus.
Auch Nikolaos Gazeas, Experte für deutsches und internationales Strafrecht an der Universität Köln, betont: "Delikte sind nur auslieferungsfähig, wenn sie auch bei uns strafbar wären." Dies sei bei Rebellion nicht ohne weiteres der Fall, sagte er im Deutschlandfunk. Für Hochverrat müsse zudem ein gewaltsames Vorgehen vorliegen, das er bei Puigdemont nicht sehe. Dennoch geht der Jurist davon aus, dass Puigdemont ausgeliefert wird, "und zwar wegen der Unterschlagung öffentlicher Gelder".
PRÜFUNG DURCH DIE BRILLE DES DEUTSCHEN RECHTS
Zuständig sind die Richter am Oberlandesgericht in Schleswig. Sie müssen entscheiden, ob Puigdemont in Auslieferungshaft genommen wird. Dabei würden sie den Sachverhalt "durch die Brille des deutschen Rechts betrachten", sagt Gazeas. Die Richter müssen anhand von Unterlagen aus Spanien auch prüfen, ob eine Übergabe an die spanischen Behörden rechtlich zulässig ist. Wenn einer Auslieferung keine Hindernisse im Wege stehen, hat die letzte Entscheidung die Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig.
Die Abwägungen sollen frei von politischen Erwägungen getroffen werden, betont Heger. "Es ist keine politische Entscheidung." Beim europäischen Haftbefehl gehe es nicht zuletzt darum, dass sich die Staaten im "Binnen-Rechtsraum" gegenseitig vertrauten und sich bei der Bekämpfung von Straftaten unterstützten. Das Land, in dem der Gesuchte festgenommen wurde, muss die Person daher eigentlich binnen 60 Tagen nach der Festnahme übergeben. Stimmt die Person ihrer Überstellung zu, muss sogar innerhalb von zehn Tagen darüber entschieden werden.
Allerdings wich die Bundesregierung am Montag Fragen aus, ob es am Ende doch eine politische Entscheidung geben könnte. Die Sprecherin von Justizministerin Katarina Barley verwies auf die Aussage der SPD-Politikerin: "Die ersten Schritte sind jetzt erst mal rein juristische, und die gilt es jetzt erst mal abzuwarten."
DEUTSCHE JUSTIZ KANN SPANISCHEN KOLLEGEN FESSELN ANLEGEN
Von der Entscheidung der deutschen Justiz, warum sie möglicherweise eine Auslieferung für rechtens hält, hängt für Puigdemont und die spanischen Strafverfolger viel ab. Werde er nur wegen Untreue oder einem ähnlichem Straftatbestand ausgeliefert nicht aber wegen Rebellion, dann könne Deutschland darauf bestehen, dass Puigdemont auch nur deswegen in Spanien verurteilt werde, erläutert Heger. Deutschland kann der spanischen Justiz also Fesseln auferlegen, ihn nur wegen bestimmter Straftaten zu verfolgen.
Puigdemont hatte im Oktober die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien ausgerufen und damit gegen die Verfassung verstoßen. Daraufhin leitete die Justiz Ermittlungen gegen ihn und andere führende Separatisten ein. Puigdemont floh nach Belgien ins Exil. Einen zunächst ausgestellten europäischen Haftbefehl zog die spanische Justiz im Dezember wieder zurück. Am Freitag wurde dann ein neuer Haftbefehl erlassen, der nun an einer schleswig-holsteinischen Autobahn vollstreckt wurde.
Puigdemont kann selbst verschiedene Rechtsmittel einlegen. Nicht auszuschließen ist, dass das Bundesverfassungsgericht ins Spiel kommen könnte. Bei einem Prozess in Spanien steht ihm laut Heger der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte offen, wenn er etwa der Meinung sei, dass er zu unrecht angeklagt oder verurteilt sei.