Es kommt immer wieder vor, dass bestimmte Kursbewegungen von Medien und vermeintlichen Experten mit irgendwelchen Fakten begründet werden, die letztlich aber keinen Zusammenhang haben. Ein Beispiel dafür hatten wir am vergangenen Sonntag erst geliefert (siehe „Der wahre Grund für die aktuellen Kurserholungen“). Und es kommt häufig vor, dass eigentlich positive Meldungen sehr negativ dargestellt werden – und umgekehrt. So kam es zu Beginn der vergangenen Woche zu Horrormeldungen über das vermeintlich schwache Wirtschaftswachstum in China. „China-Wachstum auf 25-Jahres-Tief“ lautete da zum Beispiel eine Schlagzeile. Gleichzeitig konnte man woanders „Chinesische Wachstumsdaten stützen Börsen in Asien“ lesen. Beide Meldungen sind nicht falsch, sie klingen aber auf den ersten Blick völlig gegensätzlich.
„China-Wachstum auf 25-Jahres-Tief“
Fakt ist, dass das chinesische BIP im Schlussquartal des vergangenen Jahres mit 6,8% und im gesamten Jahr 2015 um 6,9% gewachsen ist. Letzteres traf exakt die Erwartungen. Allerdings wurde damit tatsächlich das niedrigste Wachstum seit einem Viertel-Jahrhundert ausgewiesen (siehe Chart). Im entsprechenden Vorjahresquartal lag der Zuwachs noch bei 7,3%.
Fakt ist auch, dass der chinesische Dienstleistungssektor zwar erstmals mit 50,5% (Vorjahr: 48,1%) zu mehr als der Hälfte der Wirtschaftsleistung beitrug, was das Statistikamt als Erfolg der Umstrukturierung der chinesischen Wirtschaft wertete, sich dabei jedoch sowohl der Industriesektor als auch der Dienstleistungsbereich weiter abgeschwächt haben. Die landesweite Industrieproduktion ist in der Jahresrechnung nach +6,2% im Vormonat während des Dezembers auf +5,9% zurückgegangen.
Auch die Investitionsaktivitäten haben sich im Berichtsmonat als wenig dynamisch erwiesen und fielen im Jahresvergleich mit nur +6,8% (November: +10,8%) auf ein Rekordtief. Zugleich bleibt das Deflationsrisiko weiter hoch, wie der BIP-Deflator signalisiert, der nach -0,7% im Herbstquartal 2015 auf -0,8% und damit den niedrigsten Stand seit der Weltwirtschaftskrise 2009 gesunken ist. Und neueste Daten zeigten, dass chinesische Banken im Dezember weniger Kredite ausgegeben haben als erwartet und auch weniger als im Monat zuvor.
Wachstumsraten werden weiter sinken
Die jüngsten Konjunkturdaten zeigen also, dass der chinesische Wachstumsmotor weiter ins Stocken gerät. Die Weltbank rechnet 2016 mit 6,7% Wachstum in China. Andere Analysten gehen davon aus, dass sich das Wachstum im weiteren Jahresverlauf auf 6,6% und 2017 auf 6,3% reduzieren wird. Und Chinas Führung selbst strebt mit einem neuen Fünf-Jahres-Plan durchschnittlich 6,5% pro Jahr an. Viele Anleger und Experten zweifeln jedoch die offiziellen Zahlen an und gehen - bei Betrachtung des Frachtvolumens oder des Energieverbrauchs - von lediglich 4% bis 6% Wachstum aus.
Sind die Wachstumszahlen aus China ein plausibler Grund für den Kurssprung?
Somit waren die neusten China-Daten doch eigentlich nicht dazu geeignet, die übergeordneten Wachstumssorgen der Anleger zu entkräften und am Dienstag für einen Kurssprung zu sorgen. Zumal die Daten zum Teil lediglich die Erwartungen trafen bzw. die Zahlen zum Schlussquartal 2015 sogar leicht unter den Expertenschätzungen lagen. Ist das Wirtschaftswachstum in China nun also schwach oder immer noch beeindruckend hoch?
Märkte werten Chinas Wachstumszahlen positiv
Für die Märkte war es angesichts der Kursreaktion offenbar immer noch hoch genug. Denn einerseits hätten die Zahlen schlechter ausfallen können, weshalb etwas Unsicherheit aus dem Markt genommen wurde, was grundsätzlich positiv für die Börsen ist. Andererseits sind Wachstumsraten von 6,9% immer noch sehr ansehnlich. Auf Dauer wären höhere Raten schon allein aufgrund des exponentiellen Wachstums (siehe blaue Linie im Chart) nicht zu halten gewesen. Denn die Wirtschaft in China ist in den vergangenen Jahren rasant gewachsen.
Im Jahr 2000 betrug das BIP in China 8.947 Mrd. Renminbi (Rmb), im Jahr 2004 schon 15.988 Mrd. Rmb. Die Wirtschaft war in 4 Jahren also um +78,7% gewachsen. In den folgenden 4 Jahren stieg das BIP sogar um 15.416 Mrd. Rmb auf 31.404 Mrd. Rmb (4,56 Bio. USD). Das prozentuale Wachstum legte in diesem Zeitraum also noch einmal auf 96,4% zu. Und von 4,56 Bio. USD in 2008 wuchs die Wirtschaft bis Ende 2015 auf 11,38 Bio. USD, ein erneuter Anstieg um rund 150%. Wenn nun also die Wachstumsraten seit 2007 kontinuierlich fallen, ist das nicht dramatisch, sondern eher normal.
Zumal das schwächere Wachstum die Hoffnungen auf weitere konjunkturstützende Maßnahmen Chinas schürte. Experten rechnen nach den aktuellsten BIP-Zahlen damit, dass die Regierung in Peking den Geldhahn weiter aufdrehen wird. Weitere Zinssenkungen seien beschlossene Sache. Wie neue Geldspritzen auf die Märkte wirken können, haben wir in der Vergangenheit oft am Beispiel der EZB erleben dürfen.
Fazit
Die Stimmung war zuletzt extrem schlecht. Das chinesische Wirtschaftswachstum und die sinkenden Ölpreise wurden, obwohl damit auch durchaus positive Aspekte verbunden werden könnten, zuletzt fast nur negativ bewertet. Dies ist oft ein guter Nährboden für eine stärkere Gegenbewegung.
(Quelle: Geldanlage-Brief vom 27.01.2016)
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Geldanlage
Sven Weisenhaus