Ende Juni war es soweit – die ausstehenden Anleihevolumina mit negativer Verzinsung haben gemäß den Daten von Bloomberg und Goldman Sachs (NYSE:GS) Asset Management ein Volumen von 13,1 Billionen US-Dollar erreicht. Damit wurde der Rekord aus 2016 sogar überboten. Es ist eine verkehrte Welt, denn die Anleihegläubiger zahlen den Schuldner sogar einen Zins. Zehnjährige Bundesanleihen notierten vor kurzem auf einem Rekordtief mit einem Minus von 0,409 Prozent. Mit der Nominierung der IWF-Chefin Christine Lagarde für das Amt der EZB-Präsidentin wird sich die Politik des billigen Geldes nicht ändern, sondern wohl unvermindert fortgesetzt. Da Lagarde als Befürworterin von Strafzinsen gilt, könnten auf absehbare Zeit in der Eurozone somit sogar Negativzinsen drohen. Mitunter wäre sogar noch unter Mario Draghi in den nächsten Monaten bis zum September mit einem negativen Leitzins von zum Beispiel -0,10 Prozent zu rechnen.
Niedrig-, Null- und besonders Negativzinspolitik höchst problematisch
Besonders neben der Niedrigzins- und Nullzinspolitik der Zentralbanken gilt die Negativzinspolitik als enorm problematisch. Die im internationalen Kontext so bezeichnete „NIRP“ (Negative Interest Rate Policy) zielt ursprünglich auf ein Ausweiten der Geldmenge und auf noch mehr Kredite an die Realwirtschaft ab, um deflationären Tendenzen zu begegnen. Diese Negativzinspolitik hat direkte Auswirkung auf die Renditen der jeweiligen Staatsanleihen. Deutsche, niederländische und französische Staatsanleihen, aber auch zum Beispiel die von Dänemark, Japan, Schweden und der Schweiz mit einer Laufzeit von 10 Jahren weisen derzeit eine Negativrendite auf. Während man bei der EZB bis dato „nur“ eine negative Einlagefaszilität aufweist, haben die Zentralbanken in Dänemark, Japan, Schweden und der Schweiz bereits länger einen negativen Leitzins. Die Zentralbanken von Dänemark, Japan, Schweden und der Schweiz taten dies, weil sich die vorherigen Stimuli in Form der Nullzinspolitik bereits als relativ wirkungslos herausgestellt hatten.
Lebensversicherer herausgefordert höhere Risiken einzugehen
Für Lebens- und Rentenversicherer ist das Zinsumfeld nicht nur herausfordernd, sondern vielmehr auch riskant, denn die Gesellschaften sind zu einem Teil auch gezwungen höhere Risiken einzugehen und dies zu einem gehörigen Teil auch in der Anlageklasse „Aktien“. Das größte Risiko wäre das aktuell vorherrschende Marktszenario negativer Zinsen in Kombination mit höherer Volatilität an den Aktienmärkten.
Lebensversicherer und Gesetzliche Rentenversicherung in Bedrängnis
Die Niedrig-, Null- und Negativzinsen belasten nicht nur den einzelnen Sparer, sondern auch die Vorsorgesysteme. Es sind nicht nur die Lebensversicherer, die mit diesem enorm herausfordernden Zinsumfeld klarkommen müssen und aufgrund einer recht hohen Anzahl von Altverträgen mit Garantieverzinsungen jenseits der Zwei-, Drei- oder gar Vierprozentmarke schwer in Bedrängnis geraten, sondern auch die gesetzliche Rentenversicherung. Die Gesetzliche Rentenversicherung verlor schon im Jahr 2017 aufgrund der Negativzinsen erstmals rund 49 Millionen Euro und in 2018 waren es gar rund 54 Millionen Euro. Folglich erleiden alle Beteiligten der Gesetzlichen Rentenversicherung Verluste. Verluste aufgrund der Strafzinsen gibt es außerdem beim deutschen Gesundheitsfonds der gesetzlichen Krankenversicherung oder beim Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung.
Kaum Zins und kaum Marge - Begriff des Sparens wird ad absurdum geführt
Im Fall der Banken – zum Beispiel in der Eurozone - ist die Problematik beinahe selbsterklärend. Aufgrund des EZB-Nullzinses ist die Marge im Zinsgeschäft der Banken dementsprechend klein, gering bis gar nicht vorhanden und im Falle der negativen Einlagefaszilität der EZB müssen die Banken auf über Nacht bei der EZB geparkte Reserven einen Strafzins in Höhe von 0,40 Prozent „abdrücken“. In Kombination von erschwerenden Regularien, Lasten aufgrund zu hoher Kosten durch überflüssiges Personal und auch überflüssiger Filialen und einem zusätzlich herausfordernden Umfeld durch die Digitalisierung und der Konkurrenz von Fintechs, wirken eine Reihe von großen Kreditinstituten in der Eurozone gefährlich angeschlagen. Die Negativzinspolitik in Bezug auf den Leitzins würde das ursprüngliche Zins-, Spar- und Kreditgeschäft nicht nur weiter gefährden, sondern das „Sparen“ an sich ad absurdum führen. Die Bankenwelt wird auf den Kopf gestellt und im TV laufen Werbespots für Verbraucherkredite mit Negativkreditzinsen von bis zu 0,40 Prozent. Wer sich verschuldet bekommt künftig also Geld.
Hohe Sicherheit will bezahlt sein – Negativzins mutiert zur Parkgebühr
Auch im Jahr 2019 gilt weiterhin die allgemein bekannte Regel: Je höher der Zins, desto höher das Risiko. Mittlerweile kann man hier noch hinzufügen: Je geringer der Zins, desto geringer das Risiko. Letzteres beschreibt die jüngste Zinsentwicklung bei den zehnjährigen Bundesanleihen. Da diese im internationalen Vergleich an den Anleihemärkten als sicherer Hafen gelten und zudem hochliquide sind, ist es für große Kapitalanlagegesellschaften mit hohen Beträgen auch recht einfach dort Gelder zu parken und bei Bedarf auch wieder abzuziehen. Dafür nimmt man eine sogenannte „Parkgebühr“, den Negativ- oder auch Strafzins, in Kauf.
Die faktische Enteignung des Sparers
Fände der Negativzins für Einlagen der EZB auch bei Privatkunden Anwendung, so würde aus einer Anlagesumme in Höhe von 1.000,00 Euro, die sich vom 01.01.2019 bis zum 31.12.2019 ungenutzt auf dem Girokonto befindet, am Ende des Jahres 996,00 Euro werden (die zusätzliche Geldentwertung aufgrund der Inflation noch gar nicht mit eingerechnet). Je mehr „Nullen“ hier im Spiel sind, um so dringlicher würde sich ein Strategiewechsel hin zu renditebringenden Assetklassen aufdrängen.
Fazit: Wo liegen die Alternativen? Engagements am Aktienmarkt wirken im derzeitigen Zinsumfeld beinahe zwingend. Doch mit einem jetzigen Einstieg mittels Investmentfonds oder passiven Indexinvestments, wie zum Beispiel ETFs auf den DAX wäre man wohl nicht gut beraten, denn Neupositionierungen nahe der Jahreshochs beim DAX oder Rekordhochs der drei US-Leitindizes Dow Jones, NASDAQ100 und S&P500 können empfindliche Einbußen in kurzer Zeit bedeuten. Anleger könnte demnach regelrecht zum Trader oder besser Swing-Trader werden, anstatt in überteuerten Marktsituationen Positionen aufzubauen. Im heutigen Anlageumfeld könnten Ansätze des aktiven „Stock- und Indexpickings“ gefragt sein. Dies wäre auch mittels Differenzkontrakten (CFDs) einwandfrei zu bewerkstelligen, indem man mitunter Schwäche auf Tages- oder sogar Wochenbasis kauft und vice versa übertriebene Stärke auf Tages- oder eben Wochenbasis verkauft.
Eines sollte jedem Sparer, Anleger und Trader klar werden: Wer 1.000 Euro, 10.000 Euro oder mehr einfach nur auf Girokonten unverzinst oder auf Tagesgeldkonten mit Miniverzinsung deutlich unterhalb von einem Prozent per annum parkt, der verbrennt allein aufgrund der jährlichen Inflation real Geld.