Neben einigen stärkeren Kursbewegungen hat sich an der Gesamtsituation in dieser Woche nichts geändert. Die Zinsen in den USA bleiben niedrig, Griechenland ärgert weiterhin die Geldgeber und die EZB kauft weiterhin fleißig Staatsanleihen und hat dafür auch das OK vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) bekommen.
„Graccident“ schon an diesem Wochenende?
Wir brauchen also dringend neue Impulse, damit sich an den Märkten, außer einem teilweise wilden Hin und Her, endlich wieder neue Trends etablieren. Dies könnte zum Beispiel ein „Graccident“ sein, den es Gerüchten zufolge schon an diesem Wochenende geben soll.
Steuereinnahmen Griechenlands eingebrochen
Die Steuereinnahmen Griechenlands sind laut Medienberichten in den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres eingebrochen. Sie blieben den Berichten zufolge rund 1,7 Milliarden Euro hinter den Erwartungen zurück. Grund sei nach Angaben des griechischen Staatsradios, dass sich die Wirtschaft praktisch nicht mehr bewege. Die Mehrwertsteuereinnahmen seien dramatisch gesunken, weil viele Bürger ihre Ausgaben so weit wie möglich einschränkten.
EZB versorgt griechische Banken mit weiteren Milliarden
Indes genehmigte die Europäische Zentralbank die Aufstockung des Notkreditrahmens für die Geschäftsbanken durch die Zentralbank des Landes. Zuvor war aus Bankenkreisen verlautet worden, dass besorgte Griechen aus Angst vor einem „Grexit“ weiter viel Geld von ihren Konten abheben. Laut „Die Welt“ haben die Hellenen, seit sich der Sieg der Regierungspartei Syriza Ende 2014 ankündigte, mehr als 20 Milliarden von ihren Bankguthaben abgehoben. Pro Kopf entspricht das fast 2000 Euro.
Die Vergabe der sogenannten Ela-Kredite ist übrigens kein aktives Verfahren der EZB. Stattdessen gönnt sich die griechische Zentralbank die Kredite selbst. Der EZB-Rat bleibt hier passiv. Er könnte aktiv werden und mit einer Zweidrittelmehrheit die Notkredite stoppen.
Erneut kein Durchbruch im Schuldenstreit
Dies könnte schon sehr bald nötig werden, denn die Gespräche der Euro-Finanzminister über die Griechenlandkrise sind wieder einmal ohne Einigung zu Ende gegangen. Es habe keinen Durchbruch gegeben, teilen Diplomaten mit. Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis habe Ideen vorgestellt und erneut für einen Schuldenschnitt plädiert. Nach dem Treffen gab er an, einen „umfassenden Vorschlag“ vorgestellt zu haben, „um die griechische Krise ein für alle Mal zu beenden“. Kein Land müsse Griechenland weiteres Geld geben, wenn die Euro-Partner seine Vorschläge akzeptieren würden, so Varoufakis.
Solche Aussagen sind natürlich logisch. Wenn einem Insolventen seine Schulden erlassen werden, dann ist klar, dass er kein Geld mehr benötigt, um seine Schulden zu bezahlen. Aber die Euro-Partner haben im Interesse ihrer Bürger und Steuerzahler längst klargemacht, dass es einen erneuten bzw. weitergehenden (!) Verzicht auf Rückzahlung der geliehenen Gelder nicht geben wird. Die geforderten konkreten Reformvorschläge blieb Varoufakis derweil schuldig.
IWF-Chefin Lagarde will Dialog mit „Erwachsenen“
Die griechische Seite habe zu wenige Vorschläge für Maßnahmen auf den Tisch gelegt, die verlässlich und ernsthaft genug seien, sagte auch Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. IWF-Chefin Christine Lagarde fand noch schärfere Worte: „Das Drängendste ist, dass wir einen Dialog mit Erwachsenen im Raum wiederherstellen.“ Diese Wortwahl sollte aufhorchen lassen. Nimmt man die folgenden Informationen hinzu, dann dürfte inzwischen klar sein, dass der Schwarze Peter (siehe unten) recht deutlich der griechischen Regierung zugeordnet werden kann, die offenbar nach wie vor glaubt, ihr Land selbst habe die hohe Verschuldung nicht selbst verursacht und zu verantworten.
Griechenland hat Europas teuerstes Rentensystem
Griechenland hat, gemessen an der Wirtschaftsleistung, den zweithöchsten Anteil an Verteidigungsausgaben in der EU und leistet sich nach den europäischen Vergleichsdaten in Relation zum Volkseinkommen das teuerste Rentensystem. Die Europäische Kommission beziffert den Aufwand für die gesamten Rentenausgaben Griechenlands für das Jahr 2013 auf 16,2 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP), noch deutlich vor dem Zweitplazierten Italien und weit oberhalb von ärmeren osteuropäischen Ländern. Doch während Italien die Probleme der Rentenkosten in den Jahren von 1995 bis 2011 mit mehreren Reformen angepackt und zuletzt mit einem dramatischen Schritt alle Frührenten abgeschafft hat, verweigern die Griechen ausreichende Reformschritte in diesem Bereich. Laut der Frankfurter Allgemeine Zeitung bemängelt zudem der griechische Rentenexperte Platon Tinios, dass die bislang beschlossene Reform der Rentenberechnung extrem langsam ihre Wirkung entfalten und erst 2043 voll wirksam sein werde.
Beim Stellenabbau im öffentlichen Dienst scheint man auch gekungelt zu haben. Von den Haushaltsexperten ist zwar immer wieder von deutlich gesunkenen Personalausgaben im öffentlichen Dienst zu hören, doch gleichzeitig auch von einem kräftigen Anstieg der Rentenausgaben. Wurden hier Bediensteten aus dem öffentlichen Dienst auf die Straße in den Ruhestand geschickt?
Vor diesem Hintergrund liegt die neue griechische Regierung falsch, wenn sie behauptet, weitere Belastungen seien für das Land nicht zumutbar.
Über genaue Inhalte wird nichts bekannt
Aber wie wir schon einmal hier an dieser Stelle schrieben: Um sich eine wirklich fundierte Meinung über die Leistungen oder das Fehlverhalten der Athener Regierung zu bilden, müsste man Details der Schuldengespräche bzw. der Reformlisten kennen, von denen aber bislang kaum etwas bekannt wurde. Dazu schrieben wir vor einer Woche: „So ist es sehr schwer jemandem den schwarzen Peter zuzuschieben. Wer will vor diesem Hintergrund schon beurteilen, ob Griechenland seine Pleite selbst verursacht oder die Blockadepolitik nicht vielmehr von den Euro-Partnern betrieben wird. Und so wird die Ursache eines möglichen Grexidents (oder Graccident – unfallartiges Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro) vielleicht nie bekannt. Ein Armutszeugnis für eine Demokratie!”
Graccident schon an diesem Wochenende?
Jedenfalls ist der nächste Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone zur Schuldenkrise Griechenlands bereits angesetzt. Hoffen wir, dass es dann endlich zu einer Lösung kommt. Die Lösung könnte allerdings auch so aussehen, dass bereits an diesem Wochenende die griechischen Banken geschlossen werden (entsprechende Spekulationen gibt es bereits) und am Montag die weiteren Maßnahmen nach dem dann bereits erfolgten „Graccident“ beschlossen werden.
Wollte die US-Notenbank Fed auch erst die weitere Entwicklung abwarten?
Vielleicht war auch das Schuldendrama ein Grund dafür, dass die Fed ihre erste Zinserhöhung verschoben hat. Denn Yellen warnte nach dem jüngsten Zinsentscheid auch vor den weitreichenden ökonomischen Folgen der Griechenland-Krise, sollten sich Athen und die Geldgeber nicht auf eine Lösung einigen. „Ich sehe das Potential für Störungen, die den Wirtschaftsausblick in Europa und die globalen Finanzmärkte betreffen könnten“, sagte die Fed-Vorsitzende in Washington auf der Pressekonferenz. Obwohl die Vereinigten Staaten nur sehr begrenzt mit der griechischen Wirtschaft verwoben seien, gäbe es laut Yellen „zweifellos“ Ansteckungsgefahren, wenn Griechenland die Eurozone verlasse.
Fazit
Jegliche Kursbewegungen, die wir in dieser Woche gesehen haben, und alle Prognosen, die man daraus ableiten könnte, wären schon wieder Makulatur, wenn sich auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs gravierende Änderungen im Schuldenstreit ergeben würden. Entsprechend muss man derzeit einfach sehr defensiv agieren.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Geldanlage
Sven Weisenhaus
Anmerkung des Autors zu diesem Artikel: Dieser Text wurde übrigens bereits am 21. Juni im kostenlosen Börsennewsletter Geldanlage-Brief veröffentlicht. Dass er bis heute an Aktualität nicht eingebüßt hat zeigt, wie wenig Fortschritte es im Schuldenstreit gegeben hat. In den kommenden Tagen MUSS es eine wie auch immer geartete Lösung geben, denn spätestens am Dienstag muss Griechenland 1,6 Mrd. Euro für den IWF aufbringen. Ohne finanzielle Hilfen wird dies nicht gelingen.