Mitten im erhofften E-Auto-Boom könnte Europa das benötigte Lithium ausgehen. Dabei geht es nicht einmal nur um die Menge des geförderten Rohstoffs. Ein Roland Berger Experte wartet mit einer düsteren Prognose für die Verkehrswende auf.
„Für die angekündigten Gigafabriken reichen die Rohstoffe niemals“. Das ist das nüchterne Fazit des Roland Berger Experten Wolfgang Bernhart im Interview mit dem Manager Magazin (hinter Bezahlschranke).
Nicht alle angekündigten Batteriefabriken werden gebaut
Bernhart bezieht sich auf die angekündigten Batteriefabriken. So sollen in Europa bis 2030 Fabriken mit einer Gesamtleistung von 1300 GWh entstehen. Davon seien viele bereits im Bau. Schlussendlich würden aber nicht alle Fabriken fertiggestellt. Zum Teil fehle es an Kompetenz, zum Teil an Kapital.
Wenn nicht alle Fabriken gebaut werden, könnten die Rohstoffe zumindest für die tatsächlich fertiggestellten Werke doch noch reichen. Bernhart zufolge hat sich die Versorgungssituation bei Lithium etwas entspannt. Grund dafür seien viele neue Projekte im Bereich Förderung und Verarbeitung.
Dennoch bleibe die Versorgung mit Lithium immer noch „kritisch“, da fast alle Projekte mit großen Unsicherheiten behaftet seien. Er verweist auf Junior Explorer, die neu in der Bergbaubranche seien. Zudem würden häufig Erze gefördert, für die es noch gar keine Raffinerieprozesse gebe. Die Versorgung könne klappen, sei aber „auf Kante genäht“.
Anders gesagt: Der Elektroautoboom läuft ein Stück weit ins Blaue hinein und damit Gefahr, mitten im Hochlauf durch Engpässe limitiert zu werden.
Bei Lithium und Nickel kommt es nicht nur auf die Menge an
Dass kritische Rohstoffe wie etwa Lithium oder auch Nickel nicht in ausreichender Menge verfügbar sein können, deutet sich schon länger an. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) etwa schätzt das jährliche Defizit im Jahr 2030 je nach Szenario auf 90.000-300.000 Tonnen. Und zwar selbst dann, wenn „alle aktuell geplanten und im Bau befindlichen Projekte im Zeitplan umgesetzt werden“.
Bernhart verweist darauf, dass es nicht nur auf die Menge ankomme. Rohmaterialien müssten auch in bestimmten Qualitäten verfügbar sein – „und zwar so, dass sie entlang der ganzen Wertschöpfungskette von der Mine bis zur Zelle zusammenpassen“.
Bernhart stellt einen Vergleich mit Rohöl an. So könne die Raffinerie in Leuna nicht jedes beliebige Rohöl vom Weltmarkt verarbeiten. Vielmehr seien die Anlagen auf russisches Öl eingestellt. Genauso sah es auch bei Metallen.
Eine zusätzliche Hürde bei der Rohstoffproduktion seien die ESG Standards. All die technischen und sonstigen Herausforderungen zu tragfähigen Kosten und im Zeitrahmen zu lösen sei schwierig.
Autoindustrie landet oft in Kanada
Bernhart kritisiert auch die Autoindustrie, die erst sehr spät damit begonnen habe, sich Zugriff auf wichtige Rohstoffe zu verschaffen. Volkswagen (ETR:VOWG) – das bis 2030 sechs Gigafabriken errichten will – etwa ist über seine Gesellschaft Power Co. an einer Mine in Kanada beteiligt. Mercedes-Benz (ETR:MBGn) hat ebenda Absichtserklärungen unterzeichnet und eine Beteiligung am französischen Bildnis ACC erworben.
Dass die Autohersteller besonders häufig in Kanada landen, ist kein Zufall. Das Land verfügt über große Vorkommen und gilt als zuverlässiger Partner. Der Rohstoffbezug in Kanada bietet vor allem für den US-Markt große Vorteile, da E-Auto-Subventionen hier an bestimmte Herkunftsländer gebunden sind.
Nicht zuletzt deshalb sind in Kanada zahlreiche Explorationsunternehmen aktiv. Diese versuchen häufig, über den reinen Rohstoffabbau hinaus auch an weiteren Teilen der Wertschöpfungskette beteiligt zu sein.
Dieses Ziel verfolgt etwa Foremost Lithium Resource & Technology Ltd. (CSE: FAT, FSE: F0R0, ISIN: CA3455101012). Das Unternehmen besitzt fünf Lithiumhartgesteinsprojekte in der kanadischen Provinz Manitoba und exploriert diese in einer frühen Phase. Gewonnen werden soll zunächst Lithiumoxid, das anschließend für Elektro- und Batteriehersteller weiterverarbeitet werden soll.
Bernhart zufolge lassen sich in der Automobilbranche drei prinzipielle Strategien für den Zugriff auf Rohstoffe ausmachen: Projektinvestments, Abnahmevereinbarungen und die Auslagerung zu den Zulieferern.
Bei Projektinvestments erwerben Autobauer Anteile an Minenprojekten. Entwickelt sich das Projekt wie erhofft, kann dadurch ein signifikanter Einkaufsvorteil entstehen. Umgekehrt gibt es aber auch eine Menge Risiken. So wird nicht jedes Minenprojekt zwangsläufig auch ein Erfolg.
Mit Abnahmevereinbarungen verpflichten sich Autohersteller, in einigen Jahren bestimmte Mengen von im Bau befindlichen Projekten abzunehmen. Hier werden die Preise typischerweise an einen Index gebunden.