Langjährige Leser dieser Kolumne wissen, dass ich Modellen und Prognosen nicht allzu sehr vertraue. Je komplizierter das Modell und je länger der Prognosezeitraum ist, desto ungenauer werden die Ergebnisse sein. Die Märkte reagieren jedoch auf Prognosen, und deshalb ist es für Händler wichtig zu wissen, welche Erwartungen die verschiedenen Organisationen in Bezug auf das Ölangebot und die -nachfrage formulieren.
Vor kurzem haben die OPEC und die Internationale Energieagentur (IEA) neue Marktprognosen für das 4. Quartal 2022 und 2023 veröffentlicht. Im Folgenden betrachten wir ihre Prognosen für das Wachstum der internationalen Ölnachfrage und erläutern die Bedeutung für den Ölmarkt.
Die Internationale Energieagentur (IEA)
Die IEA hat ihre aktuelle Prognose für das Nachfragewachstum 2022 um 110.000 Barrel pro Tag nach unten korrigiert. Sie geht davon aus, dass das Wachstum der Ölnachfrage im vierten Quartal dieses Jahres im Wesentlichen zum Stillstand kommen wird. Ferner rechnet die in Paris ansässige Agentur weiterhin damit, dass die chinesische Wirtschaft durch die Corona-Lockdowns ausgebremst wird und dass die Konjunkturabschwächung in den OECD-Ländern (insbesondere in Europa) den Ölbedarf negativ beeinträchtigen wird. Diese Prognose wurde weitgehend als Auslöser für den Rückgang der Ölpreise am Mittwoch verantwortlich gemacht.
Die IEA erwartet jedoch auch, dass die chinesische Konjunkturabschwächung nur vorübergehender Natur ist. Für 2023 rechnet sie für die zweigrößte Volkswirtschaft der Welt mit einem kräftigen Turnaround. So dürften die Covid-Restriktionen aufgehoben werden und die chinesische Ölnachfrage im Zuge der zügigen Wirtschaftserholung wieder zunehmen. Zusammen mit einem Boom im Flugverkehr, der die Nachfrage nach Flugzeugtreibstoff ankurbeln wird, wird dies laut IEA zu einem Anstieg der globalen Ölnachfrage um 2,1 Mio. bpd im Jahr 2023 führen.
In den OECD-Staaten sieht die IEA-Prognose dagegen kein erneutes Wachstum des Ölbedarfs vor. Stattdessen konzentriert sich das gesamte prognostizierte Wachstum auf China, während die OECD-Länder unter den Sanktionen gegen russische Energieprodukte leiden.
Da ein Großteil der IEA-Prognose von der Wirtschaft Chinas abhängt, sollten Händler die Konjunkturindikatoren des Riesenreichs ganz genau im Auge behalten, um zu sehen, ob sich das prognostizierte Wachstum tatsächlich einstellt. Wenn China seine "Null-Covid"-Politik fortsetzt, die seine Wirtschaft regelmäßig lahmlegt und die Ölnachfrage drosselt, werden wir im Jahr 2022 möglicherweise einen Anstieg der Ölnachfrage um 2,1 Millionen bpd nicht sehen.
Es gibt auch die steile These, dass China es für recht vorteilhaft hält, verschiedene Megastädte weiterhin in Lockdowns zu halten - unter dem Vorwand von Covid -, solange die Rohstoffpreise noch höher sind, als China das gerne hätte. Es wird interessant sein zu sehen, ob niedrigere Rohstoffpreise mit einer erwarteten Lockerung von Chinas "Null-Covid"-Politik im Jahr 2023 zusammenfallen oder nicht.
Die Organisation der erdölexportierenden Länder (OPEC)
Die OPEC hat am Dienstag ihren monatlichen Ölmarktbericht veröffentlicht und im Gegensatz zur IEA ihre Prognose zur Ölnachfrage nicht angetastet. Die OPEC hat ihre Prognose für das Wachstum des Ölbedarfs im Jahr 2022 unverändert beibehalten. Sie stellte fest, dass die Ölnachfrage trotz der hohen Inflation in vielen Ländern konstant geblieben ist. Die OPEC hob bestimmte Indikatoren wie z. B. die Konsumausgaben in den USA und Europa als Anzeichen dafür hervor, dass sich die Wirtschaftstätigkeit besser als gedacht entwickelt.
Die OPEC prognostiziert für 2023 einen Anstieg der globalen Ölnachfrage um 2,7 Mio. bpd auf 102,73 Mio. bpd, womit das Niveau aus dem Jahr 2019 endgültig übertroffen würde. Die OPEC ist auch nicht in Sorge wegen einer möglichen Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft im vierten Quartal 2022. Vielmehr rechnet das Ölkartell mit einer Abnahme der geopolitischen Risiken, einer Reduzierung der Covid-Restriktionen und einer "weiterhin soliden Entwicklung in den wichtigsten Verbraucherländern".
Möglicherweise zeichnet der OPEC-Bericht ein allzu optimistisches Bild von der Wirtschaft im Jahr 2023. Angesichts einiger aktueller Wirtschaftsindikatoren wie Inflation und Unternehmensentlassungen in den Vereinigten Staaten, Energiepreisen und Energierationierungen in Europa mag es schwierig sein, die OPEC-Prognose mit der Realität in Einklang zu bringen. Dennoch sollten die Händler diese OPEC-Prognose zumindest im Hinterkopf behalten, schließlich werden die OPEC-Länder auf ihrer nächsten Sitzung darauf zurückkommen. Demnach wäre eine Produktionskürzung nicht gerechtfertigt. Die OPEC-Staaten berücksichtigen bei ihren Treffen eine Vielzahl von Daten und Vorhersagen, aber die eigenen Prognosen des Ölverbunds sind stets von großer Bedeutung.