Der Rohölmarkt ist wie ein kompliziertes Puzzle. Die Stücke allein zeigen nicht das Gesamtbild des Energierohstoffs. Wenn Sie die Teile jedoch zusammenfügen, können Sie eine Landschaft entdecken, die Hinweise auf den Weg des geringsten Widerstands für den Erdölpreis liefert.
Der Preisunterschied zwischen den beiden Benchmark-Rohöl-Futures-Kontrakten ist eines dieser Puzzleteile.
WTI Öl wird an der NYMEX-Sparte der CME gehandelt, während Brent-Futures an der Intercontinental Exchange (NYSE:ICE) notiert sind. Ungefähr zwei Drittel von Weltproduktion und -verbrauch werden zu Preisen basierend auf dem Brent-Referenzkontrakt gehandelt, während ein Drittel auf dem WTI-Preis beruhen.
Der Brent-WTI-Spread kann zeitweise sehr volatil sein. In den letzten Wochen ist die Brent-Prämie stetig gesunken, was ein wichtiges Zeichen für die Fundamentaldaten von Angebot und Nachfrage am Rohölmarkt und möglicherweise eine neue Dynamik sein könnte.
Der United States Oil Fund (NYSE:USO) und der United States Brent Oil Fund (NYSE:BNO) versuchen, die kurzfristigen Preisbewegungen auf den WTI- und Brent-Terminmärkten abzubilden.
Lage, Qualität und politische Risikostreuung
Der Brent-Referenzkontrakt spiegelt den Preis von Rohöl aus der Nordsee in Europa wider. Brent ist der Preismechanismus für Erdöl aus Europa, Afrika, Russland und dem Nahen Osten. Der WTI- oder West-Texas-Intermediate-Preis bildet nordamerikanisches Rohöl ab. Die Differenz zwischen den Kursen von Brent und WTI ist eine Frage des Standorts.
WTI-Rohöl ist ein leichteres und süßeres Rohöl als Brent, was bedeutet, dass WTI einen etwas niedrigeren Schwefelgehalt aufweist. WTI ist das Rohöl der Wahl für die Verarbeitung zu Benzin, dem weltweit allgegenwärtigsten Ölprodukt. Brent-Rohöl wird zu Heizöl, Flugkerosin, Diesel und anderen Kraftstoffen verarbeitet. Der Unterschied in der Zusammensetzung, sowohl hinsichtlich des Schwefelgehalts als auch der Schwere, macht Brent-WTI zu einem Qualitätsspread.
Die Hälfte der weltweiten Rohölreserven befindet sich im Nahen Osten, einer politisch äußerst instabilen Region. Da Nordamerika eine stabilere Weltgegend ist, spiegelt der Brent-WTI-Spread häufig das politische Risiko im Nahen Osten wider. Der Brent-WTI-Spread ist ein vielseitiges Instrument zur Überwachung der Angebots- und Nachfragefundamente des Rohölmarktes.
In der Vergangenheit stieg der Aufschlag für Brent, wenn die Rohölpreise insgesamt stiegen.
(Quelle: CQG)
Das Wochenchart zeigt, dass Anfang Januar, als die USA und der Iran im Irak aufeinanderstießen, die Brent-Prämie auf 6,67 USD pro Barrel stieg, als die Brent-Futures auf 71,99 USD und WTI auf 65,65 USD pro Barrel stiegen. Die Brent-Prämie erhöhte sich im April auf das Jahreshoch von 11,52 USD pro Barrel gegenüber WTI, als auf dem Ölmarkt die Hölle losbrach und die nächst-fälligen Maifutures zum ersten Mal unter Null fielen, was Preisverlagerung zur Folge hatte. Brent wird auf dem Seeweg transportiert, während WTI um den NYMEX-Auslieferort Cushing, Oklahoma, landbasiert ist. Der Mangel an Speicherkapazität führte WTI in den negativen Preisbereich, was den Aufschlag für Brent auf ein Jahreshoch schickte. Die Bewegung des Spread war eine kurzfristige Angelegenheit, und der Aufschlag hat sich seit Ende April stetig verflüchtigt.
Rückgang der US-Produktion verengt den Spread
Am Freitag, dem 22. Mai, lag der Brent-Aufschlag unter dem Niveau von 1,90 USD pro Barrel. Seit April hat sich der Rohölpreis der als nächstes fälligen NYMEX- und Brent-Futureskontrakte deutlich erholt, aber die Brent-Prämie ist stetig gesunken. Der WTI stieg von unter Null auf 33,25 USD pro Barrel am 22. Mai. Brent legte von 16 USD auf über 35 USD am vergangenen Freitag zu.
Da Benzin das allgegenwärtigste Ölprodukt ist, dürfte wahrscheinlich der Rückgang der US-Produktion in den letzten Wochen zu dem Rückgang der Brent-Prämie geführt haben. Am Freitag, dem 22. Mai, berichtete Baker Hughes, dass die Anzahl der in den USA betriebenen Ölbohrplattformen um weitere 21 auf 237 zurückgegangen ist. Im vergangenen Jahr waren zu diesem Zeitpunkt 797 Bohrplattformen in Betrieb. Mitte März erreichte die US-Produktion mit 13,1 Millionen Barrel pro Tag ein Rekordhoch. Bis zum 15. Mai ging die US-Produktion auf 11,5 Millionen zurück. Zur gleichen Zeit, letzte Woche, berichteten sowohl das American Petroleum Institute als auch die Energieinformationsagentur, dass die US-Rohölvorräte um 4,8 bzw. 5,0 Millionen Barrel gesunken sind.
Der Rückgang der US-Produktion ist ein Grund für den Rückgang des Brent-Aufschlags in den letzten Wochen.
WTI kann von Abschlag zu Aufschlag gehen
Die verschuldeten Ölfirmen in den USA standen vor dem Ausbruch von Covid-19 schon vor finanziellen Schwierigkeiten. Das Schwinden der Nachfrage und die Verknappung der Kreditangebote haben viele an den Rand des Abgrunds gedrängt. Wir könnten zu sehen bekommen, dass viele der marginalen Produzenten in den kommenden Monaten verschwinden werden. Obwohl sich der Rohölpreis Ende letzter Woche auf über 33 USD pro Barrel erholte, bleibt er auf einem Niveau, bei dem die Produktionskosten immer noch auf oder über dem Marktpreis für den Energierohstoff liegen.
Die jüngste Entwicklung des Brent-WTI-Spread deutet auf eine Fortsetzung des Produktionsrückgangs in den USA hin. Letzte Woche meinten Analysten von Goldman Sachs (NYSE:GS), dass die Konsolidierung der US-Schieferölproduktion die Führungsposition auf dem Ölmarkt an die OPEC, das internationale Kartell, zurückgeben werde. Goldman sagte: „Diese neue Phase, bereinigt durch Einschnitte, kommt im Jahr 2021, sieben Jahre nach den Ölpreisspitzen, wie schon in 1987, sieben Jahre nach der Ölpreisspitze von 1980." In diesen Jahren wurde WTI überwiegend mit einem Aufschlag gegenüber Brent gehandelt.
Der einzige Faktor, der zu einem Anstieg des Brent-Aufschlags führen könnte, ist eine Zunahme der Spannungen im Nahen Osten, die die Produktion, die Raffination oder die Transportwege gefährden. Da sich der Markt an die niedrigere US-Produktion anpasst, könnte der Rohölpreis in Zukunft aufgrund der politischen Natur von Rohöl viel volatiler werden. Die Rolle des Brent-WTI-Spreads als geopolitisches Barometer könnte in den kommenden Monaten und Jahren an Bedeutung gewinnen.