Die EU dürfte ihre Ziele bei Seltenen Erden verfehlen: Um eine Produktionskette aufzubauen, fehlt es vor allem an neuen Minen. Daran ändert auch die im CRMA vorgesehene Einstufung als kritisches Projekt bislang zu wenig. Ein zentrales Problem sind ausgerechnet die niedrigen Preise chinesischer Seltenerdexporte.
Die EU hat sich mit dem Critical Minerals Act (CRMA) das Ziel gesetzt, die heimische Produktion kritischer Rohstoffe zu stützen und die Abhängigkeit von China zu verringern. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen 10 Prozent des jährlichen Bedarfs abgebaut, 25 Prozent recycelt und 40 Prozent auf EU-Territorium verarbeitet werden.
Nachfrage nach Seltenen Erden für Permanentmagneten steigt stark an
Eine wichtige Rolle im Bereich der kritischen Rohstoffe nehmen Seltene Erden ein. Diese werden unter anderem in Permanentmagneten eingesetzt, die in Elektrofahrzeugen ebenso benötigt werden wie in Windturbinen. Die Nachfrage – so lauten derzeit die meisten Prognosen – wird sich innerhalb der EU bis zum Jahr 2050 versiebenfachen.
Die EU dürfte ihre Ziele im Bereich der seltenen Erden jedoch verfehlen. Dies jedenfalls berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf intern zusammengetragene Produktionsprognosen sowie Interviews mit über einem Dutzend Führungskräften der Branche, Beratern, EU-finanzierten Beamten, Industriegruppen und Investoren.
EU-Kommission Sprecherin Johanna Bernsel wollte die Reuters Recherchen zwar nicht bestätigen, konnte aber die CRMA-Ziele nur auf allgemeiner Ebene bekräftigen. "Projekte in Europa werden von einem rationalisierten Genehmigungsverfahren sowie einer koordinierten Unterstützung beim Zugriff auf risikomindernde Finanzierungsinstrumente und der Vermittlung mit nachgelagerten Anwendern profitieren", lautet die offizielle Antwort.
Reuters geht davon aus, dass die CRMA-Ziele lediglich im Bereich der Magnetoxide, nicht aber den Permanentmagneten und Magnetlegierungen erreicht werden. Bei Permanentmagneten könnte das Ziel etwa zur Hälfte erreicht werden, bei Magnetlegierungen droht eine nahezu vollständige Zielverfehlung.
Ein ganz wesentliches Problem stellt der Analyse zufolge die fehlende Minenproduktion dar. Deren Ausweitung steht vor mehreren Hindernissen. Zum einen gibt es großen Widerstand gegen die Errichtung neuer Minen, zum anderen legt auch die Industrie kein allzu großes Engagement an den Tag.
Dies wiederum ist auf die nach wie vor verfügbaren billigen Importe aus China, aber auch auf die unsichere Nachfrage im Zusammenhang mit den hinter den Erwartungen zurückbleibenden Verkäufen von Elektrofahrzeugen zurückzuführen.
Die billigen Importe aus China – deren Verfügbarkeit in den Händen der Regierung in Peking liegt und deshalb ein strategisches Risiko darstellt – ist noch aus einem weiteren Grund problematisch: Für hiesige Produzenten sind die Preise zu niedrig.
"Beim gegenwärtigen Preisniveau sind die meisten Minen einfach nicht profitabel, deshalb ist Unterstützung durch Regierungen und Automobilhersteller erforderlich", sagte Daan De Jonge vom Beratungsunternehmen Benchmark Mineral Intelligence in London.
Europa hat genug Seltene Erden, aber keine Minen dafür
Seltene Erdenvorkommen gibt es in Europa eigentlich genug. Doch die Realisierung von Projekten ist nicht in Sicht. Bis 2030 wird lediglich die Wiederaufbereitung von Abfällen aus den schwedischen Eisenerzminen LKAB als Produktionsquelle zur Verfügung stehen und damit etwa ein Prozent des Bedarfs für Magnete abdecken.
Das südschwedische Norra Karr-Projekt befindet sich seit Jahren im Genehmigungsverfahren und muss mit Widerstand durch Umweltschützer kämpfen. Eigentümer Leading Edge Materials will keinen Zeitplan für den Produktionsbeginn nennen. Geplant ist die Beantragung auf die Einstufung als strategisch im Sinne des CRMA. Dadurch Könnte sich das Genehmigungsverfahren zumindest theoretisch auf 27 Monate verkürzen.
Dass die beschleunigten CRMA Verfahren keine zügige Produktion garantieren, zeigt auch ein Blick nach Finnland. Das dortige Sokli Projekt der staatlichen Finnish Minerals Group strebt ebenfalls eine Einstufung als strategisches Projekt an. CEO Matti Hietanen sagt, es sei "nicht realistisch", die Anlage vor 2030 in Betrieb zu nehmen.
Es wird schwierig, die chinesische Vormachtstellung auf dem Markt für Seltene Erden anzugreifen. Im vergangenen Jahr produzierte die Volksrepublik 298.000 t Seltenerdoxide. China verfügt über eine hoch integrierte Lieferkette für Seltene Erden, zu der vom Bergbau bis zum fertigen Magneten staatliche Unternehmen gehören. Viele europäische Unternehmen aus dem Bereich sind selbst in China tätig.
Solvay (EBR:SOLB) will Seltenerdproduktion in La Rochelle wieder aufnehmen
In Stein gemeißelt ist die Abhängigkeit jedoch nicht, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt. Vor 40 Jahren gehörte eine Seltenerdverarbeitungsanlage in La Rochelle an der französischen Atlantikküste zu den größten der Welt und produzierte Materialien zur Herstellung von Farbfernsehern, Bogenlampen und Kameraobjektiven. In den 1980er und 1990er Jahren war die Produktion am Standort die Benchmark für die weltweiten Preise.
Rhodia Operations La Rochelle wurde 1948 gegründet – und soll nach dem Willen des Eigentümers Solvay wieder ausgebaut werden. Doch bis dahin ist es ein langer Weg. Derzeit werden jährlich 4000 t Seltenerdoxide produziert – eine verschwindend geringe Menge im Vergleich zur chinesischen Produktion.
Außerdem liegt der Schwerpunkt auf Seltenen Erden, die für Autokatalysatoren und Elektronik verwendet werden, nicht auf der Art von Seltenen Erden, die für Permanentmagnete in Elektrofahrzeugen und Windturbinen zum Einsatz kommen. Diese sollen dort ab dem kommenden Jahr produziert werden.
Solvay plant, irgendwann 20-30 % des europäischen Bedarfs an Seltenen Erden für die Magnetproduktion abzudecken – möglicherweise aber erst nach 2030. "Das ist kein einfacher Schritt. Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen, denn die Kette vom Bergbau bis zur Magnetproduktion muss erst aufgebaut werden", sagt An Nuyttens, Präsident der Solvay-Division.