Trotz Rekordgewinnen: Droht die Rallye an den Börsen zu kippen?

Veröffentlicht am 08.12.2024, 14:26
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Unternehmen erzielen derzeit rekordverdächtige Gewinne im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Doch wer verstehen will, warum das so ist und welche Faktoren diese Entwicklung beeinflussen, sollte nicht nur vierteljährliche Finanzberichte durchblättern. Die sogenannte Kalecki-Gleichung bietet einen tieferen Einblick in die Mechanismen hinter der Profitabilität von Unternehmen – und hilft auch dabei, Risiken für zukünftige Gewinnspannen besser einzuordnen.

Bereits 2012 erläuterte James Montier in seinem Aufsatz "What Goes Up, Must Come Down" die Bedeutung dieser wirtschaftlichen Formel. Doch das, was nach oben ging, blieb dort – entgegen der ursprünglichen Prognose. Wie der Ökonom Albert Edwards von der Societe Generale kürzlich betonte, gibt es klare Gründe, warum die Unternehmensgewinne bisher weitgehend unangetastet blieben:

"Unternehmen konnten unter dem Deckmantel zweier Schlüsselereignisse – 1) Versorgungsengpässe nach der Covid-Pandemie und 2) gestiegener Rohstoffkosten nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine – profitsteigernde Preiserhöhungen durchsetzen. Was jedoch oft übersehen wird, ist, dass einer der Haupttreiber für den jüngsten Anstieg der Gewinnmargen die massiven staatlichen Ausgaben waren. Kurz gesagt, die Regierung hat mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf gepumpt, was direkt den Unternehmen zugutegekommen ist."

Gewinne als Prozentsatz vom BIP

Diese Erkenntnis ist sowohl für Anleger als auch für die neue Trump-Administration von großer Bedeutung.

Doch was steckt eigentlich konkret hinter der Kalecki-Gleichung?

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Die Kalecki-Gleichung - leicht erklärt

In der Wirtschaft gibt es Gleichungen, die auf Annahmen beruhen und die Realität oft nur näherungsweise abbilden. Andere hingegen sind unbestreitbare, buchhalterische Tatsachen. Die Kalecki-Gleichung gehört zur zweiten Kategorie: Sie liefert eine präzise Erklärung der Faktoren, die Unternehmensgewinne bestimmen – ein wertvolles Werkzeug für Investoren, die Unternehmensgewinne besser einschätzen wollen.

Benannt nach dem polnischen Ökonomen Michal Kalecki, beleuchtet die Gleichung die makroökonomischen Komponenten, die direkt auf die Unternehmensrentabilität einwirken. Sie stellt die Gewinne eines Unternehmens als Ergebnis aus Investitionen, Sparverhalten von Staat und Haushalten, Dividenden und Handelsströmen dar:

Gewinne = Investitionen - private Ersparnisse - ausländische Ersparnisse - staatliche Ersparnisse + Dividenden

Die Formel von Kalecki besagt, dass Nettoinvestitionen, Ersparnisse der privaten Haushalte und des Staates, Außenhandelssalden und Dividendenausschüttungen der Unternehmen die Gesamtgewinne der Unternehmen bestimmen. Die Gleichung verdeutlicht, wie sich miteinander verknüpfte wirtschaftliche Aktivitäten in Unternehmenseinnahmen niederschlagen. Wenn Regierungen beispielsweise Defizite haben, führen sie der Wirtschaft Geld zu, was die Gesamtnachfrage und damit auch die Unternehmensgewinne ankurbelt. Umgekehrt kann sich die Rentabilität der Unternehmen verschlechtern, wenn die Haushalte mehr sparen oder die Regierung ihre Ausgaben kürzt.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Zeit nach der Pandemie: Die Haushalte hatten während der Lockdowns erhebliche Ersparnisse angehäuft. Als die Wirtschaft wieder öffnete, wurde dieses Geld in Konsum gesteckt – was die Gewinne vieler Unternehmen beflügelte.

Ersparnisse der privaten Haushalte als Anteil am BIP

Das Verständnis der fettgedruckten Aussage oben ist von entscheidender Bedeutung. Viele Ökonomen und Analysten schlagen angesichts der steigenden Staatsausgaben und -defizite Alarm. In den letzten zehn Jahren sind jedoch Rekordgewinnmargen zum Markenzeichen amerikanischer Unternehmen geworden, während die Politiker weiterhin "ENT-Sparen" betreiben, indem sie immer größere Defizite ausweisen. Daher liegen die Gewinnmargen der Unternehmen im Durchschnitt weit über dem historischen Durchschnitt, und sowohl die privaten Haushalte als auch der Staat "ENT-sparen" immer schneller. Von den Nachwirkungen der Finanzkrise 2008 bis zu den massiven Corona-Konjunkturpaketen hat die Fiskalpolitik dafür gesorgt, dass das Geld sprudelt und die Gewinne robust bleiben.

Reale Gewinnspannen vs. Defizit

In den letzten zwei Jahrzehnten hat eine expansive Fiskalpolitik das globale Wirtschaftswachstum entscheidend geprägt. Sollte die Trump-Administration ernsthaft Staatsausgaben kürzen und Defizite abbauen, könnten Unternehmen kurzfristig deutliche Gewinneinbußen erleben, auch wenn die Wirtschaft auf lange Sicht stabiler werden könnte.

Aufschlüsselung der heutigen erhöhten Gewinnmargen

Die derzeit außergewöhnlich hohen Gewinnmargen lassen sich nicht allein auf staatliche Konjunkturausgaben zurückführen. Eine Kombination aus Investitionsdynamik und verändertem Verbraucherverhalten hat maßgeblich zur aktuellen Profitabilität beigetragen.

Nach der Pandemie kurbelten massive Konjunkturprogramme einen regelrechten Konsumboom an, der Unternehmen erhebliche Umsatz- und Gewinnsteigerungen bescherte. Gleichzeitig sorgten die historisch niedrigen Zinssätze der letzten Dekade für eine Flut an Investitionen. Unternehmen nutzten günstige Finanzierungsbedingungen, um ihre Kapazitäten auszubauen und durch Aktienrückkäufe ihre eigenen Aktienkurse zu stützen – ein weiterer wichtiger Treiber für die starken Gewinne.

Doch diese außergewöhnlichen Gewinnspannen könnten nicht von Dauer sein. Wie Jeremy Montier warnt, ist es unwahrscheinlich, dass dieses Niveau auf lange Sicht gehalten werden kann – insbesondere, wenn sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern. Unternehmen werden sich darauf einstellen müssen, dass das „Goldene Zeitalter“ der Margen nicht ewig währt.

"Wenn die Ära des starken Staates andauert, könnten Unternehmensgewinne als Anteil am BIP dauerhaft höher bleiben als in der Vergangenheit. Interessanterweise liefert die Wirtschaftstheorie jedoch keinen zwingenden Grund, warum die Gewinnmargen zwangsläufig auf ihren historischen Durchschnitt zurückkehren müssen. Es ist eher die Kapitalrendite, nicht die Umsatzrendite, die langfristig eine Rückkehr zum Mittelwert erleben "sollte". Da das tatsächliche Kapital jedoch schwer zu messen ist, sind wir gezwungen, uns auf Näherungswerte zu stützen.

Ein naheliegender Ansatz zur Bewertung der Gewinnmargen ist das Shiller-KGV. Diese Kennzahl berücksichtigt zyklische Schwankungen der Unternehmensgewinne, indem sie – gemäß Ben Grahams Empfehlung – einen 10-Jahres-Durchschnitt der Gewinne verwendet. Das ist im aktuellen Kontext besonders relevant, da die Unternehmensrentabilität in den letzten zehn Jahren außergewöhnlich hoch war.

Selbst wenn wir davon ausgehen, dass Haushaltsdefizite bestehen bleiben und die Rentabilität daher strukturell erhöht bleibt, wird der US-Aktienmarkt immer noch mit einem Multiplikator von rund 35x bewertet. Das deutet auf langfristig niedrige Renditen für Anleger hin. Selbst wenn es weder zu einer Neubewertung noch zu einer Rückkehr der Gewinnmargen auf den historischen Durchschnitt kommt, sollten Investoren mit einer realen Rendite von etwa 3 % rechnen. Das ist kaum eine attraktive Risikoprämie für Aktienbesitz."

Seit der Finanzkrise haben massive Staatsausgaben die Märkte geprägt – und das mit einer bemerkenswerten Konsequenz: Die Bewertungen an den Finanzmärkten bleiben trotz aller wirtschaftlichen Unsicherheiten anhaltend hoch.

Schulden und Bewertungen

Eine der auffälligsten Folgen dieses staatlichen „Entsparens“ ist die Abkopplung traditioneller Bewertungsmaßstäbe. Während margenbereinigte Bewertungen weiter steigen, scheinen sie sich zunehmend von ertragsorientierten Kennzahlen wie Gewinnrenditen oder Dividendenzahlungen zu entfernen.

Der Analyst James Montier machte in seiner Untersuchung genau auf dieses Phänomen aufmerksam.

"John Hussman und ich haben in der Vergangenheit gezeigt, dass verschiedene Kennzahlen des margenbereinigten CAPE (Cyclically Adjusted Price-to-Earnings Ratio) bei der Vorhersage zukünftiger Marktrenditen besser abgeschnitten haben als das herkömmliche CAPE. Der Grund dafür liegt in der historischen Tendenz der Gewinnmargen, sich langfristig wieder ihrem Durchschnittsniveau anzunähern.

Wenn die Margen tatsächlich zu ihrem „normalen“ historischen Niveau zurückkehren würden, wäre das CAPE weit höher, als es das Standard-CAPE derzeit ausweist – aktuell liegt die margenbereinigte Kennzahl bei einem beachtlichen Faktor von 50!

Für Anleger bedeutet das: Wer an eine vollständige Rückkehr sowohl der Bewertungen als auch der Gewinnspannen glaubt, müsste mit äußerst mageren Renditeaussichten rechnen."

Kapitalwertberechnung nach dem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) mit und ohne Berücksichtigung der Gewinnspanne

Wenn sich die Bewertungen wieder in Richtung ihrer historischen Mittelwerte bewegen, könnten Anleger mit langfristigen, inflationsbereinigten Renditen von deutlich unter 3 % rechnen – ein Szenario, das viele nicht auf dem Radar haben.

Was könnte eine solche Umkehrung auslösen? Ein wichtiger Treiber wären staatliche Sparmaßnahmen. Angesichts der steigenden Staatsverschuldungen und der anhaltenden Inflation könnten Regierungen weltweit gezwungen sein, ihre Ausgaben zurückzufahren. Beispiele dafür sehen wir bereits in den USA, wo regelmäßig über Einsparungen bei Sozialprogrammen und Infrastrukturinvestitionen diskutiert wird. Solche Kürzungen könnten die gesamtwirtschaftliche Nachfrage dämpfen und somit auch die Unternehmensgewinne belasten.

Ein weiterer entscheidender Faktor ist das Sparverhalten der privaten Haushalte. Mit steigender Inflation und höheren Kreditkosten werden viele Verbraucher gezwungen, ihre Ausgaben zu reduzieren und mehr zu sparen. Dieser Trend könnte eine wirtschaftliche Abwärtsspirale in Gang setzen: Weniger Konsum bedeutet niedrigere Unternehmensumsätze, was wiederum zu einem Rückgang bei Investitionen und Einstellungen führen kann – und das Wachstum weiter bremst.

Zur Erinnerung: Nach der Kalecki-Logik wirken höhere Ersparnisse der privaten Haushalte direkt gegen die Unternehmensgewinne. Was für den Einzelnen finanziell vernünftig erscheinen mag, kann gesamtwirtschaftlich die Profitabilität von Unternehmen erheblich unter Druck setzen.

Warum sich Aktienanleger Gedanken machen sollten

Die Kalecki-Gleichung verdeutlicht einen wichtigen Zusammenhang: Schulden und Haushaltsdefizite können das Wirtschaftswachstum belasten, da sie Kapital von produktiven Investitionen abziehen und so eine deflationäre Wirkung entfalten. Gleichzeitig birgt eine Reduzierung der staatlichen Defizitausgaben erhebliche Risiken für Anleger.

Die aktuellen Bewertungen an den Märkten sind hoch – vor allem, weil viele Investoren davon ausgehen, dass die Unternehmen ihre überdurchschnittlichen Gewinnspannen halten können. Doch die Realität sieht oft anders aus: Die kumulierte Veränderung der inflationsbereinigten Marktpreise liegt mittlerweile weit über den tatsächlich erzielten Unternehmensgewinnen.

Historisch betrachtet waren solche Abweichungen selten ein gutes Omen für Anleger. Die Kalecki-Gleichung zeigt, dass überzogene Markterwartungen häufig zu schmerzhaften Korrekturen führen können – ein Risiko, das Investoren im Blick behalten sollten.

S&P 500 & reale Gewinne

Wir können das auch aus der Korrelation zwischen den Unternehmensgewinnen und dem Verhältnis zum BIP und dem inflationsbereinigten Marktpreis ablesen.

S&P 500 vs Gewinne/BIP Ratio

Sollten sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschlechtern oder die Finanzpolitik straffer werden, könnten die Aktienmärkte empfindlich reagieren. Gewinnprognosen müssten wahrscheinlich nach unten korrigiert werden, was unweigerlich Druck auf die Kurse ausüben würde. Der renommierte Marktstratege James Montier sieht das langfristige Renditepotenzial von US-Aktien selbst unter optimistischen Annahmen skeptisch. Sein Argument: Das derzeitige Kurs-Gewinn-Verhältnis spiegelt bereits außergewöhnlich hohe Gewinnspannen wider und lässt wenig Spielraum für negative Überraschungen.

Anders als die optimistischen Ausblicke, wie sie etwa von Ed Yardeni vertreten werden, zeigt die Geschichte, dass außergewöhnlich hohe Gewinnspannen selten von Dauer sind. Aus einer makroökonomischen Perspektive neigen solche Spitzen dazu, sich durch die sogenannte „Mean Reversion“ – die Rückkehr zum langfristigen Durchschnitt – wieder auszugleichen. Das Shiller-KGV, das die Gewinne auf einen gleitenden 10-Jahres-Durchschnitt anpasst, bleibt auf einem historisch hohen Niveau. Dies signalisiert, dass die Bewertungen der Aktienmärkte ohne größere Sicherheitsmargen auskommen – ein riskantes Umfeld.

Mit anderen Worten: Eine straffere Fiskalpolitik oder ein vorsichtigerer Konsum könnten leicht einen Gewinnrückgang auslösen, der an den Märkten nicht eingepreist ist.

Die Zukunft der Unternehmensgewinne und der Marktentwicklung bleibt naturgemäß unvorhersehbar. Doch wer die grundlegenden Kräfte versteht – darunter Wirtschaftspolitik, Konsumverhalten und Unternehmensstrategien – kann besser auf kommende Herausforderungen vorbereitet sein. In den kommenden Jahren könnte die Stabilität der aktuellen Gewinnspannen ernsthaft auf die Probe gestellt werden. Umsichtige Anleger sollten daher verschiedene Szenarien im Blick behalten und sich auf potenziell schwankungsreiche Märkte einstellen.

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