China betrachtet die Corona-Krise als Gelegenheit, seine geopolitische und weltwirtschaftliche Macht weiter zu festigen. „Die großen Schritte in der Geschichte wurden alle nach großen Katastrophen gemacht.“ Dieses Zitat des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping macht deutlich, dass China sich offensichtlich ein Beispiel an Amerika nehmen will. Nach dem II. Weltkrieg wurden die USA zur global einflussreichsten Supermacht.
Unter dem Strich betrachtet, konnte Europa mit der amerikanischen Führungsrolle gut leben. Es genoss militärischen Schutz. Vor allem Deutschland als direkter Frontstaat zum Warschauer Pakt durfte als amerikanisches Hätschelkind hemmungslos über den großen Teich exportieren und wenn es auf dem alten Kontinent Streit gab, z.B. wegen der deutschen Einheit, sorgte der große Bruder in Washington für Ruhe im europäischen Karton. Im Vergleich dazu zeigt China unverhohlene Sympathie für „herzhaftere“ Einflussnahme. Die KP bevorzugt Abhängigkeitsverhältnisse und wirtschaftlichen Sanktionsdruck.
Donald allein zu Haus
Unlautere chinesische Handelspraktiken, den Klau geistigen Eigentums und Auslandsinvestitionen, die von der chinesischen Mauer sprichwörtlich verhindert werden, muss sich der Westen ja nicht gefallen lassen. Doch macht er es den Chinesen verdammt leicht. Die Gegenmaßnahmen des US-Präsidenten fallen oft genug diffus aus. Bei seinen Drohungen Richtung Peking schießt er unkontrolliert aus der Hüfte, ist aber nicht wirklich konsequent, sondern dreht sich gerne auch wieder um 180 Grad. Mit dieser Politik ohne klare Linie, garniert mit so mancher Verbalentgleisung, verwässert er die berechtigte Kritik an China dramatisch. Und während Trump die gesamte negative Aufmerksamkeit anzieht wie Licht die Motten, kann China seine Expansionsstrategien in aller Ruhe verfolgen.
Das allergrößte Manko Trumps ist aber sein fehlendes Verständnis für die Bedeutung des westlichen Wertebündnisses. Der Gegendruck auf China wäre doch viel größer, wenn die USA gemeinsam mit ihren angestammten Alliierten in Europa - gerne um Russland und Japan ergänzt - eine Phalanx gegen China bildeten. Stattdessen betreibt er westliche Wehrkraftzersetzung und behandelt Europa wie einen Feind. Natürlich gibt es auch im transatlantischen Verhältnis Konflikte wie Nato-Beiträge oder Zollfragen. Die sollte man aber intern lösen. Angesichts der öffentlichen Nestbeschmutzung des Westens kann man sich das genüssliche Schmunzeln in Peking lebhaft vorstellen.
Der Leithammel in der westlichen Schafherde fehlt. Und Europa ist bislang nicht in der Lage, diesen Ausfall zu kompensieren. Es ist uneins und spricht außen-, wirtschafts- und finanzpolitisch mit gespaltener Zunge. Leider hat der Streit, wie angesichts der schweren Corona-Rezession europäische Solidarität aussehen soll, die EU-skeptischen Kräfte noch gestärkt.
„Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“
Nicht uneigennützig steht China hier gerne als Helfer in der Not bereit. So kommen die EU-Länder Griechenland, Italien und Spanien und auch die geplanten Beitrittskandidaten in den Genuss umfangreicher Investitionen. Der früher angeschlagene Hafen von Piräus ist mit Chinas Hilfe zu einer der wichtigsten Frachthäfen Europas geworden. In wirtschafts- und sozialpolitisch mit dem Rücken zur Wand stehenden Ländern verfehlen diese Maßnahmen ihre Wirkung nicht: Vielfach ist dort der Rock näher als das Hemd, China beliebter als Deutschland. Die von Peking erwartete Gegenleistung ist unmissverständlich: Im Zweifel für China und gegen die EU. Ist Europas gemeinsame Wehrkraft erst einmal genügend geschwächt, fällt der gemeinsame Widerstand gegen (wirtschafts-)politische Abhängigkeiten von Peking zusammen wie ein Kartenhaus. Europa wäre leichte Beute.
China hat viel Zeit. Der eigentlich atheistische Staatspräsident Xi hat eine markante Gemeinsamkeit mit dem Papst. Auch er muss keine Abwahl fürchten, er ist auf Lebenszeit ernannt. Da können Gottes Mühlen langsam, aber stetig im Sinne chinesischer Machtinteressen arbeiten.
Denk ich an Europa in der Nacht, bin ich dann um den Schlaf gebracht?
Berlin hat die Gefahr eines auseinanderbrechenden Europas erkannt. Der bislang massive Berliner Widerstand gegen den Umbau der EU zur romanischen Schuldenunion wurde plötzlich aufgegeben. So sollen auch in der EU Geschenke die Freundschaft zu Deutschland erhalten. Über die Ausgabe gemeinschaftlicher Anleihen, für die Deutschland ordentlich in Haftung tritt, werden großzügige Zuwendungen an den Süden Europas bezahlt. So mancher deutsche Politiker spricht sogar von Alternativlosigkeit, wohl auch, weil europäische Kaufkraft für die deutsche Exportwirtschaft geschaffen wird.
Aber wo ist der nachhaltige wirtschaftliche Nährwert für Europa insgesamt? Was ist, wenn die Geschenke versickern und nicht auf fruchtbaren Boden fallen? Was ist, wenn sie nicht konkreten standortverbessernden Maßnahmen zugutekommen, die z.B. Italien wieder auf einen Wachstumskurs bringen, der chinesische Hilfe nicht mehr erforderlich macht und damit Abhängigkeiten verhindert? Niemand kann EU-Südländer zu ihrem Glück zwingen. Im Gegenteil, sie könnten mit Austritt aus der EU und Eurozone drohen und über einen finalen europäischen Länderfinanzausgleich noch mehr Geschenke ohne wirtschaftliche Gegenleistung erhalten.
Ohne „Vorsprung durch Technik“ ist der europäische Wohlstand nicht zu halten
Doch auch Deutschland tut viel zu wenig, um sich dem industrie-technologischen Generalangriff aus Peking zu erwehren, der unseren Wohlstand bedroht. Das gewaltige Konjunkturpaket über 130 Mrd. Euro wird sicherlich Wirkung zeigen. Die „Sozialgarantie 2021“, die Sozialabgaben vorerst deckeln wird, ist ebenso positiv wie die Überbrückungshilfen und Steuerentlastungen für Unternehmen. Doch hätte man bei diesem Schuss aus der Konjunktur-Bazooka die Zukunft noch mehr im Blick haben müssen. Vieles ist Patchwork oder „Ein Kessel Buntes“, damit sich beide großkoalitionären Partner vor der Bundestagswahl 2021 anpreisen können. Der Kinderbonus ist zwar angenehm. Doch er ist nur ein kurzfristiges Strohfeuer. Wie schnell sind heute 300 Euro ausgegeben. Besser wären permanente Steuersenkungen, die gerade für kleine Einkommen Kaufkraft schaffen, und die nachhaltige Wirtschaftskraft entfalten. Der Soli muss weg, am liebsten für alle!
Befristete Mehrwertsteuersenkungen und Prämien für E-Autos - übrigens auch um den Grünen keine Angriffsfläche zu bieten - stellen zwar einen Anreiz dar. Aber fraglich ist, ob über Kurzarbeit verunsicherte Arbeitnehmer, die Zukunftsangst haben, jetzt wirklich Geld ausgeben wollen. Und wenn man jetzt keinen staatlichen Bonus in Anspruch nehmen will, bin ich sicher, dass es später schöne Händlerrabatte geben wird. Mit dieser Prämie hilft man übrigens auch der asiatischen Autokonkurrenz. Überhaupt könnte der Handel die Mehrwertsteuersenkung zu einer Margenerhöhung nutzen.
Neben der Löschung eines Krisenfeuers geht es vor allem - übrigens in ganz Europa - um die Zukunft, die man mit Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit gewinnen will. Hier strengen sich China aber auch Amerika viel mehr an als der alte Kontinent. In der heutigen globalen Zeit entspricht jedoch Technologieführerschaft der früheren militärischen Überlegenheit. Die Abkehr vom Leistungsprinzip ist der Anfang vom Ende eines (wirtschafts-)politisch unabhängigen Europas. Wer heute Müßiggang betreibt, muss morgen einen Kotau machen.
Ich als Abkömmling der rheinischen Scholle habe schon früh gelernt, dass man nur ernten kann, wenn man vorher gesät, gedüngt und im wahrsten Sinne des Wortes geackert hat.
Oft sind die Weisheiten des Lebens ganz einfach.
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