Von Geoffrey Smith
Investing.com -- Angesichts der Risiken anhaltender Versorgungsengpässe in Folge der russischen Invasion in der Ukraine und einer stetigen Erholung des Ölverbrauchs im Zuge des Abklingens der Pandemie dürfte die Ölnachfrage im nächsten Jahr stärker steigen als das Angebot, warnte die Internationale Energieagentur am Mittwoch.
In ihrer ersten Vorausschätzung für das Jahr 2023 geht die in Paris ansässige Organisation davon aus, dass die globale Ölnachfrage im Durchschnitt um 2,2 Mio. Barrel täglich auf 101,6 Mio. Barrel pro Tag steigen und damit das Niveau vor der Pandemie übersteigen wird. Für dieses Jahr rechnet sie mit einem durchschnittlichen Anstieg der Nachfrage um 1,8 Mio. Barrel pro Tag.
Der größte Teil des Nachfrageanstiegs im nächsten Jahr stammt wohl aus China und anderen Schwellenländern. Vor allem in China verzögert sich die Erholung des Verbrauchs, da das Land schnell und aggressiv gegen jedes Anzeichen für ein Wiederaufleben von COVID-19 vorgeht. Die in Reaktion auf steigende Corona-Fallzahlen erlassenen Lockdowns haben in diesem Jahr zu einem starken Verbrauchsrückgang in wichtigen Wirtschaftszentren wie Shanghai geführt.
Für die Importeure gestaltet sich die Beschaffung von Öl jedoch zunehmend schwierig. Die IEA warnte außerdem, dass die Produktion des Ölverbunds OPEC+ im nächsten Jahr um bis zu 520.000 Barrel täglich sinken könnte, nachdem diese im laufenden Jahr um schätzungsweise 2,6 Millionen Barrel pro Tag steigen dürfte.
Ein großer Teil dieses Rückgangs ist auf Russland zurückzuführen. Westliche Sanktionen sorgten dafür, dass sich Ölunternehmen wie Exxon (NYSE:XOM) und Shell (LON:RDSa) aus ihren russischen Projekten zurückzogen, und auch Ölfelddienstleister wie Schlumberger (NYSE:SLB) verließen das Land. Darüber hinaus hat die EU erklärt, sie werde die Einfuhr von russischem Rohöl auf dem Seeweg bis Ende des Jahres einstellen. Dies verursacht sowohl kurz- als auch mittelfristige Probleme für die russische Ölindustrie, die weitgehend auf die Belieferung europäischer Märkte ausgerichtet ist.
Auch Russlands Partner in der OPEC verfügen über immer weniger freie Kapazitäten: Länder wie der Iran und Venezuela werden weiterhin durch US-Sanktionen ausgebremst, und in Libyen ist die Fördermenge in den letzten Wochen erneut eingebrochen, da rivalisierende Gruppierungen um die Macht im Lande kämpfen.
Laut IEA dürften die US-amerikanischen Unternehmen ihre Produktion dank der Rückkehr des Vertrauens in die Branche, die während der Pandemie unter einer Welle von Solvenzproblemen litt, weiter steigern. Das Angebot der Nicht-OPEC+-Länder soll in diesem Jahr um 1,9 Mio. b/d und 2023 um 1,8 Mio. b/d steigen, wobei mehr als die Hälfte des Anstiegs im Jahr 2023 auf die USA entfällt.