Börsen-Zeitung: Defizitabbau der anderen Art, Kommentar zum
Stabilitätspakt von Detlef Fechtner
Frankfurt (ots) - Und täglich grüßt das Murmeltier: Es hat
mittlerweile Tradition, dass am Stabilitätspakt gerüttelt wird.
Flexibilität in der Anwendung, heißt eine Worthülse, die in diesem
Zusammenhang gerne gebraucht wird. Dahinter steckt oft die Idee,
bestimmte Ausgaben nicht in die Defizitkalkulation einzurechnen. Etwa
investive Ausgaben, was immer man unter diesem wachsweichen Begriff
verstehen mag. Oder sogenannte Reformkosten - also irgendwelche
Aufwendungen, die in Zusammenhang mit arbeitsmarktpolitischen
Entscheidungen stehen.
Dieser Defizitabbau der anderen Art - die Neuverschuldung wird
gesenkt, indem man einfach weniger hinzuzählt - ist natürlich kein
überzeugendes Konzept. Bereits auf den ersten Blick fällt auf, dass
der Versuch einer Qualifizierung in "gute" und "schlechte" Ausgaben
oder "sinnvolle" und "schädliche" Defizite viele methodische Fragen
aufwirft. Das ganze Verfahren der haushaltspolitischen Koordinierung
würde komplizierter statt - wie es der IWF zu Recht fordert - klarer
und simpler. Und stünde zudem noch mehr als jetzt im Verdacht,
manipulationsanfällig und daher letztlich wirkungslos zu sein.
Der Vorstoß, den Pakt weniger strikt auszulegen, aber an ihm im
Grundsatz festzuhalten, ist außerdem deshalb nicht recht
nachvollziehbar, weil es ja längst Bewertungsspielräume gibt. Eine
schwierige konjunkturelle Lage wird bereits heute im Gesamturteil
berücksichtigt. Brüssel stellt ja längst vor allem auf die - nicht
unumstrittenen - "strukturellen" Defizite ab. Das ist der Grund,
warum Frankreich überhaupt einen Aufschub gewährt bekam. Irritierend
ist schließlich der Zeitpunkt, zu dem diese Debatte losgetreten wird.
Die länderspezifischen Empfehlungen sind doch gerade rausgegangen -
und zumindest in den nächsten Monaten hat ohnehin kein Land
Maßregelungen aus Brüssel zu befürchten.
Wahrscheinlich geht es daher gar nicht um substanzielle
Änderungen, sondern um allgemeine politische Signale und Bekenntnisse
- und das Bemühen der europäischen Sozialdemokraten, sich als
Kritiker einer rigiden Sparpolitik zu profilieren. Das würde das hohe
Maß an Verwirrung erklären, die diese Debatte abermals erzeugt.
Sigmar Gabriel fordert Veränderungen, schwört aber gleichzeitig jeder
Aufweichung des Pakts ab. Unionspolitiker schimpfen über "fatale"
oder "kontraproduktive" Äußerungen Gabriels, während Angela Merkel
klarzustellen versucht, sie sei sich mit ihm einig - das ist ein Hin
und Her, das eher an modernes Tanztheater erinnert als an eine klare
Gangart.
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