von Robert Zach
Investing.com - Die Ölpreise haben am Dienstag ihre Erholungsrallye weiter ausgebaut. Mit einem Kursplus von mehr als 17 Prozent geht es so kräftig nach oben wie zuletzt im Jahr 2008. Die US-Sorte West Texas Intermediate (WTI Öl) zur Juni-Lieferung lag am Nachmittag 18,05 Prozent im Plus, die Nordseesorte Brent knapp 12 Prozent. Damit steuern die beiden Ölsorten auf den fünften Tagesgewinn in Folge zu.
An den Ölmärkten bleiben Hoffnungen auf eine schrittweise Lockerung der coranabedingten Beschränkungen weiter der wichtigste Treiber. Je schneller die Weltwirtschaft hochfährt, desto schneller dürfte sich der Ölverbrauch erholen, so die Schlussfolgerung. In den USA lockerten bereits mehr als die Hälfte der Bundesstaaten ihre Corona-Restriktionen.
US-Präsident Donald Trump kommentierte den Anstieg der Ölpreise am Dienstag auf Twitter wie folgt: "Die Ölpreise legen mit der wieder anziehenden Nachfrage kräftig zu!"
Stützend wirkte sich auch ein Bericht des Datenunternehmens Genscape aus, wonach die Lagerbestände am wichtigen Umschlagplatz in Cushing, Oklahoma, letzte Woche nur um 1,8 Millionen Barrel gestiegen seien, wie Bloomberg am Montag berichtete. In den vergangenen fünf Wochen waren die dortigen Reserven im Schnitt um 4,8 Millionen Barrel pro Woche gestiegen.
Hinzu kommt, dass mehr und mehr US-Ölproduzenten ihre Förderung drosseln. Neben den beiden Ölgiganten Exxon Mobil (NYSE:XOM) und Chevron (NYSE:CVX) kündigten am Montag die Schieferölgesellschaften Diamondback Energy (NASDAQ:FANG) und Centennial Resource Development (NASDAQ:CDEV) drastische Kürzungen an, um den Ölmarkt zurück ins Gleichgewicht zu bringen.
Der französische Ölgigant Total (PA:TOTF) teilte am Dienstag mit, dass man für 2020 nun mit einer Ölproduktion von 2,95 bis 3 Millionen Barrel pro Tag rechnet. Dies entspräche einem Rückgang von mindestens 5 Prozent gegenüber früheren Schätzungen für das laufende Jahr.
Morgan Stanley (NYSE:MS) schrieb in einer Notiz, dass "das größte Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wahrscheinlich hinter uns liegt".
"Von hier aus wird sich die Nachfrage allmählich erholen, während sich die Anpassung auf der Angebotsseite voraussichtlich beschleunigen wird", so die Investmentbank weiter.
Unterstützung lieferte auch die von der Opec+ im April beschlossene rekordhohe Förderkürzung, die am Freitag in Kraft getreten ist und den Prozess zur Angleichung von Angebot und Nachfrage auf mittlere Sicht beschleunigen dürfte. Die wichtigsten Ölstaaten hatten sich auf eine Senkung der Ölproduktion um täglich 9,7 Millionen Barrel für die Monate Mai und Juni beschlossen.
"Nur die Zeit wird zeigen, ob die Summe all dieser Kürzungen die Ölpreise stabilisieren oder sogar erhöhen wird“, sagte Tom Seng, Assistenzprofessor für Energiewirtschaft am Collins College of Business der Universität Tulsa, in einem Gespräch mit RigZone. "Das meiste Öl in den USA kann nicht für weniger als 35 Dollar pro Barrel wirtschaftlich gefördert werden", fügte er hinzu.
Für Kursbewegung dürfte am Abend die wöchentliche API-Schätzung zu den US-Rohöllagerbeständen sorgen, bevor morgen die US-Energiebehörde EIA die offiziellen Zahlen herausgibt. Das kurzfristige Risiko für den Ölpreis besteht nun darin, dass sich die Öllager in Cushing doch stärker gefüllt haben, so dass die Lagerthematik zurück in den Vordergrund rücken und die Ölpreise belasten könnte, zumal sich noch immer Millionen Barrel Rohöl auf Schiffen auf dem Meer befinden, die aufgrund der Lagersituation weltweit nirgendwo gelagert werden können. Dies dürfte das Preisniveau in den kommenden Monaten niedrig halten, so Andrew Goldstein, Präsident bei Atlas Commodities LLC.
WTI Öl war im April aufgrund des Mangels an Lagerkapazitäten zum ersten Mal in der Geschichte unter null gefallen, weil die Lagerkosten drastisch in die Höhe geschossen waren, woraufhin Ölhändler ihre WTI-Kontrakte zu jedem Preis loswerden wollten.
Ein Bericht der Financial Times, wonach die Texas Railroad Commission wohl doch keine Anordnung erlassen wird, dass die größten Ölförderer in Texas ihre Produktion um 20 Prozent drosseln müssen, wurde vom Markt weitgehend ignoriert. Die Ölproduktion in Texas gehe bereits jetzt stetig zurück, da die Produzenten angesichts des Nachfrageeinbruchs, der durch den Coronavirus-Lockdown verursacht wurde, ihre Förderanlagen stilllegen. Die Zahl der aktiven Ölbohrungen war laut Baker Hughes letzte Woche auf den tiefsten Stand seit Juni 2016 gefallen.
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