- von Hans-Edzard Busemann und Sabine Siebold
Berlin (Reuters) - Mit der Nationalhymne hat Alexander Gauland nicht gerechnet: Der erste Jubel über das zweistellige Ergebnis ist kaum verhallt, ausgelassen haben die älteren Herren der AfD-Spitze die blauen und weißen Luftballons von der Bühne gekickt, als in der Tiefe des dunklen, stickigen Clubs am Alexanderplatz die ersten zu singen beginnen.
Doch Gauland bleibt stumm. Er setzt an diesem Abend, an dem erstmals seit vielen Jahrzehnten wieder eine Partei rechts der Union in den Bundestag einzieht, betont auf Zurückhaltung, vermeidet alle schrillen nationalen Töne. "Sie werden alles dransetzen, uns in irgendwelche rechten Ecken zu drängen", warnt er auch das Parteivolk. "Wenn ihr also draußen eurer Freude Ausdruck gebt, gebt ihr vernünftig Ausdruck - und bitte keine Sprüche, die uns später auf die Füße fallen können."
Die Parteimitglieder feiern unterdessen siegestrunken, berauschen sich daran, dass es die AfD zur drittstärksten Kraft im Bundestag gebracht hat. Forderungen nach dem Rücktritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel fliegen durch den Raum. Manchmal wird das Vokabular auch ein bisschen martialisch. "Der Sieg wird uns gehören. Wir sind gekommen, und wir werden nie wieder gehen", sagt Andreas Otti aus Berlin. "Wenn alle einer Meinung sind, dann taugen alle nichts." Endlich werde es eine parlamentarische Debatte geben über die "vielen Millionen", die ins Land gekommen seien.
FLÜGELKÄMPFE ODER SACHPOLITIK?
Wie schnell sich die AfD allerdings der Sachpolitik widmen kann, steht angesichts der Flügelkämpfe in der Partei, die sich mit dem Einzug in den Bundestag noch verschärfen dürften, in den Sternen. Als Rivalen um den Fraktionsvorsitz gelten Parteichefin Frauke Petry, die am Sonntagabend zunächst nicht bei der Wahlparty ihrer Partei auftrat, und die beiden Spitzenkandidaten Gauland und Alice Weidel. Als Favorit geht Gauland ins Rennen: Nach einer Untersuchung der Ruhr-Universität Bochum zählt der größte Teil der 235 Bundestagskandidaten der AfD zum völkisch-nationalen Flügel der Partei und nicht zu den Anhängern des vergleichsweise gemäßigten Flügels um Petry, die zuletzt vergeblich versuchte hatte, die Partei auf einen pragmatischeren Kurs zu trimmen.
Allerdings starten sowohl Gauland als auch Petry belastet in den Kampf um den Fraktionsvorsitz, Petry womöglich noch mehr als ihr Rivale. Gegen sie laufen Ermittlungen wegen des Verdachts des Meineids im Zusammenhang mit ihren Aussagen zu Darlehen von AfD-Landtagskandidaten an die Partei. Gauland steht wegen seiner Rede beim Kyffhäuser-Treffen in der Kritik, in der er einen Schlussstrich unter die Nazi-Zeit forderte. Die Deutschen hätten das Recht, "stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen."
EINZUG IN DEN BUNDESTAG - ERFOLG ODER ENTZAUBERUNG?
Klar ist schon jetzt, dass der Ton im Bundestag wohl rauer werden wird. Offen ist dagegen noch, ob die AfD im Bundestag reussieren oder sich vielmehr selbst entzaubern wird. Denn sie erhält nun zwar eine große Bühne für ihre Positionen, viel Geld und einen schlagkräftigen Mitarbeiter-Stab. Ob die Partei aus diesen zusätzlichen Ressourcen aber etwas machen kann, sich breiter aufstellt und künftig an Einfluss gewinnt oder ob durch die größere Transparenz im Parlament eher ihre Schwächen - etwa die monothematische Ausrichtung auf Flüchtlinge, Islam und Ausländer - zutage treten, muss sich erst noch zeigen.
Im Bundestag dürften nun zunächst die Verteilungskämpfe beginnen. Es wird darum gehen, welche Ausschuss-Vorsitze die Rechten bekommen werden und ob sie einen Vizepräsidenten des Bundestags stellen dürfen. Da gewöhnlich jede Fraktion mindestens einen Vizepräsidenten schicken darf, ist schwer vorstellbar, der AfD dieses Recht vorzuenthalten. Die Wahl des AfD-Kandidaten könnte allerdings verschleppt werden, da er zur Bestätigung auf Stimmen aus den anderen Fraktionen angewiesen ist. Sollte Petry im Rennen um den Fraktionsvorsitz verlieren, gilt sie als eine Kandidatin für den Vizepräsidenten-Posten.
Darüber hinaus dürfte im Hohen Haus für Aufregung sorgen, dass die AfD auf einen Schlag auch drittstärkste Fraktion wurde: Im Falle einer neuen großen Koalition würde dies bedeuten, dass die Newcomer sich auch gleich in der öffentlichkeitswirksamen Rolle des Oppositionsführers profilieren können. Nach parlamentarischen Brauch stünde der AfD zudem der Vorsitz im einflussreichen Haushaltsausschuss zu.
Abgesehen davon ist eine ganze Reihe praktischer Fragen zu klären: Unklar ist etwa, wo die AfD tagen soll. Auf der Fraktionsebene im Bundestag, wo die übrigen Parteien ihre Versammlungen abhalten, ist eigentlich kein Platz mehr. Pikant ist auch die Sitzfrage: Die Union will nicht, dass die AfD ganz rechts sitzt und damit kaum zu ignorieren vor der Regierungsbank. Die anderen wollen die Rechten aber auch nicht als Nachbarn.