Von Geoffrey Smith
Investing.com -- Die deutsche Industrie hat im Juni unerwartet mehr produziert. Nach dem ersten Schock durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine hat sich das Herz des europäischen verarbeitenden Gewerbes wieder etwas gefestigt.
Die Firmen erhöhten ihre Produktion gegenüber Mai saison- und kalenderbereinigt um 0,4 %. Dabei konnten alle drei großen Herstellerkategorien zulegen. Selbst die energieintensive Industrie verzeichnete ein Plus von 0,4 %, nachdem sie seit dem Einmarsch Russlands im Februar um 5,4 % eingebrochen war.
Die Energieerzeugung selbst stagnierte im Vergleich zum Vormonat, während die Bauproduktion um 0,8 % sank. Damit beschleunigte sich der Rückgang, der mit einem starken Abfall des deutschen Geschäftsklimas im zweiten Quartal einherging.
Mit diesen Zahlen nehmen die Chancen auf ein Entkommen der deutschen Wirtschaft vor einer Schrumpfung im zweiten Quartal zu. Vergangene Woche hatte eine vorläufige BIP-Schätzung ein Nullwachstum ergeben. Der Datensatz ändert jedoch nichts an den Aussichten für die kommenden Monate, in denen ein akuter Mangel an Erdgas und himmelhohe Strompreise das Bild beherrschen dürften. Die Bundesregierung plant, ab Oktober einen Aufschlag auf gewerbliche Gasrechnungen zu erheben. Bisher hat sie die Importeure daran gehindert, höhere Preise für Lieferungen aus dem Ausland weiterzugeben.
Die Gasimporte aus Russland belaufen sich derzeit auf nur 20 % des Normalniveaus. Hintergrund ist die Weigerung des russischen Gasmonopolisten, mehr Gas durch die Nord Stream 1-Pipeline zu transportieren - eine unverhohlene politische Reaktion auf die westlichen Sanktionen gegen Moskau. Gazprom (MCX:GAZP) lehnte es in dieser Woche ab, die Lieferung einer wichtigen Siemens-Turbine nach der Wartung anzunehmen, die in einer der Verdichterstationen von Nord Stream benötigt wird. Gazprom will Garantien über die Nichtanwendung von Sanktionen für die Turbine auch in der Zukunft.
Appelle des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz, der diese Woche sogar eine Pressekonferenz vor der Turbine gab, um seine Bereitschaft zur Auslieferung zu demonstrieren, stießen auf taube Ohren.
Deutsche Unternehmen und Energieversorger sind als Reaktion auf den Gasmangel auf Diesel und Kohle umgestiegen, aber die Verfügbarkeit dieser alternativen Brennstoffe wird nun auch durch extreme Wetterbedingungen eingeschränkt. Der Wasserstand des Rheins, einer wichtigen Binnenwasserstraße, ist inzwischen so niedrig, dass Lastkähne, die den Brennstoff transportieren, nicht mehr voll beladen werden können.