Während die deutsche Börse im Bann der kommenden Bundestagswahl steht, geht die Wall Street mit einem sehr klaren Bild in das neue Börsenjahr. Nicht nur hat Präsident Trump seine Vision mehr als deutlich formuliert, sondern sogar die Legislative ist bereits weitgehend vorbereitet, sodass die Administration nach der Amtseinführung am 20. Januar schnell an die Umsetzung gehen kann.
Aus Sicht der Börse wird die Politik der Trump Administration im besten Fall einen Investitionsboom in den USA auslösen. Denn die Zoll-Politik, deren Zweck in Europa bisher nicht verstanden wird, wird dafür sorgen, dass man die Unternehmen an den Verhandlungstisch zwingt. Das klar formulierte Ziel ist es, dass diese ihre Produktion und die Wertschöpfungsketten in die USA verlagern, wenn sie auch in Zukunft die USA als Absatzmarkt nutzen wollen.
Freiwillig kommen die Unternehmen nicht. So viel steht fest. Nicht ohne Grund haben die Unternehmen in den vergangenen drei Dekaden die Globalisierung vorangetrieben. Die Standortvorteile in Asien und Osteuropa ermöglichten nicht nur einen Wettbewerbsvorteil im Hinblick auf den Preis, sondern letztlich auch im Hinblick auf die Qualität und vor allem die Quantität. Nehmen Sie als Beispiel das iPhone. Apple (NASDAQ:AAPL) wählte China als Produktionsstandort nicht nur wegen der anfänglich niedrigen Arbeitskosten aus, sondern vor allem weil man in den USA nicht die notwendige Zahl an Arbeitern finden konnte, um das schiere Volumen zu produzieren, das weltweit nachgefragt wurde.
Trump erzwingt einen Investitionsboom in den USA
Trump geht an den Preisvorteil des Auslands heran und zerstört ihn bewusst. Wer weiterhin in Asien und Osteuropa produzieren will, kann dies machen, muss dann aber damit rechnen, dass bei der Einfuhr der Produkte in die USA dieser Preisvorteil von der Regierung abgeschöpft wird oder man im Zweifel sogar mehr bezahlen muss als bei einer vergleichbaren Produktion in den USA. Und genau an diesem Punkt kommen die Unternehmen an den imaginären Verhandlungstisch und sortieren ihre Optionen.
Die Verlierer der Zoll-Politik werden über kurz oder lang ihre Produktion in die USA verlagern. So viel wie nötig und so wenig wie möglich, denn die Produktionskosten in den USA sind hoch. Es wird aber im Aggregat so viel Bewegung erzeugt werden, dass wir mit einem regelrechten Investitionsboom in den USA rechnen können. Und genau darauf spekuliert die Wall Street, denn ein plötzlicher Kapitalzufluss in nennenswerter Größe kann nicht nur die Börsenkurse bewegen, sondern sogar das Wirtschaftswachstum.
Die globalen Investitionsflüsse werden umgelenkt
Das Ziel der Trump-Administration ist es also, die globalen Investitionsflüsse umzulenken in die USA. Da die Unternehmen es nicht freiwillig machen werden, zwingt man sie dazu, indem die bisherigen Vorteile einer Produktion im Ausland neutralisiert werden oder sogar zu einer Belastung durch die Zölle werden.
Die spezifischen Ziele der zu erwartenden Investitionen zu prognostizieren, ist vergleichsweise schwierig. Denn die Investitionswelle wird sich sehr heterogen über viele Branchen und Unterbranchen sowie über die gesamten USA verteilen. Zu den Branchen, die von den Investitionen profitieren werden, werden ohne Zweifel die Immobiliengesellschaften und der Hoch- und Tiefbau zählen, aber auch die Baustoffzulieferer und Chemie bis hin zu Dienstleistungsbranchen wie die Personalvermittlung und Steuerberatungsleistungen. Breiter gefasst kann zudem davon ausgegangen werden, dass der amerikanische Arbeitsmarkt erheblich von der zu erwartenden Nachfrage profitieren wird. Was letztlich auch den Konsum treibt, der zu 60 % bis 70 % das BIP der Amerikaner bestimmt.
Aufgebaut ist dieser Investitionsboom allerdings mit einem rauschenden Start, der dann vergleichsweise schnell auslaufen wird. Die Börsenjahre 2025 und eventuell auch 2026 werden in jedem Fall davon profitieren. Doch da die Trump-Politik kein neues Wachstum schafft, sondern lediglich dem Ausland Investitionen (und Wachstum) wegnimmt, ergibt sich daraus kein neuer langfristiger Wachstumstrend.
Die Kehrseite sind Kapitalabflüsse aus Asien und Europa
Und damit sind wir auch bei der Kehrseite. Denn die Unternehmen werden im Zweifel zukünftige Investition nur in einer Region vornehmen, anstatt diese parallel in den USA und beispielsweise Asien oder Osteuropa vorzunehmen. Die betroffenen Regionen müssen sich also auf eine unangenehme Trockenzeit einstellen, was sich spürbar im Wirtschaftswachstum niederschlagen wird. Oder anders gesagt: Trump sorgt dafür, dass die USA gewinnen und die meisten anderen verlieren.
Als Börsianer liegt der Fokus im Jahr 2025 damit eindeutig auf der Wall Street. Zuletzt hatten wir in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre eine vergleichbare Situation, als die Erfindung und Kommerzialisierung des Internets massive Investitionswellen auslöste. Flankiert von einer erheblichen Investitionswelle in den globalen Ausbau der Kommunikationsinfrastruktur. Diese Investitionswellen waren so groß, dass sie den gesamten Technologiesektor an der Wall Street (und im Ausland) über Jahre hinweg vor sich hertrieben.
Ein Bullenmarkt, dem jegliche rationale Bewertungen egal waren. Was in den 90er-Jahren zählte, war einzig und allein Wachstum. Der Unterschied zu der heutigen Situation ist allerdings, dass die Investitionswelle staatlich erzwungen wird, was bei Weitem nicht die Attraktivität einer Investitionswelle hat, die sich aus einer marktgetriebenen Nachfrage ergibt. Die Richtung für die Wall Street ist somit gesetzt, aber der Weg wird keineswegs so gradlinig sein, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.
Ein Artikel von
Mikey Fritz
Chefredakteur Zürcher Finanzbrief