Berlin, 07. Mai (Reuters) - Deutschland sollte nach Ansicht des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) wegen der Folgen der Corona-Krise bald eine Reform der Sozialversicherungen anpacken. Im Zuge der Krise würden die Sozialkassen ihre Rücklagen von rund 100 Milliarden Euro wohl vollständig aufbrauchen, warnte IfW-Experte Jens Boysen-Hogrefe am Donnerstag. Ohne weitere Politikänderungen, etwa in Bezug auf Umfang und Anspruch der Leistungen, würden die Beitragssätze in nahezu allen Versicherungszweigen steigen: "Dies zeichnete sich angesichts des demografischen Wandels ohnehin ab und wird sich nun deutlich beschleunigen", erklärte der Forscher.
In der gesetzlichen Rentenversicherung gilt eine doppelte Haltelinie für das Sicherungsniveau vor Steuern bei 48 Prozent und den Beitragssatz bei 20 Prozent. Diese Haltelinien sollen vorerst bis 2025 gelten. "Mit der Coronakrise rückt das Erreichen der doppelten Haltelinie in der Rentenversicherung aus gedeckeltem Beitragssatz und versprochenem Rentenniveau in greifbare Nähe", sagte der Experte. Und bei den Ausgaben für Gesundheit und Pflege würden vorhandene Puffer demnächst aufgebraucht sein.
Mit Blick auf die steigende Staatsverschuldung sieht der Experte die Entwicklung jedoch nicht so dramatisch. "Deutschland kann sich den Schuldenberg, den es zur Bewältigung der Coronakrise jetzt anhäuft, im Prinzip leisten", erklärte der IfW-Forscher, der die finanziellen Folgen der Coronakrise eingehend analysiert hat. "Dafür ist weder eine Vermögensabgabe noch sind dafür Steuererhöhungen nötig, lediglich die Rückkehr zu Haushaltsdisziplin und Konsolidierungsmaßnahmen in geringem Umfang." Über Kredite, Bürgschaften, Beteiligungen und die unmittelbaren Hilfspakete erhöht sich Deutschlands Bruttoschuldenstand laut IfW 2020 um rund 500 Milliarden Euro und nach dem Maastricht-Kriterium auf 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).