- von Lucia Mutikani und Reinhard Becker
Washington/Berlin (Reuters) - Ein jäher Rückschlag am zuletzt boomenden Arbeitsmarkt macht eine rasche Zinserhöhung in den USA zunehmend unwahrscheinlich.
Zur Enttäuschung vieler Fachleute fiel der Stellenaufbau im Mai mit 38.000 Jobs so niedrig aus wie seit mehr als fünf Jahren nicht mehr. Die am Freitag vom Arbeitsministerium veröffentlichten Daten boten zumindest einen Lichtblick: Die getrennt erhobene Erwerbslosenquote sank auf 4,7 von zuvor 5,0 Prozent. Auch wenn damit Vollbeschäftigung weitgehend erreicht ist, ist der magere Jobzuwachs ein konjunkturelles Alarmzeichen. Investoren an der Börse stellen sich nun darauf ein, dass die US-Währungshüter um Notenbank-Chefin Janet Yellen eine Zinsanhebung hinauszögern - womöglich sogar bis zum Jahresende.
"Die Zinserhöhung im Juni dürfte endgültig vom Tisch sein. Die Märkte reduzieren entsprechend ihre Erwartungen", sagte Ökonom Ulrich Wortberg von der Landesbank Helaba. Der Euro weitete seine Gewinne entsprechend deutlich aus und notierte zuletzt bei 1,1347 Dollar. An der Wall Street machte sich zum Handelsstart trübe Stimmung breit: Die Kurse gaben nach, weil nicht klar ist, ob die Wirtschaft baldige Zinserhöhungen der Notenbank Fed verkraften kann.
Die Volkswirtschaft Nummer eins in der Welt hatte bereits zu Jahresbeginn einen Schwächeanfall erlitten und war kaum gewachsen. Insbesondere die Exporteure bekommen die Stärke der eigenen Währung zu spüren, die amerikanische Produkte im Ausland verteuert. Allerdings hat die Industrie im April mehr Aufträge eingesammelt. Die Bestellungen stiegen zum Vormonat um 1,9 Prozent - der stärkste Zuwachs seit einem halben Jahr.
Doch die mauen Arbeitsmarktdaten überlagern diese positive Entwicklung: Börsianern zufolge ist die Wahrscheinlichkeit einer US-Zinserhöhung im Juni jetzt auf sechs von zuvor 20 Prozent gesunken: "Das ist ein ziemlich desaströser Arbeitsmarktbericht", sagte Gennadiy Goldberg vom Wertpapierhändler TD Securities in New York. Experten verwiesen jedoch auch darauf, dass die Zahlen durch einen Streik beim Telefonkonzern Verizon verzerrt wurden. In der Statistik werden Streikende nicht als Beschäftigte erfasst. "Ohne diesen Sondereffekt gerechnet, fiel der Stellenaufbau mit 72.000 aber immer noch sehr schwach aus", erklärte Fed-Beobachter Sebastian Hepperle vom Bankhaus Lampe.
AUCH BREXIT-RISIKO LÄSST FED ZÖGERN
Viele Fachleute hatten sich zuletzt auf eine Zinserhöhung im Juli eingestellt - auch wegen des am 23. Juni anstehenden Votums über einen britischen EU-Ausstieg, das zu Börsenturbulenzen führen könnte. Der Chef der Fed von Chicago, Charles Evans, hat wie andere seiner Kollegen ausdrücklich auf die Risiken hingewiesen, die sich durch einen solchen 'Brexit' ergeben würden. Er brachte nun den September als einen geeigneten Zeitpunkt für eine Anhebung ins Spiel. Der US-Leitzins liegt zurzeit in einer Spanne zwischen 0,25 und 0,5 Prozent: Die Fed hatte ihn im Dezember auf dieses Niveau angehoben und damit das erste geldpolitische Manöver dieser Art seit rund zehn Jahren gewagt.
Dass sich die Arbeitslosenquote nun weiter verringert hat, spielt Befürwortern einer Zinserhöhung in die Hände. Für diese Statistik werden private Haushalte befragt, für die Beschäftigtenzahl hingegen Firmen und Behörden. Die Fed, die neben Vollbeschäftigung auch Preisstabilität anstrebt, dürfte jedoch die kaum steigenden Stundenlöhne mit Sorge sehen: Sie erhöhten sich im Mai nur um 0,2 Prozent und damit nur halb so stark wie im Vormonat. Steigende Gehälter sind nach Ansicht von Ökonomen Vorboten für den von der Fed angestrebten Preisauftrieb. Sie peilt eine Inflationsrate von 2,0 Prozent an, ist davon jedoch bei einer Rate von zuletzt 1,6 Prozent noch etwas entfernt.