APA ots news: 'Die Presse' - Leitartikel: Es werden noch mehrere 'Überraschungen' folgen, von Stefan Riecher
Ausgabe vom 16.1.2012
Wien (APA-ots) - Für Österreichs Regierung kam der Verlust des Triple
A aus heiterem Himmel. Anstatt ernsthafte Reformen anzugehen, wird
genauso weitergemacht wie bisher.
Als am späteren Freitagnachmittag erste Gerüchte auftauchten, dass
Österreich die beste Kreditwürdigkeit verlieren würde, herrschte im
Kanzleramt Alarmstufe Rot. Eiligst wurde an einer Aussendung gefeilt,
um den Bürgern zu erklären, warum Standard & Poor's die Alpenrepublik
nicht mehr zu den verlässlichsten Schuldnern zähle. Schnell waren die
Gründe gefunden: Sicher nicht die Schuldenpolitik der vergangenen
Jahre ist an der Herabstufung schuld, sondern die Ratingagentur,
mitsamt ihren politischen Motiven und US-amerikanischen Eigentümern.
'Unverständlich' und 'überraschend' sei der Verlust des Triple A,
gaben Kanzler Werner Faymann und sein Vize, Michael Spindelegger,
schließlich bekannt.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Seit Monaten beherrschen mögliche Herabstufungen von Frankreich und
Österreich die Wirtschaftsseiten nationaler und internationaler
Zeitungen. Bereits im November warnten viele davor, dass die
Alpenrepublik die Bestnote verlieren könnte. Moody's bestätigte zwar
das Triple A, wies aber darauf hin, dass 'Österreich schnelle und
richtungsweisende Entscheidungen' treffen müsse. Standard & Poor's
senkte im Dezember den Daumen und sprach von einer Entscheidung
innerhalb von 90 Tagen. Spätestens dann hätte jedem klar sein müssen,
dass der Hut brennt. Aber nicht doch - 'überraschend' sei sie
gekommen, die Herabstufung.
Nun könnte man den Warnschuss von Standard & Poor's nützen und sich
daranmachen, das Budget zu sanieren. Die Schiedsrichter haben
Österreich nicht nur das Triple A entzogen, sondern auch den Ausblick
auf 'Negativ' gesenkt. Das wiegt deutlich schwerer, denn die
Topbonität hat die Republik de facto ohnehin schon lange eingebüßt,
wie der Anstieg der Rendite auf zehnjährige Staatsanleihen zeigt.
Dass aber auch die zweitbeste Stufe, AA+, gehörig wackelt, ist mehr
als besorgniserregend und sollte eigentlich Ansporn genug sein, den
Kurs zu ändern, bevor uns ein italienisches Schicksal blüht.
Dass die Regierung an eine Kursänderung nicht denkt und stattdessen
bei der Fahrt in Richtung weitere Herabstufung aufs Gas steigt, zeigt
der zweite Teil der Reaktion auf den Verlust des Triple A:
'Unverständlich.' Das wirft freilich die Frage auf, was daran nicht
zu verstehen ist, dass ein Land, das es seit Jahren schafft, das
Defizit zu erhöhen, obwohl die Staatseinnahmen einen Rekordwert nach
dem anderen erreichen, nicht mehr als Schuldner bester Bonität gilt.
Dabei wäre es relativ einfach, die Verschuldung zu reduzieren. Die
öffentliche Hand könnte sich sämtliche Steuererhöhungen - die sie uns
als 'Einsparungen' zu verkaufen gedenkt - sparen, wenn sie bloß
genauso viel wie bisher ausgeben würde. 2010 stiegen die
Staatseinnahmen um 3,8 Mrd. Euro auf 137,8 Mrd. Euro. Während sich
also die Volksvertreter öffentlichkeitswirksam den Kopf darüber
zerbrechen, wie sie zwei Mrd. Euro 'einsparen' wollen, müssten sie in
Wahrheit nur jährlich um zwei Mrd. Euro statt wie zuletzt um fünf
Mrd. Euro mehr ausgeben - den Rest erledigen ohnehin die
Steuerzahler.
Natürlich haben Faymann und Spindelegger recht, wenn sie betonen,
dass auch das hohe 'Exposure' der Banken in einem sich konjunkturell
abkühlenden Osteuropa sowie die prekäre Situation Italiens zu der
Herabstufung beigetragen haben. Umso klüger wäre es daher, sich einen
Polster für härtere Zeiten zu schaffen. Dass es in höchstem Maße
ungerecht wäre, wenn die Steuerzahler dem Finanzsektor erneut unter
die Arme greifen müssten, steht außer Frage. Dass es im Fall der
Fälle so kommen wird, um die Spareinlagen der Kunden zu retten,
ebenfalls.
Eine weitsichtige Regierung zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich
auf möglichst viele Eventualitäten durch umfassende Reformen
vorbereitet - anstatt verzweifelt nach neuen Steuern zu suchen, um
kurzfristig Löcher zu stopfen. Dass sich Faymann und Spindelegger
längst für den zweiten Weg entschieden haben, zeigt nicht zuletzt die
'Überraschung' über die Herabstufung durch Standard & Poor's. Wir
können davon ausgehen, dass noch weitere 'Überraschungen' folgen
werden.
Rückfragehinweis:
Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
mailto:chefvomdienst@diepresse.com
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OTS0042 2012-01-15/18:19
Ausgabe vom 16.1.2012
Wien (APA-ots) - Für Österreichs Regierung kam der Verlust des Triple
A aus heiterem Himmel. Anstatt ernsthafte Reformen anzugehen, wird
genauso weitergemacht wie bisher.
Als am späteren Freitagnachmittag erste Gerüchte auftauchten, dass
Österreich die beste Kreditwürdigkeit verlieren würde, herrschte im
Kanzleramt Alarmstufe Rot. Eiligst wurde an einer Aussendung gefeilt,
um den Bürgern zu erklären, warum Standard & Poor's die Alpenrepublik
nicht mehr zu den verlässlichsten Schuldnern zähle. Schnell waren die
Gründe gefunden: Sicher nicht die Schuldenpolitik der vergangenen
Jahre ist an der Herabstufung schuld, sondern die Ratingagentur,
mitsamt ihren politischen Motiven und US-amerikanischen Eigentümern.
'Unverständlich' und 'überraschend' sei der Verlust des Triple A,
gaben Kanzler Werner Faymann und sein Vize, Michael Spindelegger,
schließlich bekannt.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Seit Monaten beherrschen mögliche Herabstufungen von Frankreich und
Österreich die Wirtschaftsseiten nationaler und internationaler
Zeitungen. Bereits im November warnten viele davor, dass die
Alpenrepublik die Bestnote verlieren könnte. Moody's bestätigte zwar
das Triple A, wies aber darauf hin, dass 'Österreich schnelle und
richtungsweisende Entscheidungen' treffen müsse. Standard & Poor's
senkte im Dezember den Daumen und sprach von einer Entscheidung
innerhalb von 90 Tagen. Spätestens dann hätte jedem klar sein müssen,
dass der Hut brennt. Aber nicht doch - 'überraschend' sei sie
gekommen, die Herabstufung.
Nun könnte man den Warnschuss von Standard & Poor's nützen und sich
daranmachen, das Budget zu sanieren. Die Schiedsrichter haben
Österreich nicht nur das Triple A entzogen, sondern auch den Ausblick
auf 'Negativ' gesenkt. Das wiegt deutlich schwerer, denn die
Topbonität hat die Republik de facto ohnehin schon lange eingebüßt,
wie der Anstieg der Rendite auf zehnjährige Staatsanleihen zeigt.
Dass aber auch die zweitbeste Stufe, AA+, gehörig wackelt, ist mehr
als besorgniserregend und sollte eigentlich Ansporn genug sein, den
Kurs zu ändern, bevor uns ein italienisches Schicksal blüht.
Dass die Regierung an eine Kursänderung nicht denkt und stattdessen
bei der Fahrt in Richtung weitere Herabstufung aufs Gas steigt, zeigt
der zweite Teil der Reaktion auf den Verlust des Triple A:
'Unverständlich.' Das wirft freilich die Frage auf, was daran nicht
zu verstehen ist, dass ein Land, das es seit Jahren schafft, das
Defizit zu erhöhen, obwohl die Staatseinnahmen einen Rekordwert nach
dem anderen erreichen, nicht mehr als Schuldner bester Bonität gilt.
Dabei wäre es relativ einfach, die Verschuldung zu reduzieren. Die
öffentliche Hand könnte sich sämtliche Steuererhöhungen - die sie uns
als 'Einsparungen' zu verkaufen gedenkt - sparen, wenn sie bloß
genauso viel wie bisher ausgeben würde. 2010 stiegen die
Staatseinnahmen um 3,8 Mrd. Euro auf 137,8 Mrd. Euro. Während sich
also die Volksvertreter öffentlichkeitswirksam den Kopf darüber
zerbrechen, wie sie zwei Mrd. Euro 'einsparen' wollen, müssten sie in
Wahrheit nur jährlich um zwei Mrd. Euro statt wie zuletzt um fünf
Mrd. Euro mehr ausgeben - den Rest erledigen ohnehin die
Steuerzahler.
Natürlich haben Faymann und Spindelegger recht, wenn sie betonen,
dass auch das hohe 'Exposure' der Banken in einem sich konjunkturell
abkühlenden Osteuropa sowie die prekäre Situation Italiens zu der
Herabstufung beigetragen haben. Umso klüger wäre es daher, sich einen
Polster für härtere Zeiten zu schaffen. Dass es in höchstem Maße
ungerecht wäre, wenn die Steuerzahler dem Finanzsektor erneut unter
die Arme greifen müssten, steht außer Frage. Dass es im Fall der
Fälle so kommen wird, um die Spareinlagen der Kunden zu retten,
ebenfalls.
Eine weitsichtige Regierung zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich
auf möglichst viele Eventualitäten durch umfassende Reformen
vorbereitet - anstatt verzweifelt nach neuen Steuern zu suchen, um
kurzfristig Löcher zu stopfen. Dass sich Faymann und Spindelegger
längst für den zweiten Weg entschieden haben, zeigt nicht zuletzt die
'Überraschung' über die Herabstufung durch Standard & Poor's. Wir
können davon ausgehen, dass noch weitere 'Überraschungen' folgen
werden.
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Tel.: (01) 514 14-445
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