BRÜSSEL (dpa-AFX) - Mario Draghi hat keine Angst vor Tabus. Der mächtige Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) erörtert inzwischen öffentlich die gewaltigen wirtschaftlichen Nachteile eines Auseinanderbrechens der Eurozone. 'Ich habe keinen Zweifel an der Stärke des Euro, an seiner Unumkehrbarkeit', meinte der Italiener unlängst im Europaparlament. Amtsvorgänger Jean-Claude Trichet pflegte Fragen der Abgeordneten nach einem drohenden Euro-Ende stets mit der Bemerkung 'absurd' und einer energischen Handbewegung vom Tisch zu wischen.
Die Schuldenkrise und damit verbundenen politischen Turbulenzen in vielen Eurostaaten bewirken eine Zeitenwende. Die EU gibt sich zehn Jahre nach der Euro-Bargeldeinführung ein neues Vertragsgerüst, um Abstürze à la Griechenland unmöglich zu machen. Der Weg zu einer 'Fiskalunion' ist jedoch steinig, zumal das Nicht-Euro-Land Großbritannien den neuen zwischenstaatlichen Vertrag für mehr Haushaltsdisziplin nicht unterschreiben will.
Früher war die Führung der Eurozone Sache der obersten Kassenhüter. In der Krise übernahmen die Staats- und Regierungschefs das Ruder, vor allem die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Der Herr des Elyséepalastes kämpft für den Erhalt der Einsernote ('AAA') für sein Land - und um seine politische Zukunft.
Die Aussicht auf die Präsidentenwahlen im April/Mai 2012 belasten bereits die Euro-Baustelle Brüssel. Der sozialistische Herausforderer François Hollande kritisiert den neuen europäischen Budgetpakt bereits als 'eng, unscharf und bestrafend' und will ihn neu verhandeln.
EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy macht sich auch deshalb besonders rasch ans Werk, um den neuen Vertrag schon vor den Frankreich-Wahlen spätestens im März unterschreiben zu lassen. Der stille Belgier setzt für das erste Halbjahr schon einmal drei Gipfel der Staats- und Regierungschefs an. Die 'Chefs' haben viel zu tun, denn sie müssen auch finanzielle Schutzwälle gegen Staatspleiten stärken.
Dabei geht es unter anderem um den ständigen Krisenfonds für klamme Eurostaaten (ESM), dessen Einrichtung auf Sommer kommenden Jahres vorgezogen wird. Bereits im März werden sich die 'Chefs' über die Frage beugen, ob die Ausstattung von 500 Milliarden Euro ausreicht. Zu diesem Termin wird auch das Thema gemeinschaftlicher europäischer Anleihen wieder debattiert werden - wohl zum großen Ungemach der Deutschen, die von den Eurobonds nichts hören wollen.
Im neuen Jahr wird es viele Debatten geben, wie das gemeinsame Währungsgebiet mit 17 Ländern geführt werden soll. Fachleute der angesehenen Denkfabrik European Policy Centre in Brüssel meinen, der neue Fiskalvertrag sei zwar eine wichtiger Etappe, reiche aber nicht aus. Die Experten sprechen sich für einen 'New Deal' aus, um Spar- und Wachstumspolitik miteinander zu verbinden. Der SPD-Europaparlamentarier Udo Bullmann meint: 'Um die drohende Rezession abzuwenden, brauchen wir dringend Wachstumsimpulse und eine gesicherte Basis für die Refinanzierung der Eurostaaten.'
Ob den nervösen Finanzmärkten die Rundumerneuerung der Eurozone ausreicht, muss sich noch zeigen. Die Reaktionen auf den Krisengipfel vom 8. und 9. Dezember waren alles andere als euphorisch. Laut Experten müssen die Eurostaaten im kommenden Jahr die gewaltige Summe von etwa 800 Milliarden Euro mit Anleihen aufnehmen. Im Fokus steht vor allem Italien, das weiter hohe Risikoaufschläge für seine langfristigen Anleihen zahlen muss.
Viel Aufmerksamkeit wird sich auch auf den diskreten Notenbanker Draghi richten. Bisher weigerte er sich, die 'Big Bazooka' (große Panzerfaust) herauszuholen und Staatsanleihen von Wackelkandidaten im großen Stil aufzukaufen.
'Der EZB ist die Finanzstabilität wichtig, aber die Glaubwürdigkeit der Institution darf nicht geschwächt werden', lautet sein Credo. Der neue Fiskalpakt könnte den früheren Goldman-Sachs-Manager laut Experten davon überzeugen, vorübergehend als Retter in der Not aufzutreten. Bei der Flutung des Bankensystems mit Hunderten von Milliarden zum Abwenden einer Kreditklemme demonstriert der Ex-Chef der Banca d'Italia, dass er handlungsfähig ist./cb/DP/jkr
--- Von Christian Böhmer, dpa ---
Die Schuldenkrise und damit verbundenen politischen Turbulenzen in vielen Eurostaaten bewirken eine Zeitenwende. Die EU gibt sich zehn Jahre nach der Euro-Bargeldeinführung ein neues Vertragsgerüst, um Abstürze à la Griechenland unmöglich zu machen. Der Weg zu einer 'Fiskalunion' ist jedoch steinig, zumal das Nicht-Euro-Land Großbritannien den neuen zwischenstaatlichen Vertrag für mehr Haushaltsdisziplin nicht unterschreiben will.
Früher war die Führung der Eurozone Sache der obersten Kassenhüter. In der Krise übernahmen die Staats- und Regierungschefs das Ruder, vor allem die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy. Der Herr des Elyséepalastes kämpft für den Erhalt der Einsernote ('AAA') für sein Land - und um seine politische Zukunft.
Die Aussicht auf die Präsidentenwahlen im April/Mai 2012 belasten bereits die Euro-Baustelle Brüssel. Der sozialistische Herausforderer François Hollande kritisiert den neuen europäischen Budgetpakt bereits als 'eng, unscharf und bestrafend' und will ihn neu verhandeln.
EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy macht sich auch deshalb besonders rasch ans Werk, um den neuen Vertrag schon vor den Frankreich-Wahlen spätestens im März unterschreiben zu lassen. Der stille Belgier setzt für das erste Halbjahr schon einmal drei Gipfel der Staats- und Regierungschefs an. Die 'Chefs' haben viel zu tun, denn sie müssen auch finanzielle Schutzwälle gegen Staatspleiten stärken.
Dabei geht es unter anderem um den ständigen Krisenfonds für klamme Eurostaaten (ESM), dessen Einrichtung auf Sommer kommenden Jahres vorgezogen wird. Bereits im März werden sich die 'Chefs' über die Frage beugen, ob die Ausstattung von 500 Milliarden Euro ausreicht. Zu diesem Termin wird auch das Thema gemeinschaftlicher europäischer Anleihen wieder debattiert werden - wohl zum großen Ungemach der Deutschen, die von den Eurobonds nichts hören wollen.
Im neuen Jahr wird es viele Debatten geben, wie das gemeinsame Währungsgebiet mit 17 Ländern geführt werden soll. Fachleute der angesehenen Denkfabrik European Policy Centre in Brüssel meinen, der neue Fiskalvertrag sei zwar eine wichtiger Etappe, reiche aber nicht aus. Die Experten sprechen sich für einen 'New Deal' aus, um Spar- und Wachstumspolitik miteinander zu verbinden. Der SPD-Europaparlamentarier Udo Bullmann meint: 'Um die drohende Rezession abzuwenden, brauchen wir dringend Wachstumsimpulse und eine gesicherte Basis für die Refinanzierung der Eurostaaten.'
Ob den nervösen Finanzmärkten die Rundumerneuerung der Eurozone ausreicht, muss sich noch zeigen. Die Reaktionen auf den Krisengipfel vom 8. und 9. Dezember waren alles andere als euphorisch. Laut Experten müssen die Eurostaaten im kommenden Jahr die gewaltige Summe von etwa 800 Milliarden Euro mit Anleihen aufnehmen. Im Fokus steht vor allem Italien, das weiter hohe Risikoaufschläge für seine langfristigen Anleihen zahlen muss.
Viel Aufmerksamkeit wird sich auch auf den diskreten Notenbanker Draghi richten. Bisher weigerte er sich, die 'Big Bazooka' (große Panzerfaust) herauszuholen und Staatsanleihen von Wackelkandidaten im großen Stil aufzukaufen.
'Der EZB ist die Finanzstabilität wichtig, aber die Glaubwürdigkeit der Institution darf nicht geschwächt werden', lautet sein Credo. Der neue Fiskalpakt könnte den früheren Goldman-Sachs-Manager laut Experten davon überzeugen, vorübergehend als Retter in der Not aufzutreten. Bei der Flutung des Bankensystems mit Hunderten von Milliarden zum Abwenden einer Kreditklemme demonstriert der Ex-Chef der Banca d'Italia, dass er handlungsfähig ist./cb/DP/jkr
--- Von Christian Böhmer, dpa ---