FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Anfang August wurden die Märkte von einer heftigen Verkaufswelle erfasst. Die Aktienvolatilität steigerte sich auf Niveaus, die an Corona und Finanzkrise erinnern. Warum das für Anlegende halb so wild ist, erläutert Ali Masarwah, Analyst und Geschäftsführer des Finanzdienstleisters envestor.
12. August 2024. FRANKFURT (envestor). Anfang August war es wieder einmal so weit. Nach schwachen US-Arbeitsmarktdaten brachen die Aktienkurse weltweit ein, die Volatilität stieg dramatisch an. Drei Fragen drängen sich auf: Wer oder was war der Auslöser - whudunnit? Sind wir Zeugen des Beginns einer Korrektur geworden? Und, vor allem: was tun? Die ersten zwei Fragen sind spekulativ, die letzte ist dagegen recht einfach zu beantworten. Aber der Reihe nach:
1. Whodunnit?
Weil Analysten und Medien ganz groß darin sind, es im Nachhinein genau zu wissen, hier das Bouquet an Begründungen, die seit Anfang August diskutiert werden: Die Zinsen in den USA sind hoch, und die jüngsten Arbeitsmarktdaten haben Sorgen um die wirtschaftliche Stabilität geschürt. Geopolitische Spannungen im Nahen Osten drohen zu eskalieren. Der jüngste Zinsanstieg in Japan hat dem Yen zu einer neuen Stärke verholfen, was zur Auflösung von Carry-Trades geführt hat. (Professionelle Anlegende verschulden sich oft in Niedrigzinswährungen, um das Geld höherverzinst anderswo zu investieren - etwa in Schwellenländern. Steigen die Zinsen im Währungsraum mit niedrigen Zinsen werden die Karten neu gemischt, und es fließen Gelder aus dem Hochzinsmarkt ab.)
Auch die hohen Bewertungen von US-Technologieaktien wurden als Faktor für die Verkaufswelle an den Aktienmärkten genannt. Alle die oben genannten Begründungen sind plausibel, gesichert lässt sich aber nur sagen, dass mehr Anlegende verkauft, als andere gekauft haben. Die Spekulationen über die Gründe sindinteressant für Analysten wie mich, aber das macht sie für Otto-Normalanlegende nicht unbedingt relevant.
2. Ist der August-Crash der Anfang einer großen Neubewertung von Risikopapieren?
Gesichert lässt sich nur sagen, dass es Anfang August heftig nach unten ging und sich die Kurse seitdem ordentlich erholt haben. Wer am 1. August seine mobilen Daten ausschaltete und sich an den Strand mit einem guten Buch zurückzog und das Buch am 9. August zuklappte, nimmt einen Verlust von 3,2 Prozent beim S&P 500 und ein Minus von 9 Prozent bei Nikkei zur Kenntnis. Der Dax gab in der Zeit um gut 4 Prozent nach. Das ist nicht bemerkenswert. Wir sollten deshalb tunlichst nicht von einem "Crash" sprechen, sondern von einem "Rücksetzer".
Wer nach fundamentalen Gründen für eine Fortdauer der Korrektur sucht, findet in den weiter oben genannten Begründungen für die August-Kurs-Rücksetzer keine schlagenden Beweise, dass wir vor dem Anfang einer großen Neubewertung von Risikopapieren stehen. Da sind einmal die US-Konjunkturdaten: Es wurden weniger Arbeitsplätze im zweiten Quartal geschaffen, als Analysten erwartet hatten. Der US-Jobmarkt ist also nicht geschrumpft, sondern nur weniger stark gewachsen. Und weil vorläufige Daten im Nachhinein oft nach oben korrigiert werden, ist ein zunächst schwach erscheinendes Quartal im Nachhinein nicht immer schwach. Zudem können einzelne Daten Fehlsignale sein. Das schwache Wirtschaftswachstum im ersten Quartal hatte beispielsweise auch Befürchtungen über eine beginnende Rezession in den USA geweckt, die im zweiten Quartal nicht eintrat. Politische Eskalationen sind im Nahen Osten leider Tagesgeschäft - auch wenn das Niveau der Gewalt seit dem 7. Oktober 2023 beängstigend ist. Auch wenn die Quartalszahlen der US-Tech-Giganten nicht brillant waren, waren sie nicht schlecht genug, um einen großen Abverkauf zu rechtfertigen. Dass der wiedererstarkte Yen zur Auflösung einiger Carry-Trades geführt hat, liegt nah. Aber die Zinsen in Japan sind von 0,1 auf 0,25 Prozent gestiegen, sodass mit Sicherheit nicht alle Carry-Trades aufgelöst wurden. Mein Eindruck ist, dass Carry-Trades immer dann als Begründung für Marktbewegungen herhalten müssen, wenn Beobachter keine Ahnung haben, warum gerade etwas passiert - ähnlich wie früher die Hinweise auf Aktivitäten von ominösen "Hedgefonds" oder "Short-Sellern".
3. Aus diesem Konvolut an Spekulationen leitet sich die recht einfache Handlungsempfehlung für Anlegende ab: nichts tun ist zumeist der beste Ratgeber in unsicheren Zeiten.
Die Unsicherheit an den Kapitalmärkten ist ein ständiger Begleiter - manchmal ist die sie größer, manchmal ist sie kleiner. Als Handlungsanleitung ist die Volatilität für Langfristanlegende unbrauchbar. Wer sich heute entscheidet auszusteigen, um "den Sturm an den Märkten zu umschiffen", läuft Gefahr, die besten Tage zu verpassen. Wer seit Januar 2000 durchgehend investiert blieb, erzielte am US-Aktienmarkt bis Ende Juli 2024 ein Plus von knapp 500 Prozent. Beim DAX sprangen gut 160 Prozent heraus. Wer dagegen die besten zehn Tage verpasste, reduzierte damit sein Plus beim S&P 500 auf nur noch 132 Prozent. Das besagte DAX-Investment zwischen Anfang 2000 und Juli 2024 rutschte ab auf minus 25 Prozent. Denn nach einer Korrektur (die Anlegende mitnehmen) folgen die Tage mit den höchsten Kursgewinnen (die besagte "Risikomanager" verpassen). Die simple Gleichung lautet also: Wer die langfristig erzielbaren Renditen am Kapitalmarkt mitnehmen möchte, muss die turbulenten Phasen aushalten.
Von Ali Masarwah, 12. August 2024, © envestor.de
Ali Masarwah ist Fondsanalyst und Geschäftsführer von envestor.de, eine der wenigen Fondsplattform, die Cashbacks auf Fonds-Vertriebsgebühren zahlt. Masarwah analysiert seit über 20 Jahren Märkte, Fonds und ETFs, zuletzt als Analyst beim Research-Haus Morningstar. Seine Expertise wird auch von zahlreichen Finanzmedien im deutschsprachigen Raum geschätzt.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse (ETR:DB1Gn) AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.