FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 13. September 2012. Oliver Roth befasst sich mit den Risiken der Schuldenkrise im Allgemeinen und den Risiken der möglichen Auswege - Integration oder Exit.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist gefällt. Ja zum ESM, aber u.a. mit Haftungsbeschränkung. Durch das unbegrenzte Anleiheaufkaufprogramm der EZB steigt dennoch das Haftungsrisiko für Deutschland. Die Debatte über die wirtschafts- und finanzpolitischen Risiken ist wieder voll entbrannt. Dagegen kommt die viel wesentlichere Debatte um die Zukunft der politischen Union gar nicht erst in Fahrt. Die geplanten wirtschaftlichen Reformen im Euroraum können nur mit markanten politischen Reformen einhergehen und dazu müssten die Völker Europas ihr Einverständnis geben. Noch sind klare politische Ziele oder Konzepte nicht vorhanden. Quo vadis Europa?
Die Kanzlerin hat sich für den ESM stark gemacht und so kann das Urteil als Sieg von Angela Merkel gewertet werden. Das Verfassungsgericht hat aber mit dem Urteil auch die Verantwortung für das Krisenmanagement an die Politik zurückgegeben. Der Bundestag und der Bundesrat müssen einer Vergrößerung des Rettungsschirms gefragt werden. Auch sollen die ESM-Mitarbeiter künftig gegenüber der Exekutive einer Auskunftspflicht unterliegen, was bisher nicht angedacht war. Das stärkt zwar vordergründig das Parlament, aber durch die Verknüpfung von EZB-Anleiheaufkäufen und dem ESM/EFSF wird das Haftungsrisiko der Teilnehmerstaaten und damit auch Deutschlands trotzdem faktisch grenzenlos.
Die jüngste Entscheidung der EZB steht im Übrigen ebenfalls auf dem juristischen Prüfstand beim Europäischen Gerichtshof. Doch ein Urteil kann dauern. Wenn man also das Urteil zum ESM genau betrachtet, so wird klar, dass die Auflagen im ESM-Urteil des Bundesverfassungsgerichts an Bedeutung verlieren. Deutschlands materielle Haftung ist tatsächlich uneingeschränkt.
Es gibt keinen goldenen Mittelweg aus der Schuldenkrise heraus. Es gibt wohl nur noch zwei polarisierende Auswege aus der Krise. Beide Wege sind mit großen Risiken verbunden. Mehr oder weniger Europa ist die Frage, die es zu beantworten gilt.
Der Weg zurück wäre besonders für Deutschland schmerzhaft, denn finanzpolitisch sollte es dramatische Folgen haben. Bereits jetzt haftet Deutschland mit 300 Milliarden Euro für die Eurozone, die im Falle von Pleiten abzuschreiben wären. Was aus den aktuell 750 Milliarden Euro aus den Target II-Defiziten der Bundesbank würde, bliebe abzuwarten. Weitere Milliarden würden durch die folgende Wirtschaftskrise und Abschreibungen in der Privatwirtschaft verloren gehen, Arbeitsplätze weltweit massiv bedroht.
Aber auch der Weg der verstärkten Integration der Eurozone birgt beträchtliche Risiken, de Facto sogar noch größere als der Weg zurück. Deutschland ist haftungstechnisch bereits jetzt bis zur Grenze belastet. Eine weitere Erhöhung der Haftung würde im Falle des Misserfolgs eine Pleite Deutschlands nach sich ziehen. Beispielsweise sind die Zinsen bereits mit 38 Milliarden Euro der zweitgrößte Posten im Bundesetat. Mit über 2,1 Billionen Euro Gesamtverschuldung liegt Deutschland jetzt schon auf Rekordschuldenniveau. Mehr Integration ist auch ohne die Mehrheit der Bevölkerung kaum denkbar. Aber Volksabstimmungen haben in der momentanen Lage keine guten Erfolgsaussichten.
In der Debatte um die Schuldenkrise stehen bisher hauptsächlich wirtschafts- und finanzpolitische Themen im Vordergrund. Im Zentrum stehen das Für und Wider von Fiskalunion, Griechenland-Exit, Bankenunion und vieles mehr. Das alles sind wichtige Details im Krisenmanagement innerhalb der Schuldenkrise.
Aber es können doch nur Mosaiksteine im großen Plan sein. Doch wie soll der aussehen und hat überhaupt einer der Spitzenpolitiker Europas eine Art von Masterplan? Offensichtlich wollen die Spitzen der Politik in Europa mehr Integration. Merkel und Schäuble sprachen sich bereits wiederholt für das Abgeben von Kompetenzen nach Brüssel aus. Aber ein klares Ziel ist damit noch nicht definiert. Die buddhistische Weisheit, dass der Weg das Ziel sei, führt hier kaum zum Ziel.
Wie soll das zukünftige Europa aussehen? Bundesstaat oder Staatenbund? Werden nationale Souveränitätsrechte zuvor nach Brüssel abgebeben? Kommt eine europäische Verfassung? Und wer entscheidet darüber? Der Bundestag und Bundesrat oder die Bevölkerung per Volksabstimmung? Wie sollen demokratische Strukturen in den europäischen Institutionen gestärkt werden?
Die Politik muss endlich erklären, um was es ihr geht und wohin sie will. Die Entscheidungen der EZB und des Bundesverfassungsgericht verschaffen Zeit. Carpe diem - nutze den Tag.
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© 13. September 2012/Oliver Roth
* Oliver Roth ist der Kapitalmarktstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Mehr über Oliver Roth auf www.oliver-roth.de.
Dieser Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, nicht die der Redaktion von boerse-frankfurt.de. Sein Inhalt ist die alleinige Verantwortung des Autors.
(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist gefällt. Ja zum ESM, aber u.a. mit Haftungsbeschränkung. Durch das unbegrenzte Anleiheaufkaufprogramm der EZB steigt dennoch das Haftungsrisiko für Deutschland. Die Debatte über die wirtschafts- und finanzpolitischen Risiken ist wieder voll entbrannt. Dagegen kommt die viel wesentlichere Debatte um die Zukunft der politischen Union gar nicht erst in Fahrt. Die geplanten wirtschaftlichen Reformen im Euroraum können nur mit markanten politischen Reformen einhergehen und dazu müssten die Völker Europas ihr Einverständnis geben. Noch sind klare politische Ziele oder Konzepte nicht vorhanden. Quo vadis Europa?
Die Kanzlerin hat sich für den ESM stark gemacht und so kann das Urteil als Sieg von Angela Merkel gewertet werden. Das Verfassungsgericht hat aber mit dem Urteil auch die Verantwortung für das Krisenmanagement an die Politik zurückgegeben. Der Bundestag und der Bundesrat müssen einer Vergrößerung des Rettungsschirms gefragt werden. Auch sollen die ESM-Mitarbeiter künftig gegenüber der Exekutive einer Auskunftspflicht unterliegen, was bisher nicht angedacht war. Das stärkt zwar vordergründig das Parlament, aber durch die Verknüpfung von EZB-Anleiheaufkäufen und dem ESM/EFSF wird das Haftungsrisiko der Teilnehmerstaaten und damit auch Deutschlands trotzdem faktisch grenzenlos.
Die jüngste Entscheidung der EZB steht im Übrigen ebenfalls auf dem juristischen Prüfstand beim Europäischen Gerichtshof. Doch ein Urteil kann dauern. Wenn man also das Urteil zum ESM genau betrachtet, so wird klar, dass die Auflagen im ESM-Urteil des Bundesverfassungsgerichts an Bedeutung verlieren. Deutschlands materielle Haftung ist tatsächlich uneingeschränkt.
Es gibt keinen goldenen Mittelweg aus der Schuldenkrise heraus. Es gibt wohl nur noch zwei polarisierende Auswege aus der Krise. Beide Wege sind mit großen Risiken verbunden. Mehr oder weniger Europa ist die Frage, die es zu beantworten gilt.
Der Weg zurück wäre besonders für Deutschland schmerzhaft, denn finanzpolitisch sollte es dramatische Folgen haben. Bereits jetzt haftet Deutschland mit 300 Milliarden Euro für die Eurozone, die im Falle von Pleiten abzuschreiben wären. Was aus den aktuell 750 Milliarden Euro aus den Target II-Defiziten der Bundesbank würde, bliebe abzuwarten. Weitere Milliarden würden durch die folgende Wirtschaftskrise und Abschreibungen in der Privatwirtschaft verloren gehen, Arbeitsplätze weltweit massiv bedroht.
Aber auch der Weg der verstärkten Integration der Eurozone birgt beträchtliche Risiken, de Facto sogar noch größere als der Weg zurück. Deutschland ist haftungstechnisch bereits jetzt bis zur Grenze belastet. Eine weitere Erhöhung der Haftung würde im Falle des Misserfolgs eine Pleite Deutschlands nach sich ziehen. Beispielsweise sind die Zinsen bereits mit 38 Milliarden Euro der zweitgrößte Posten im Bundesetat. Mit über 2,1 Billionen Euro Gesamtverschuldung liegt Deutschland jetzt schon auf Rekordschuldenniveau. Mehr Integration ist auch ohne die Mehrheit der Bevölkerung kaum denkbar. Aber Volksabstimmungen haben in der momentanen Lage keine guten Erfolgsaussichten.
In der Debatte um die Schuldenkrise stehen bisher hauptsächlich wirtschafts- und finanzpolitische Themen im Vordergrund. Im Zentrum stehen das Für und Wider von Fiskalunion, Griechenland-Exit, Bankenunion und vieles mehr. Das alles sind wichtige Details im Krisenmanagement innerhalb der Schuldenkrise.
Aber es können doch nur Mosaiksteine im großen Plan sein. Doch wie soll der aussehen und hat überhaupt einer der Spitzenpolitiker Europas eine Art von Masterplan? Offensichtlich wollen die Spitzen der Politik in Europa mehr Integration. Merkel und Schäuble sprachen sich bereits wiederholt für das Abgeben von Kompetenzen nach Brüssel aus. Aber ein klares Ziel ist damit noch nicht definiert. Die buddhistische Weisheit, dass der Weg das Ziel sei, führt hier kaum zum Ziel.
Wie soll das zukünftige Europa aussehen? Bundesstaat oder Staatenbund? Werden nationale Souveränitätsrechte zuvor nach Brüssel abgebeben? Kommt eine europäische Verfassung? Und wer entscheidet darüber? Der Bundestag und Bundesrat oder die Bevölkerung per Volksabstimmung? Wie sollen demokratische Strukturen in den europäischen Institutionen gestärkt werden?
Die Politik muss endlich erklären, um was es ihr geht und wohin sie will. Die Entscheidungen der EZB und des Bundesverfassungsgericht verschaffen Zeit. Carpe diem - nutze den Tag.
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© 13. September 2012/Oliver Roth
* Oliver Roth ist der Kapitalmarktstratege der Close Brothers Seydler Bank AG, ein eigenständiges Tochterunternehmen der an der London Stock Exchange gelisteten Close Brothers Group plc, London. Mehr über Oliver Roth auf www.oliver-roth.de.
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