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HINTERGRUND 2/Schicksalstag in der Schweiz: Was es mit dem Vollgeld auf sich hat

Veröffentlicht am 08.06.2018, 13:19
Aktualisiert 08.06.2018, 13:25
© Reuters.  HINTERGRUND 2/Schicksalstag in der Schweiz: Was es mit dem Vollgeld auf sich hat
CBKG
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(Aktualisierte Fassung des Hintergrunds vom 6. Juni; neu: dritte Frage mit Einschätzung der Nordea-Bank, FT-Ökonom Wolf bei siebter Frage)

FRANKFURT (dpa-AFX) - Dass die Schweizer bis Sonntag bei einer Volksabstimmung über das sogenannte Vollgeld mit "Nein" stimmen werden, gilt als sehr wahrscheinlich. Eine Überraschung würde aber eine der radikalsten Reformen des Finanzsystems in der Geschichte bedeuten. Und das in einem Land, dessen Finanzbranche für fast 10 Prozent der Wirtschaftskraft steht. Eines haben die Vollgeld-Fans schon jetzt erreicht: Sie haben auch über die Schweiz hinaus eine Grundsatzdebatte über das Geldsystem angestoßen.

Was ist Vollgeld?

Vollgeld ist von der Zentralbank geschaffenes Geld, das gesetzlich anerkannt ist. Eine Form davon kennt jeder: das Bargeld. Es gibt zwar auch Vollgeld auf Konten bei der Notenbank. In der Schweiz wie auch andernorts können aber per Gesetz nur Banken Zentralbankkonten haben. Bürger und Firmen sind auf Konten bei Geschäftsbanken angewiesen. Das dort gehaltene Giralgeld ist kein Vollgeld, sondern lediglich eine auf Vollgeld lautende Forderung gegenüber der Bank. Solange die Bank nicht in Zahlungsschwierigkeiten gerät, merkt der Kunde davon nichts. Deshalb ist der Unterschied zwischen Zentralbank- und Giralgeld vielen gar nicht bewusst.

Was fordern die Initiatoren des Referendums?

Sie wollen, dass alle Giroguthaben in Vollgeld umgewandelt werden und die Konten außerhalb der Bankbilanzen geführt werden. "Genauso wie Bargeld, das in einem Schließfach bei einer Geschäftsbank aufbewahrt wird, würde elektronisches Geld zwar von einer Bank verwaltet, es wäre aber ein direktes Guthaben gegenüber der SNB", sagt Martin Brown, Experte für Bankwirtschaft an der Universität St. Gallen. Dafür verzichten die Kunden auf Zinsen - wie beim Bargeld auch.

Wie wahrscheinlich ist ein "Ja" zum Vollgeld?

Sehr unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Jüngste Umfragen sehen zwar nur rund ein Drittel Zustimmung. Es sind demnach aber auch nur wenig mehr als die Hälfte explizit dagegen. Viele sind noch unentschieden. Andreas Steno Larsen, Experte bei der Bank Nordea, warnt, an den Finanzmärkten sei man zu gelassen. Ein "Ja" wäre ein "absoluter Schock" - der Wert des Schweizer Franken dürfte abstürzen.

Was wäre die gravierendste Veränderung für das Geldsystem?

Die Geldschöpfung durch Geschäftsbanken wäre abgeschafft. Diese kommt zustande, wenn eine Bank einem Kunden einen Kredit gibt und ihm Geld auf seinem Konto gutschreibt. Die Bank verpflichtet sich zwar zur Bargeld-Auszahlung auf Wunsch. Tatsächlich fordern die Kunden dies aber nur zu einem Bruchteil ein. Denn die meisten Transaktionen, wie etwa Gehalts- oder Mietüberweisungen, finden bargeldlos zwischen Konten von Geschäftsbanken statt. Das Giralgeld der Banken ergänzt also das Zentralbankgeld. Kritiker des Geldsystems bezeichnen das häufig als Geldschöpfung "aus dem Nichts".

Welche Vorteile erhoffen sich die Vollgeld-Freunde?

Die Konten der Bürger sollen auch bei Bankpleiten sicher sein. "Das Geld gehört dann wirklich nur noch uns und nicht zur Konkursmasse der Banken", sagt Reinhold Harringer, Sprecher der Vollgeld-Initiative und Ex-Finanzverwalter von St. Gallen. Umgekehrt könnten panikartige Abhebungen Banken nicht in die Bredouille bringen, argumentieren er und seine Mitstreiter. Außerdem wäre die Geldmenge direkt durch die Zentralbank steuerbar. Dies mache das Finanzsystem stabiler und weniger anfällig für Blasenbildungen, wie sie in der Schweiz derzeit einige Experten etwa am Immobilienmarkt befürchten.

Was halten die Regierung und die SNB von der Idee?

Sie sind entschieden dagegen und warnen vor unberechenbaren Folgen. Man würde "absolutes Neuland" betreten und enorme Unsicherheiten in Kauf nehmen, sagte SNB-Vizepräsident Fritz Zurbrügg der Zeitung "Schweiz am Wochenende". Der Bundesrat warnt vor einer Machtkonzentration bei der Notenbank und vor einer starken Einschränkung und Verteuerung der Kreditvergabe. Auch weist er darauf hin, dass durch die Einlagensicherung 100 000 Schweizer Franken je Kunde pro Bank ohnehin gesichert seien.

Was sagen Ökonomen zu dem Vollgeld?

Es gibt Zustimmung - etwa von Martin Wolf, Chefökonom der "Financial Times". Die meisten halten aber nichts davon. Bankenkrisen seien selten auf Probleme mit Kundenkonten zurückzuführen, sagt Experte Brown. Die Vollgeld-Initiative sieht er als Ausdruck von Misstrauen gegen Banken. "Zehn Jahre nach der globalen Finanzkrise scheint ein wesentlicher Teil der Bevölkerung Geschäftsbanken als Unternehmen anzusehen, in denen sich geldgierige Manager und Aktionäre auf Kosten des Normalbürgers bereichern." Ulrich Stolzenburg, Forscher beim Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), sieht zwar Vorteile für die Finanzstabilität und die Staatskasse; dem stünden aber steigende Finanzierungskosten sowie eine Anpassungskrise bei den Banken gegenüber.

Was würde das Vollgeld für den Staat und für die Geldpolitik bedeuten?

Um Preisstabilität zu sichern, muss bei wachsender Wirtschaftskraft auch die Geldmenge steigen. Während die SNB diese derzeit über ihre Leitzinsen steuert, würde sie künftig neues Geld an den Staat oder die Bürger quasi verschenken. Diese Idee ist unter Ökonomen als "Helikoptergeld" bekannt und sehr umstritten. Was die Vollgeld-Befürworter als "erfreulichen Nebeneffekt" bezeichnen, ist für Jörg Krämer, Chefvolkswirt bei der Commerzbank (DE:CBKG), "Staatsfinanzierung durch die Notenpresse". Die Unabhängigkeit der SNB wäre demnach dahin, sie würde zu immer höheren Geldgeschenken gedrängt, die Inflation würde grassieren und die Wirtschaft destabilisieren - genau das Gegenteil von dem, was sich die Vollgeld-Freunde erhoffen.

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