Oppositionspolitiker und Gewerkschafter kritisieren die Auslegung der Bundesregierung zum Mindestlohn bei Flüchtlingen und Zuwanderern. Diese müssen demnach keinen Mindestlohn bekommen, wenn sie für die Anerkennung ihres Berufsabschlusses noch Praxiserfahrung oder andere Qualifikationen brauchen. Hier gehe es nicht um eine Ausnahme vom Mindestlohngesetz, sondern darum, Menschen bestmöglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sagte ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums am Montag.
Es sei ein neues Phänomen, "dass viele Menschen zu uns kommen" mit einer im Herkunftsland erworbenen Berufsausbildung, sagte der Ministeriumssprecher in Berlin. Ihnen fehlten zum Teil Fähigkeiten für die Anerkennung eines Abschlusses, etwa Praxiserfahrung. Die Zeit, in der sie dies nachholen, sei "mindestlohnfrei" zu stellen.
Es sei nie umstritten gewesen, dass Ausbildungsgänge mindestlohnfrei seien, fuhr der Sprecher fort. Insofern werde es auch keine Änderungen am Mindestlohngesetz geben, sondern "Klarstellungen". Angaben, wie viele Flüchtlinge und Zuwanderer betroffen sind, kann die Regierung laut dem Ministeriumssprecher nicht machen.
Die Grünen-Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik, Brigitte Pothmer, kündigte eine juristische Überprüfung dazu an, ob die "Interpretationen" der Bundesregierung tatsächlich vom Mindestlohngesetz gedeckt seien. Sonderauslegungen des Mindestlohngesetzes für Zuwanderer und Geflüchtete dürfe es nicht geben, erklärte sie. Es müssten dieselben Regeln für alle gelten.
Linken-Chef Bernd Riexinger erklärte, der "ohnehin schon zu niedrige und von Ausnahmen durchlöcherte Mindestlohn" dürfe nicht noch weiter ausgehöhlt werden. Die Regierung spiele so Flüchtlinge gegen die Menschen aus, die auf den Mindestlohn angewiesen seien. "Das spielt nur den Rechtspopulisten in die Hände".
Die Linke fordert einen flächendeckenden Mindestlohn ohne Ausnahmen in Höhe von zwölf Euro. Der Mindestlohn war zum Jahreswechsel erstmals seit seiner Einführung 2015 angehoben worden, und zwar von 8,50 Euro auf 8,84 Euro pro Stunde.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) befürchtet von den "Klarstellungen" der Bundesregierung, "dass klassische Einarbeitungsphasen zu monatelangen betrieblichen Qualifizierungsphasen und die Beschäftigten zu Pflicht-Praktikanten umdeklariert werden", wie Vorstandsmitglied Stefan Körzell der "Süddeutschen Zeitung" sagte. Schon jetzt würden Unternehmen "Flüchtlinge, die sich mit ihren Rechten noch nicht auskennen, als billige Arbeitskräfte ausnutzen".
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) wies die Kritik im Gespräch mit der "SZ" zurück. Es gehe um ausbildungsähnliche Qualifizierungen, die nicht unter den Mindestlohn fielen. Würden dafür die 8,84 Euro gelten, würde dies die Bereitschaft der Betriebe bremsen, solche Angebote zu machen. "Für die Betroffenen würde der Weg in Ausbildung und Beschäftigung dadurch erschwert."