Berlin (Reuters) - Angesichts der guten Konjunktur steigen die Löhne in Deutschland nach Einschätzung der Industriestaaten-Organisation OECD zu langsam.
"Das Lohnwachstum ist verhalten geblieben, trotz der niedrigen Arbeitslosigkeit und der wachsenden Zahl freier Stellen", erklärte die OECD in ihrem am Dienstag veröffentlichten Beschäftigungsausblick. "Einstiegslöhne für Zuwanderer sind niedrig, und eine hohe Zahl älterer Arbeitnehmer und Zweitverdiener haben gering entlohnte Stellen angenommen." 2016 seien die Löhne um zwei Prozent gestiegen, 2018 dürften es 2,5 Prozent werden, während die Arbeitslosigkeit weiter sinke. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles sagte: "Die Entwicklung im unteren Einkommensbereich ist ein Problem." Während es dort nach Abzug der Inflation in den letzten Jahren keinen Anstieg gegeben habe, sei dieser bei den oberen 60 Prozent umso stärker gewesen.
Für verbesserungswürdig hält OECD-Generalsekretär Angel Gurria noch andere Dinge. "Zwei Schwächen der Entwicklung in Deutschland sind der höhere Anteil von Arbeitsplätzen mit starkem arbeitsbedingtem Stress und eine große Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern", erklärte er. "Letztere rührt vor allem daher, dass Frauen weniger Arbeitsstunden aufweisen als Männer." Um das zu ändern, rät die Organisation zu einer niedrigeren Besteuerung von Zweitverdienern. Dadurch könnten der Anteil von Frauen in Vollzeitarbeit erhöht und ihre Karrierechancen verbessert werden. "Flächendeckende Angebote für Ganztagsbetreuung von Kindern und Ganztagsschulen würden es Eltern einfacher machen, Familie und Arbeit in Vollzeit zu vereinbaren."
Nahles sagte, sie werde sich weiter für ein Rückkehrrecht von Eltern auf eine Vollzeitstelle einsetzen, was gerade Frauen helfen würde. Dieses Vorhaben hatte die SPD-Politikerin kürzlich aufgegeben, nachdem in der Koalition und bei den Arbeitgebern für ihre Pläne keine Unterstützung kam. Zudem sei es wichtig, die Bundesagentur für Arbeit (BA) in eine Agentur für Arbeit und Qualifizierung weiter zu entwickeln. Es könne mehr und zugleich besser bezahlte Jobs geben.
Die OECD sieht den deutschen Arbeitsmarkt insgesamt aber in einer guten Verfassung. Gurria führte dies auch auf das Zusammenspiel von Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften zurück. Bis Ende 2018 werde die nach internationalen Standards berechnete Arbeitslosenquote auf 3,7 Prozent sinken. Das sei weniger als die Hälfte des Niveaus von 2007, als die weltweite Finanzkrise ihren Lauf nahm. Der Schnitt der 35 OECD-Länder liegt derzeit bei 6,2 Prozent. "Die Einführung eines bundesweiten Mindestlohns am 1. Januar 2015 hat den seit sieben Jahren währenden Rückgang der Arbeitslosigkeit nicht unterbrochen", betonte die OECD.