Börsen-Zeitung: Angstschweiz, Kommentar zur EU-Freizügigkeit von
Detlef Fechtner
Frankfurt (ots) - Die Schweizer haben, wenn auch denkbar knapp,
dafür votiert, dass der Zuzug von EU-Bürgern beschränkt werden soll.
EU-Politiker waren eilig bemüht zu behaupten, dass sich die Schweiz
damit vor allem selbst schade. Das ist insofern richtig, als gerade
eine vom Außenhandel so abhängige Volkswirtschaft wie die
schweizerische ein hohes Risiko eingeht. Das ist aber zugleich
dahingehend falsch, als der Ausgang der Initiative auch erhebliche
Probleme für die EU mit sich bringt. Denn die gerät in eine
Zwickmühle. Einerseits will Brüssel den Schaden für das Verhältnis
mit Bern allein schon aus Eigennutz gering halten. Andererseits kann
die EU-Kommission den Schweizern kaum entgegenkommen, will sie nicht
das Prinzip der Freizügigkeit relativieren - und damit entkernen.
Man stelle sich nur vor, dass ein für den Binnenmarkt zuständiger
EU-Kommissar einfach so hinnehmen würde, dass die Schweiz dauerhaft
den Zuzug von Deutschen und Italienern kontingentiert, ohne den
erleichterten Zugang von Schweizer Firmen zum EU-Markt auf den
Prüfstand zu stellen. Es ist nur eine Frage von Nanosekunden, bis
Rechtspopulisten in Frankreich oder Österreich ebenfalls auf
Beschränkung der Zuwanderung in ihr Land pochen würden, die sie
ohnehin lange fordern.
Das Schweizer Votum verdeutlicht insofern ein schwerwiegendes
Problem. In einigen Staaten Europas empfinden die Bürger die
Nachteile, die ihnen die Union bringt, gewichtiger als die Vorteile.
Die Angst, durch Integration etwas zu verlieren, ist für viele
Menschen präsenter als die Angst, durch Isolation etwas zu verlieren.
Jene, die in der Schweiz vor Überfremdung, Verkehrsinfarkt oder
Verdrängung aus dem Job gewarnt haben, wurden gehört. Dagegen fanden
jene, die Wohlstandsverluste im Falle einer Abkopplung von der EU
prognostizierten, wenig Gehör. Das müsste in Brüssel vielen den
Angstschweiß auf die Stirn treiben. Denn das Schweizer Ergebnis ist
erneuter Beleg, dass den Fürsprechern der EU nicht mehr abgenommen
wird, dass offene Märkte und offene Grenzen wirklich Nutzen stiften -
und zwar nicht nur den Eliten, sondern allen Europäern.
Einige EU-Vertreter haben gestern schnell zu beruhigen versucht,
indem sie daran erinnert haben, dass ja noch drei Jahre Zeit für
Verhandlungen bleiben. Das ist ein unbedachter Hinweis. Denn wenn
Bern und Brüssel tatsächlich auf Zeit spielen, dann fällt das Finale
des europäisch-schweizerischen Pokers womöglich mit dem britischen
Referendum zusammen. Das will sich lieber niemand vorstellen.
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