Börsen-Zeitung: Very british, Marktkommentar von Stefan Schaaf
Frankfurt (ots) - Man kann den Briten gewiss keinen Hang zur Panik
unterstellen. Schließlich ist "Keep calm an carry on" (Ruhig bleiben
und weitermachen) das inoffizielle Landesmotto. Als kürzlich jedoch
eine Umfrage eine Mehrheit für eine schottische Unabhängigkeit
signalisierte und damit das Ende des Vereinigten Königreichs in
Aussicht stand, rutschte so manchem Briten das Herz in die Hose - und
zahlreichen Investoren ohnehin.
In einem globalen Umfeld niedriger Volatilität - der üppigen
Liquiditätsversorgung sei Dank - fielen britische Anlagen jüngst aus
dem Rahmen. Britische Aktien waren jüngst die Underperformer
gegenüber Gesamteuropa. Der Londoner Leitindex FTSE 100 entwickelte
sich seit jener Umfrage schlechter als der europäische Stoxx 600. Am
Anleihemarkt reagierten hingegen britische Staatsanleihen kaum,
obwohl unklar war, wer im Falle eines Auseinanderbrechens des
Königreichs die Gilts garantieren und bedienen würde. Dafür kamen
spanische Anleihen unter die Räder: Anleger fürchteten eine
Signalwirkung aus Schottland für die ebenfalls nach Unabhängigkeit
strebende spanische Region Katalonien. Die Gegend um Barcelona gilt
als ökonomisches Kraftzentrum Spaniens.
Keine Euphorie
Nervös reagierte hingegen das Pfund Sterling auf jede Umfrage und
jede neue Spekulation darüber, welche Währung ein unabhängiges
Schottland haben könnte. Dies trieb skurrile Blüten, so wurde auch
gemutmaßt, die Schotten könnten ja direkt ins digitale Zeitalter
springen und die elektronische Währung Bitcoin einführen. Als der
Sieg der Unionisten bekannt wurde, brach der Bitcoin-Kurs zum Dollar
in der Tat um 9% ein. Dies war eine der auffälligsten Regungen.
Die Märkte reagierten auf den Sieg der Unionisten: very british,
leicht unterkühlt und gelassen. Dementsprechend wurden all diejenigen
enttäuscht, die einen Höhenflug von Pfund Sterling erwartet hatten.
Nach Gewinnen im asiatischen Handel - also in der Nacht zu Freitag -
beruhigte sich der Markt wieder, einige nahmen Gewinne mit. Am
Freitagabend wurde das Pfund im Tagesvergleich sogar 0,5% tiefer zu
1,6319 Dollar gehandelt. Damit hatte Sterling in etwa wieder das
Niveau erreicht, auf dem es vor Veröffentlichung der berühmten
Umfrage lag, welche eine schottische Unabhängigkeit vorhersagte.
Erleichterung ja, aber Euphorie sieht anders aus. Zurückhaltung auch
am Aktienmarkt: Der FTSE 100 legte gerade einmal 0,3% zu und war
damit ein wenig stärker als andere europäische Märkte. Das verwundert
auch nicht: Schließlich war, bei aller Unruhe, an den Märkten nicht
wirklich mit einer Unabhängigkeit Schottland gerechnet worden. Die
Mehrzahl der Investoren dürfte daher für ein Fortbestehen des seit
300 Jahren bestehenden Vereinigten Königreichs positioniert gewesen
sein. "Die Aufregung ist vorbei", konstatiert die Commerzbank. "Der
Markt kann sich wieder den ökonomischen Themen des weiterhin
vereinigten Königreichs widmen."
Mit dem Wegfallen eines politischen Großrisikos konzentrieren sich
die Märkte wieder auf die für sie relevanten Fundamentaldaten wie der
zuletzt unter den Erwartungen gebliebenen Inflationsrate und den
Zinsausblick. Schon für das Frühjahr wird eine Zinserhöhung der Bank
of England (BoE) erwartet. Damit wird der Euro sich zum Pfund wohl
weiter abschwächen, zumal nach dem Flop mit dem langfristigen
Refinanzierungsgeschäft der Europäischen Zentralbank (EZB) die
Erwartungen an Staatsanleihekäufe gestiegen sind. Global betrachtet
wird der Trend an den Finanzmärkten ohnehin nicht von der BoE, und
schon gar nicht von den Schotten vorgegeben. Hier wird in nächster
Zeit entscheidend sein, ob und wie die Federal Reserve ihre Zinswende
kommuniziert.
Börse London hinkt nach
Der britische Aktienmarkt dürfte in diesem Umfeld dem Rest Europas
auch weiter hinterherhinken. Während die Erwartungen steigender
britischer Zinsen den Londoner Markt bremsen dürfte, profitieren die
Börsen von Helsinki bis Lissabon derzeit von der Spekulation auf eine
geldpolitische Lockerung in der Eurozone. Zudem, darauf weist die UBS
in einer Studie hin, werde der britische Aktienmarkt wegen defensiver
Sektorgewichtung weniger als andere Börsen von der globalen Erholung
profitieren.
Schließlich bleibt die Unruhe über den Weg des Vereinigten
Königreichs hin zu mehr Föderalismus, quasi zum Federal Empire.
"Langfristige politische Fragen sind ungelöst, wir bleiben daher im
Vereinigten Königreich untergewichtet im Vergleich zu
Kontinentaleuropa", betont die UBS.
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