Börsen-Zeitung: Vom Gipfel enttäuscht, Börsenkommentar 'Marktplatz',
von Dieter Kuckelkorn.
Frankfurt (ots) - Die Krisen sind die großen Einiger. Das hat Jean
Monnet, Europäer der ersten Stunde, bereits vor vielen Jahren
festgestellt. Die Aussage scheint auch diesmal zu stimmen: Die 17
Staaten der Eurozone plus fast alle EU-Mitglieder außerhalb der
Eurozone haben sich auf schärfere Sanktionen bei einer künftigen
Missachtung der Grundsätze der Haushaltsdisziplin geeinigt. Man kann
die Übereinkunft durchaus als historisch betrachten - auch wenn sie
den erheblichen Schönheitsfehler hat, dass sich mit Großbritannien
ein einziges, aber wichtiges EU-Mitglied dem Deal entzogen und damit
sogar die angestrebte Reformierung des EU-Vertrags sabotiert hat.
Trotz der historischen Tragweite halten sich die Reaktionen an den
Märkten in engen Grenzen. Der Euro bleibt unter der Marke von 1,34
Dollar kleben, so als wäre nichts geschehen. Der Dax hat am Freitag
zwar um 1,9% auf knapp unter 6000 Punkte angezogen. Dafür gibt es
aber vor allem einen Grund, der mit dem EU-Gipfel nichts zu tun hat:
China legt einen neuen Fonds auf, um seine gigantischen
Devisenreserven nun auch stärker in Europa zu investieren.
Dass die Reaktionen auf die EU-Einigung dürftig ausgefallen sind,
liegt vor allem daran, dass die Akteure an den Kapitalmärkten
deutlich mehr erhofft hatten. Sie wollten positiv überrascht werden.
Mit den Ansätzen einer Fiskalunion, so bedeutsam diese für die
Weiterentwicklung der Europäischen Union sein mag, haben die
Marktteilnehmer nur wenig am Hut. Ihnen kommt es darauf an, dass dort
mehr getan wird, wo es aus ihrer Sicht brennt. Dies ist zum einen der
Bankensektor, der zwar von der am Donnerstag angekündigten Flutung
der Geldmärkte mit Liquidität durch die Europäische Zentralbank
profitiert, aber weiterhin nicht in den Genuss der Wohltat
unbegrenzter Stützungskäufe von Anleihen der Krisenstaaten kommt.
Zum anderen lässt die Einigung Staaten wie Italien, Spanien und
Griechenland weiter im Regen stehen. Sie erhalten keine
(zusätzlichen) Hilfen und müssen sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf
ziehen - ein Unterfangen, dessen Ausgang nach Ansicht vieler Anleger
ungewiss ist. Ob ein mit großen Belastungen für die Allgemeinheit
verbundener Bail-out der Banken und der Krisenstaaten, wie ihn sich
viele Marktteilnehmer mit Blick auf die eigenen finanziellen
Interessen insgeheim erhofft hatten, sinnvoll ist, sei dahingestellt.
Tatsache ist aber, dass seine Abwesen-heit dafür sorgt, dass die
Ergebnisse des Gipfels die Märkte kaltlassen.
Kalt lässt die Akteure an den Kapitalmärkten auch, dass sich
Großbritannien nun weitestgehend isoliert hat - was zumindest
langfristig negative Folgen für das britische Pfund haben könnte.
Aktuell hat die Insel-Währung kaum reagiert. Der Euro notierte am
Freitagabend mit 0,854 Pfund in etwa auf Vortagesstand. Immerhin ist
dies ein Monatshoch des britischen Pfund. Der Euro hat inzwischen die
deutlichen Gewinne, die er im Sommer gegenüber dem Stand zum
Jahresanfang aufwies, komplett verloren. Die relative Stärke des
Pfund gegenüber dem Euro ist darauf zurückzuführen, dass
Großbritannien zumindest für einen Teil der Investoren als sicherer
Hafen gilt. Dieser Status der Insel wird auch an den extrem niedrigen
Renditen britischer Staatsanleihen deutlich.
Das von dem britischen Premier David Cameron eingebrachte Veto
dürfte allerdings zur Folge haben, dass der britische Einfluss auf
die Kernstaaten der EU stark zurück-geht. Großbritannien wird künftig
noch mehr als bisher auf sich selbst gestellt sein. Die Tatsache,
dass die Insel über eine eigene Währung verfügt, hatte bislang zwar
überwiegend Vorteile. So hat sie verhindert, dass trotz einer für ein
Triple-A-Land sehr hohen Verschuldung noch wesentlich drastischere
Sparmaßnahmen notwendig wurden.
Das Land erscheint jedoch anfällig: Ein Untergang des Euro würde
die britische Volkswirtschaft schwer treffen. Und nach der
Deindustrialisierung der vergangenen Jahrzehnte hat die
krisengeschüttelte Finanzindustrie der Londoner City in der
britischen Volkswirtschaft ein ungesund hohes Gewicht - während
Cameron die von den übrigen EU-Staaten gewünschte stärkere
Regulierung des Finanzsektors blockiert. Es ist also durchaus
denkbar, dass sich das Marktsentiment mittelfristig gegen das Pfund
stellt. Dies ist dann zu erwarten, wenn dieEU bei der
Krisenbewältigung deutliche Fortschritte erzielt, für die die
Gipfelbeschlüsse vom Freitag vielleicht den Grundstein legen.
(Börsen-Zeitung, 10.12.2011)
Originaltext: Börsen-Zeitung
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Frankfurt (ots) - Die Krisen sind die großen Einiger. Das hat Jean
Monnet, Europäer der ersten Stunde, bereits vor vielen Jahren
festgestellt. Die Aussage scheint auch diesmal zu stimmen: Die 17
Staaten der Eurozone plus fast alle EU-Mitglieder außerhalb der
Eurozone haben sich auf schärfere Sanktionen bei einer künftigen
Missachtung der Grundsätze der Haushaltsdisziplin geeinigt. Man kann
die Übereinkunft durchaus als historisch betrachten - auch wenn sie
den erheblichen Schönheitsfehler hat, dass sich mit Großbritannien
ein einziges, aber wichtiges EU-Mitglied dem Deal entzogen und damit
sogar die angestrebte Reformierung des EU-Vertrags sabotiert hat.
Trotz der historischen Tragweite halten sich die Reaktionen an den
Märkten in engen Grenzen. Der Euro bleibt unter der Marke von 1,34
Dollar kleben, so als wäre nichts geschehen. Der Dax hat am Freitag
zwar um 1,9% auf knapp unter 6000 Punkte angezogen. Dafür gibt es
aber vor allem einen Grund, der mit dem EU-Gipfel nichts zu tun hat:
China legt einen neuen Fonds auf, um seine gigantischen
Devisenreserven nun auch stärker in Europa zu investieren.
Dass die Reaktionen auf die EU-Einigung dürftig ausgefallen sind,
liegt vor allem daran, dass die Akteure an den Kapitalmärkten
deutlich mehr erhofft hatten. Sie wollten positiv überrascht werden.
Mit den Ansätzen einer Fiskalunion, so bedeutsam diese für die
Weiterentwicklung der Europäischen Union sein mag, haben die
Marktteilnehmer nur wenig am Hut. Ihnen kommt es darauf an, dass dort
mehr getan wird, wo es aus ihrer Sicht brennt. Dies ist zum einen der
Bankensektor, der zwar von der am Donnerstag angekündigten Flutung
der Geldmärkte mit Liquidität durch die Europäische Zentralbank
profitiert, aber weiterhin nicht in den Genuss der Wohltat
unbegrenzter Stützungskäufe von Anleihen der Krisenstaaten kommt.
Zum anderen lässt die Einigung Staaten wie Italien, Spanien und
Griechenland weiter im Regen stehen. Sie erhalten keine
(zusätzlichen) Hilfen und müssen sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf
ziehen - ein Unterfangen, dessen Ausgang nach Ansicht vieler Anleger
ungewiss ist. Ob ein mit großen Belastungen für die Allgemeinheit
verbundener Bail-out der Banken und der Krisenstaaten, wie ihn sich
viele Marktteilnehmer mit Blick auf die eigenen finanziellen
Interessen insgeheim erhofft hatten, sinnvoll ist, sei dahingestellt.
Tatsache ist aber, dass seine Abwesen-heit dafür sorgt, dass die
Ergebnisse des Gipfels die Märkte kaltlassen.
Kalt lässt die Akteure an den Kapitalmärkten auch, dass sich
Großbritannien nun weitestgehend isoliert hat - was zumindest
langfristig negative Folgen für das britische Pfund haben könnte.
Aktuell hat die Insel-Währung kaum reagiert. Der Euro notierte am
Freitagabend mit 0,854 Pfund in etwa auf Vortagesstand. Immerhin ist
dies ein Monatshoch des britischen Pfund. Der Euro hat inzwischen die
deutlichen Gewinne, die er im Sommer gegenüber dem Stand zum
Jahresanfang aufwies, komplett verloren. Die relative Stärke des
Pfund gegenüber dem Euro ist darauf zurückzuführen, dass
Großbritannien zumindest für einen Teil der Investoren als sicherer
Hafen gilt. Dieser Status der Insel wird auch an den extrem niedrigen
Renditen britischer Staatsanleihen deutlich.
Das von dem britischen Premier David Cameron eingebrachte Veto
dürfte allerdings zur Folge haben, dass der britische Einfluss auf
die Kernstaaten der EU stark zurück-geht. Großbritannien wird künftig
noch mehr als bisher auf sich selbst gestellt sein. Die Tatsache,
dass die Insel über eine eigene Währung verfügt, hatte bislang zwar
überwiegend Vorteile. So hat sie verhindert, dass trotz einer für ein
Triple-A-Land sehr hohen Verschuldung noch wesentlich drastischere
Sparmaßnahmen notwendig wurden.
Das Land erscheint jedoch anfällig: Ein Untergang des Euro würde
die britische Volkswirtschaft schwer treffen. Und nach der
Deindustrialisierung der vergangenen Jahrzehnte hat die
krisengeschüttelte Finanzindustrie der Londoner City in der
britischen Volkswirtschaft ein ungesund hohes Gewicht - während
Cameron die von den übrigen EU-Staaten gewünschte stärkere
Regulierung des Finanzsektors blockiert. Es ist also durchaus
denkbar, dass sich das Marktsentiment mittelfristig gegen das Pfund
stellt. Dies ist dann zu erwarten, wenn dieEU bei der
Krisenbewältigung deutliche Fortschritte erzielt, für die die
Gipfelbeschlüsse vom Freitag vielleicht den Grundstein legen.
(Börsen-Zeitung, 10.12.2011)
Originaltext: Börsen-Zeitung
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