Börsen-Zeitung: Vor dem nächsten Akt, Marktkommentar von Christopher
Kalbhenn
Frankfurt (ots) - Die europäische Zivilisation hat den Griechen
vieles zu verdanken. Dazu zählen prägende kulturelle Errungenschaften
wie das Drama. Ihre von keinem anderen Land zu übertreffende, 2500
Jahre alte Erfahrung mit dieser literarischen Gattung stellen die
Hellenen derzeit mit einer meisterlichen Aufführung unter Beweis, was
die Europäer indes als wenig erbaulich empfinden. Frankreichs
Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel
müssen zuletzt das Gefühl gehabt haben, nicht Mitwirkende einer
Tragödie, sondern einer schlechten Komödie zu sein.
Noch immer ringen nicht nur die Verhandlungspartner von Giorgos
Papandreou um Fassung. Nur wenige Tage nachdem das umfangreiche und
mühsam ausgehandelte Maßnahmenpaket zur Bewältigung der Schuldenkrise
geschnürt worden war, hat der griechische Ministerpräsident die
Gipfelergebnisse mit der Ankündigung eines Referendums beinahe zur
Makulatur werden lassen. Dass dies ohne vorherige Konsultation und
unmittelbar vor dem G 20-Gipfel geschah, können die europäischen
Partner nur als Schlag ins Gesicht empfinden.
Immenser Schaden
Auch wenn Papandreou das Referendum zurückgezogen hat, ist der
Schaden immens. Griechenland ist dem Abgrund nun einen Schritt näher
gekommen, und den Finanzmärkten stehen weitere turbulente Monate
bevor. Das Vertrauen in die politische Führung Griechenlands ist
zerstört. Sie kann sich nun kaum noch einen Fehltritt erlauben und
muss zügig die mit den Hilfsmaßnahmen verbundenen Auflagen umsetzen.
Das Risiko einer ungeordneten Insolvenz bzw. des Ausscheidens aus der
Währungsunion ist deutlich gestiegen. Viel Spielraum bleibt nicht.
Denn als weiterer Schaden kommt hinzu, dass der politische Rückhalt
für die Hilfsmaßnahmen in den europäischen Geberländern nun weiter
reduziert worden ist. Zudem dürfte die schauerliche Aufführung
Papandreous potenzielle Helfer wie China eher abgeschreckt haben.
Immerhin ist das Risiko einer Ablehnung der Gipfelbeschlüsse per
Referendum abgewendet. Daher haben die Märkte an die freundliche
Tendenz, die nach dem Gipfel eingesetzt hatte, wieder angeknüpft. Die
Marktbewegung ist trotz der gestiegenen Risiken nachvollziehbar. Denn
es gibt gute Gründe für die Vermutung, dass nichts unversucht bleiben
wird, um Griechenland über Wasser zu halten und die Währungsunion vor
dem Auseinanderbrechen zu bewahren. Die überraschende Zinssenkung der
Europäischen Zentralbank ist möglicherweise sogar eine Reaktion auf
die von Papandreou ausgelöste Verunsicherung gewesen. Experten
warnen, dass die Konsequenzen eines Zusammenbruchs der Währungsunion
für die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte gravierender wären als
der Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers. Kurzum: Die Kosten
eines Kollaps wären viel höher als die Kosten von Rettungsmaßnahmen
für Griechenland und die Währungsunion.
Lange werden sich die Marktteilnehmer jedoch nicht erleichtert
zurücklehnen können. Nach wie vor sind bislang im Wesentlichen nur
Notmaßnahmen beschlossen worden. Eine überzeugende und nachhaltige
Lösung der fiskalischen und strukturellen Probleme Griechenlands
zeichnet sich immer noch nicht ab. Das gilt auch im Falle der
vollständigen Umsetzung der Beschlüsse des Euro-Krisengipfels. Mit
dem angepeilten Wert von 120% des Bruttoinlandsprodukts wäre der
Schuldenstand Griechenlands immer noch viel zu hoch, um die
Finanzierungsnöte der Hellenen zu bereinigen. Zudem bleibt fraglich,
ob die Reform- und Sparauflagen auf Dauer gegen den Willen der
Bevölkerung durchgesetzt werden können, und die finanziellen
Nothilfen können ohne nachhaltige Lösung auch nicht unbegrenzt
fortgesetzt werden.
Das von Papandreou angerichtete Chaos hat ferner in den
Hintergrund gedrängt, dass die Eurozone ein viel größeres Problem
hat. Die Rettung Griechenlands und wahrscheinlich auch noch Portugals
kann bewältigt werden. Anders sieht dies im Falle Italiens aus, das
Kapitalmarktschulden von rund 1,6 Bill. Euro angehäuft hat. Das Land
ist zwar viel besser als Griechenland aufgestellt und anders als die
Hellenen noch meilenweit von der Staatspleite entfernt. Es leidet
aber durch die abgewirtschaftete und kaum reformfähige Regierung
Silvio Berlusconis unter einer Vertrauenskrise, die seine
Refinanzierungskosten auf langfristig nicht tragbare Höhen getrieben
hat. Derzeit ist nicht erkennbar, wie das Vertrauen der Investoren in
absehbarer Zeit durch beherzte Reform- und Konsolidierungsmaßnahmen
wieder hergestellt werden kann. Der nächste Akt im europäischen
Schuldendrama wird bald kommen und den Finanzmärkten ebenfalls wenig
Erbauliches bieten.
Originaltext: Börsen-Zeitung
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Börsen-Zeitung
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Kalbhenn
Frankfurt (ots) - Die europäische Zivilisation hat den Griechen
vieles zu verdanken. Dazu zählen prägende kulturelle Errungenschaften
wie das Drama. Ihre von keinem anderen Land zu übertreffende, 2500
Jahre alte Erfahrung mit dieser literarischen Gattung stellen die
Hellenen derzeit mit einer meisterlichen Aufführung unter Beweis, was
die Europäer indes als wenig erbaulich empfinden. Frankreichs
Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel
müssen zuletzt das Gefühl gehabt haben, nicht Mitwirkende einer
Tragödie, sondern einer schlechten Komödie zu sein.
Noch immer ringen nicht nur die Verhandlungspartner von Giorgos
Papandreou um Fassung. Nur wenige Tage nachdem das umfangreiche und
mühsam ausgehandelte Maßnahmenpaket zur Bewältigung der Schuldenkrise
geschnürt worden war, hat der griechische Ministerpräsident die
Gipfelergebnisse mit der Ankündigung eines Referendums beinahe zur
Makulatur werden lassen. Dass dies ohne vorherige Konsultation und
unmittelbar vor dem G 20-Gipfel geschah, können die europäischen
Partner nur als Schlag ins Gesicht empfinden.
Immenser Schaden
Auch wenn Papandreou das Referendum zurückgezogen hat, ist der
Schaden immens. Griechenland ist dem Abgrund nun einen Schritt näher
gekommen, und den Finanzmärkten stehen weitere turbulente Monate
bevor. Das Vertrauen in die politische Führung Griechenlands ist
zerstört. Sie kann sich nun kaum noch einen Fehltritt erlauben und
muss zügig die mit den Hilfsmaßnahmen verbundenen Auflagen umsetzen.
Das Risiko einer ungeordneten Insolvenz bzw. des Ausscheidens aus der
Währungsunion ist deutlich gestiegen. Viel Spielraum bleibt nicht.
Denn als weiterer Schaden kommt hinzu, dass der politische Rückhalt
für die Hilfsmaßnahmen in den europäischen Geberländern nun weiter
reduziert worden ist. Zudem dürfte die schauerliche Aufführung
Papandreous potenzielle Helfer wie China eher abgeschreckt haben.
Immerhin ist das Risiko einer Ablehnung der Gipfelbeschlüsse per
Referendum abgewendet. Daher haben die Märkte an die freundliche
Tendenz, die nach dem Gipfel eingesetzt hatte, wieder angeknüpft. Die
Marktbewegung ist trotz der gestiegenen Risiken nachvollziehbar. Denn
es gibt gute Gründe für die Vermutung, dass nichts unversucht bleiben
wird, um Griechenland über Wasser zu halten und die Währungsunion vor
dem Auseinanderbrechen zu bewahren. Die überraschende Zinssenkung der
Europäischen Zentralbank ist möglicherweise sogar eine Reaktion auf
die von Papandreou ausgelöste Verunsicherung gewesen. Experten
warnen, dass die Konsequenzen eines Zusammenbruchs der Währungsunion
für die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte gravierender wären als
der Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers. Kurzum: Die Kosten
eines Kollaps wären viel höher als die Kosten von Rettungsmaßnahmen
für Griechenland und die Währungsunion.
Lange werden sich die Marktteilnehmer jedoch nicht erleichtert
zurücklehnen können. Nach wie vor sind bislang im Wesentlichen nur
Notmaßnahmen beschlossen worden. Eine überzeugende und nachhaltige
Lösung der fiskalischen und strukturellen Probleme Griechenlands
zeichnet sich immer noch nicht ab. Das gilt auch im Falle der
vollständigen Umsetzung der Beschlüsse des Euro-Krisengipfels. Mit
dem angepeilten Wert von 120% des Bruttoinlandsprodukts wäre der
Schuldenstand Griechenlands immer noch viel zu hoch, um die
Finanzierungsnöte der Hellenen zu bereinigen. Zudem bleibt fraglich,
ob die Reform- und Sparauflagen auf Dauer gegen den Willen der
Bevölkerung durchgesetzt werden können, und die finanziellen
Nothilfen können ohne nachhaltige Lösung auch nicht unbegrenzt
fortgesetzt werden.
Das von Papandreou angerichtete Chaos hat ferner in den
Hintergrund gedrängt, dass die Eurozone ein viel größeres Problem
hat. Die Rettung Griechenlands und wahrscheinlich auch noch Portugals
kann bewältigt werden. Anders sieht dies im Falle Italiens aus, das
Kapitalmarktschulden von rund 1,6 Bill. Euro angehäuft hat. Das Land
ist zwar viel besser als Griechenland aufgestellt und anders als die
Hellenen noch meilenweit von der Staatspleite entfernt. Es leidet
aber durch die abgewirtschaftete und kaum reformfähige Regierung
Silvio Berlusconis unter einer Vertrauenskrise, die seine
Refinanzierungskosten auf langfristig nicht tragbare Höhen getrieben
hat. Derzeit ist nicht erkennbar, wie das Vertrauen der Investoren in
absehbarer Zeit durch beherzte Reform- und Konsolidierungsmaßnahmen
wieder hergestellt werden kann. Der nächste Akt im europäischen
Schuldendrama wird bald kommen und den Finanzmärkten ebenfalls wenig
Erbauliches bieten.
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