Börsen-Zeitung: Wette verloren, Börsenkommentar 'Marktplatz', von
Thorsten Kramer.
Frankfurt (ots) - Das hatten sich spekulativ ausgerichtete
Investoren ganz anders vorgestellt: Belastet durch die Aussicht auf
eine erneute Rezession zumindest in Teilen der Eurozone ist der Preis
für Nordseeöl der Sorte Brent in der abgelaufenen Handelswoche
erstmals seit September wieder leicht gefallen. Am Freitagabend
notierte er nur noch bei 107,66 Dollar für ein Barrel (159 Liter) zur
Lieferung im Januar. Dabei hatten Finanzanleger, deren Käufe den
Ölpreis zuletzt entscheidend getrieben hatten, ihre
Netto-Long-Positionen am Terminmarkt laut der US-Regulierungsbehörde
Commodity Futures Trading Commission noch einmal kräftig um mehr als
10000 auf knapp 62000 Kontrakte ausgeweitet. Einfach mal Pech gehabt,
könnte man meinen. Doch es spricht einiges dafür, dass die Wette auf
einen steigenden Preis - zumindest mit Blick auf Brent - auch in den
kommenden Monaten nicht mehr aufgehen wird.
Zugegeben, bis zuletzt hatte sich der Ölpreis ungeachtet der
Schuldenkrise sehr robust präsentiert. In den zurückliegenden Tagen
hat das Krisenszenario aber eine neue Dimension erreicht. Mit Italien
und Spanien stehen nun zwei hochverschuldete Länder im Fokus der
Märkte, deren Bankrott die Hilfsmöglichkeiten der europäischen
Partner sehr wahrscheinlich überfordern würde. Zudem verzeichnen mit
Belgien, Frankreich und Österreich nun sogar Kernländer der Eurozone
an den Bondmärkten nachhaltig steigende Renditen. Mehr denn je ist es
also endlich an der Zeit für eine umfassende Lösungsstrategie, die
das Vertrauen der Investoren in die Eurozone stärkt. Sie ist bis dato
aber weiterhin nicht erkennbar. Die Endlosdebatte über die Rolle der
Europäischen Zentralbank (EZB) und die Ungewissheit darüber, ob die
neuen Regierungschefs in Griechenland und Italien nun wichtige
Reformen vorantreiben, steigern derweil die Verunsicherung.
Dies trägt zusätzlich zur Verschlechterung der Stimmung bei, die
ohnehin zunehmend unter den sich eintrübenden konjunkturellen
Perspektiven leidet. Nicht erst seit der erneuten Warnung des neuen
Präsidenten der EZB, Mario Draghi, vom Freitag, dass die
Abwärtsrisiken für das Wirtschaftswachstum zugenommen haben, steht
für das Gros der Ökonomen fest, dass Italien, Spanien und womöglich
sogar die gesamte Eurozone in der ersten Hälfte des neuen Jahres in
die Rezession zurückrutschen werden. Dies hätte natürlich erhebliche
Folgen für den Ölmarkt, denn Europa steht für ein Siebtel des
globalen Ölverbrauchs und konsumiert damit - nebenbei bemerkt - immer
noch rund 40% mehr Öl als das stark aufstrebende China. Einen
sicheren Hinweis darauf, dass die Nachfrage bereits sinkt, sehen
Marktteilnehmer darin, dass sich die Preise der Brent-Kontrakte
unterschiedlicher Laufzeiten bereits angleichen. Bis zuletzt war hier
u.a. infolge der Libyen-Krise noch eine Backwardation-Formation zu
beobachten gewesen, bei der für den Kontrakt mit kurzer Laufzeit der
höchste Preis zu zahlen ist und der Preis anschließend über die
Terminkurve fällt.
Zugleich läuft die Ölproduktion in dem nun von einer
Übergangsregierung geführten Libyen auf immer höheren Touren. Die
volle Leistungsfähigkeit soll voraussichtlich zwar erst in etwa einem
Jahr wieder erreicht sein, sollten die übrigen Mitglieder der
Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) ihre Produktion aber
nicht anpassen, droht schon vorher ein Überangebot. Die nächste
Opec-Sitzung am 14. Dezember dürfte dazu Hinweise liefern.
Der Preis für US-Öl der Sorte West Texas Intermediate steigt
hingegen stetig an. Zeitweise notierte er in der abgelaufenen Woche
erstmals seit Juni wieder über 100 Dollar pro Barrel. Für einen
kräftigen Preisschub sorgte zur Wochenmitte die Meldung, dass
ConocoPhillips seine Beteiligung an der Pipeline 'Seaway' verkauft
und der künftige Eigentümer die Kapazität der Röhre erhöhen und die
Fließrichtung gen US-Golfküste umkehren will.
Am Freitag setzte sich zwar die Einschätzung durch, dass dies
nicht ausreicht, um den Engpass am Umschlagplatz Cushing zu beheben,
der als Hauptfaktor für den Spread zwischen WTI und Brent gilt. Dass
der Spread zwischen den beiden Ölpreisen nun schon auf rund 10 Dollar
gefallen ist, liegt aber auch daran, dass sich in den USA die
konjunkturellen Perspektiven nun schon etwas aufhellen, wie vor dem
Wochenende der überraschende Anstieg der Frühindikatoren zusätzlich
unterstrich. Die Preisdifferenz dürfte sich auch aus diesem Grund
weiter einengen. Spätestens 2013, wenn in den USA dann weitere
Pipeline-Kapazitäten zur Verfügung stehen, könnte der Spread komplett
verschwinden.
(Börsen-Zeitung, 19.11.2011)
Originaltext: Börsen-Zeitung
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Thorsten Kramer.
Frankfurt (ots) - Das hatten sich spekulativ ausgerichtete
Investoren ganz anders vorgestellt: Belastet durch die Aussicht auf
eine erneute Rezession zumindest in Teilen der Eurozone ist der Preis
für Nordseeöl der Sorte Brent in der abgelaufenen Handelswoche
erstmals seit September wieder leicht gefallen. Am Freitagabend
notierte er nur noch bei 107,66 Dollar für ein Barrel (159 Liter) zur
Lieferung im Januar. Dabei hatten Finanzanleger, deren Käufe den
Ölpreis zuletzt entscheidend getrieben hatten, ihre
Netto-Long-Positionen am Terminmarkt laut der US-Regulierungsbehörde
Commodity Futures Trading Commission noch einmal kräftig um mehr als
10000 auf knapp 62000 Kontrakte ausgeweitet. Einfach mal Pech gehabt,
könnte man meinen. Doch es spricht einiges dafür, dass die Wette auf
einen steigenden Preis - zumindest mit Blick auf Brent - auch in den
kommenden Monaten nicht mehr aufgehen wird.
Zugegeben, bis zuletzt hatte sich der Ölpreis ungeachtet der
Schuldenkrise sehr robust präsentiert. In den zurückliegenden Tagen
hat das Krisenszenario aber eine neue Dimension erreicht. Mit Italien
und Spanien stehen nun zwei hochverschuldete Länder im Fokus der
Märkte, deren Bankrott die Hilfsmöglichkeiten der europäischen
Partner sehr wahrscheinlich überfordern würde. Zudem verzeichnen mit
Belgien, Frankreich und Österreich nun sogar Kernländer der Eurozone
an den Bondmärkten nachhaltig steigende Renditen. Mehr denn je ist es
also endlich an der Zeit für eine umfassende Lösungsstrategie, die
das Vertrauen der Investoren in die Eurozone stärkt. Sie ist bis dato
aber weiterhin nicht erkennbar. Die Endlosdebatte über die Rolle der
Europäischen Zentralbank (EZB) und die Ungewissheit darüber, ob die
neuen Regierungschefs in Griechenland und Italien nun wichtige
Reformen vorantreiben, steigern derweil die Verunsicherung.
Dies trägt zusätzlich zur Verschlechterung der Stimmung bei, die
ohnehin zunehmend unter den sich eintrübenden konjunkturellen
Perspektiven leidet. Nicht erst seit der erneuten Warnung des neuen
Präsidenten der EZB, Mario Draghi, vom Freitag, dass die
Abwärtsrisiken für das Wirtschaftswachstum zugenommen haben, steht
für das Gros der Ökonomen fest, dass Italien, Spanien und womöglich
sogar die gesamte Eurozone in der ersten Hälfte des neuen Jahres in
die Rezession zurückrutschen werden. Dies hätte natürlich erhebliche
Folgen für den Ölmarkt, denn Europa steht für ein Siebtel des
globalen Ölverbrauchs und konsumiert damit - nebenbei bemerkt - immer
noch rund 40% mehr Öl als das stark aufstrebende China. Einen
sicheren Hinweis darauf, dass die Nachfrage bereits sinkt, sehen
Marktteilnehmer darin, dass sich die Preise der Brent-Kontrakte
unterschiedlicher Laufzeiten bereits angleichen. Bis zuletzt war hier
u.a. infolge der Libyen-Krise noch eine Backwardation-Formation zu
beobachten gewesen, bei der für den Kontrakt mit kurzer Laufzeit der
höchste Preis zu zahlen ist und der Preis anschließend über die
Terminkurve fällt.
Zugleich läuft die Ölproduktion in dem nun von einer
Übergangsregierung geführten Libyen auf immer höheren Touren. Die
volle Leistungsfähigkeit soll voraussichtlich zwar erst in etwa einem
Jahr wieder erreicht sein, sollten die übrigen Mitglieder der
Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) ihre Produktion aber
nicht anpassen, droht schon vorher ein Überangebot. Die nächste
Opec-Sitzung am 14. Dezember dürfte dazu Hinweise liefern.
Der Preis für US-Öl der Sorte West Texas Intermediate steigt
hingegen stetig an. Zeitweise notierte er in der abgelaufenen Woche
erstmals seit Juni wieder über 100 Dollar pro Barrel. Für einen
kräftigen Preisschub sorgte zur Wochenmitte die Meldung, dass
ConocoPhillips seine Beteiligung an der Pipeline 'Seaway' verkauft
und der künftige Eigentümer die Kapazität der Röhre erhöhen und die
Fließrichtung gen US-Golfküste umkehren will.
Am Freitag setzte sich zwar die Einschätzung durch, dass dies
nicht ausreicht, um den Engpass am Umschlagplatz Cushing zu beheben,
der als Hauptfaktor für den Spread zwischen WTI und Brent gilt. Dass
der Spread zwischen den beiden Ölpreisen nun schon auf rund 10 Dollar
gefallen ist, liegt aber auch daran, dass sich in den USA die
konjunkturellen Perspektiven nun schon etwas aufhellen, wie vor dem
Wochenende der überraschende Anstieg der Frühindikatoren zusätzlich
unterstrich. Die Preisdifferenz dürfte sich auch aus diesem Grund
weiter einengen. Spätestens 2013, wenn in den USA dann weitere
Pipeline-Kapazitäten zur Verfügung stehen, könnte der Spread komplett
verschwinden.
(Börsen-Zeitung, 19.11.2011)
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