Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Euro-Krise
Bielefeld (ots) - Irgendwie wollen Weissagung und Wahrnehmung
nicht zusammenpassen: Während weltweit Ökonomen vor dem Kollaps der
Euro-Zone warnen, werden an diesem zweiten Adventswochenende auch in
Paderborn und Gütersloh, in Herford, Höxter und Bielefeld die
Innenstädte wieder voll sein. Das Weihnachtsgeschäft läuft auf
Hochtouren. Noch lassen sich die Menschen nicht verrückt machen. Das
ist gut so und sollte nicht nur den heimischen Einzelhandel freuen.
Zwar ist die Euro-Krise seit Jahr und Tag in aller Munde, doch hatten
wir Deutschen darunter bisher vergleichsweise wenig zu leiden. Auch
haben das mediale Dauerfeuer und die andauernden Gipfeltreffen das
Publikum ermüdet. Das alles führt zu einer Ruhe, die trügerisch ist.
Ohne die konzertierte Aktion der Notenbanken zur Wochenmitte wäre der
internationale Bankenhandel womöglich schon zusammengebrochen. Auch
ohne jede Panikmache kommt man nicht umhin, die Lage als überaus
bedrohlich zu beschreiben. Angela Merkel versucht genau diesen
Spagat. In ihrer Regierungserklärung sprach die Kanzlerin von »der
schwersten Bewährungsprobe, die Europa je erlebt hat«. Nur tat sie
dies angesichts der ungeheuren Aufregung rundherum erstaunlich
unaufgeregt. Auch weigert sie sich weiterhin standhaft, den Eindruck
zu erwecken, es könne den einen großen Befreiungsschlag geben.
Gleichwohl sind die Eckpunkte für das Treffen mit Nicolas Sarkozy und
den EU-Gipfel klar. Die Kanzlerin will Vertragsänderungen, die die
Einhaltung der Stabilitätskriterien der politischen Willkür und
nationalstaatlichem Egoismus entziehen - gerichtsfeste Sanktionen
inklusive. Angela Merkel nähme es notfalls in Kauf, dass dabei nur
die 17 Staaten der Euro-Zone mitziehen. Im Gegenzug wird sie, wenn
auch zähneknirschend, zustimmen, dass die Europäische Zentralbank
zumindest für einen längeren Zeitraum und in noch größerem Umfang als
bisher Staatsanleihen aufkauft. Vorerst weiter tabu bleiben für die
Kanzlerin Eurobonds. Was Wunder, würden ihr die doch innenpolitisch
um die Ohren gehauen - nicht nur von den Koalitionspartnern CSU und
FDP, sondern vor allem vom Bundesverfassungsgericht. Angela Merkel
bleibt bei ihrer Doppelstrategie: Sie will nicht nur den Euro durch
die Krise retten, sie will zugleich den institutionellen Rahmen der
EU so ändern, dass die Fehler im System behoben werden, die vor allem
mit Blick auf die Euro-Zone zu beklagen sind. Anders gesagt: Während
der Notfallversorgung des Patienten leitet sie schon die Reha ein,
weil der Leidensdruck in dieser Phase naturgemäß am größten ist. Das
ist und bleibt ein gewagtes Unterfangen. Die vermeintlich
risikoscheue Angela Merkel geht volles Risiko. Scheitert ihr Plan,
dürfte nicht nur ihre Kanzlerschaft, sondern auch der Euro am Ende
sein. Geht er auf, werden die Geschichtsbücher die Kanzlerin eines
Tages als Architektin eines neuen Europa ausweisen.
Originaltext: Westfalen-Blatt
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/66306
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Pressekontakt:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261
Bielefeld (ots) - Irgendwie wollen Weissagung und Wahrnehmung
nicht zusammenpassen: Während weltweit Ökonomen vor dem Kollaps der
Euro-Zone warnen, werden an diesem zweiten Adventswochenende auch in
Paderborn und Gütersloh, in Herford, Höxter und Bielefeld die
Innenstädte wieder voll sein. Das Weihnachtsgeschäft läuft auf
Hochtouren. Noch lassen sich die Menschen nicht verrückt machen. Das
ist gut so und sollte nicht nur den heimischen Einzelhandel freuen.
Zwar ist die Euro-Krise seit Jahr und Tag in aller Munde, doch hatten
wir Deutschen darunter bisher vergleichsweise wenig zu leiden. Auch
haben das mediale Dauerfeuer und die andauernden Gipfeltreffen das
Publikum ermüdet. Das alles führt zu einer Ruhe, die trügerisch ist.
Ohne die konzertierte Aktion der Notenbanken zur Wochenmitte wäre der
internationale Bankenhandel womöglich schon zusammengebrochen. Auch
ohne jede Panikmache kommt man nicht umhin, die Lage als überaus
bedrohlich zu beschreiben. Angela Merkel versucht genau diesen
Spagat. In ihrer Regierungserklärung sprach die Kanzlerin von »der
schwersten Bewährungsprobe, die Europa je erlebt hat«. Nur tat sie
dies angesichts der ungeheuren Aufregung rundherum erstaunlich
unaufgeregt. Auch weigert sie sich weiterhin standhaft, den Eindruck
zu erwecken, es könne den einen großen Befreiungsschlag geben.
Gleichwohl sind die Eckpunkte für das Treffen mit Nicolas Sarkozy und
den EU-Gipfel klar. Die Kanzlerin will Vertragsänderungen, die die
Einhaltung der Stabilitätskriterien der politischen Willkür und
nationalstaatlichem Egoismus entziehen - gerichtsfeste Sanktionen
inklusive. Angela Merkel nähme es notfalls in Kauf, dass dabei nur
die 17 Staaten der Euro-Zone mitziehen. Im Gegenzug wird sie, wenn
auch zähneknirschend, zustimmen, dass die Europäische Zentralbank
zumindest für einen längeren Zeitraum und in noch größerem Umfang als
bisher Staatsanleihen aufkauft. Vorerst weiter tabu bleiben für die
Kanzlerin Eurobonds. Was Wunder, würden ihr die doch innenpolitisch
um die Ohren gehauen - nicht nur von den Koalitionspartnern CSU und
FDP, sondern vor allem vom Bundesverfassungsgericht. Angela Merkel
bleibt bei ihrer Doppelstrategie: Sie will nicht nur den Euro durch
die Krise retten, sie will zugleich den institutionellen Rahmen der
EU so ändern, dass die Fehler im System behoben werden, die vor allem
mit Blick auf die Euro-Zone zu beklagen sind. Anders gesagt: Während
der Notfallversorgung des Patienten leitet sie schon die Reha ein,
weil der Leidensdruck in dieser Phase naturgemäß am größten ist. Das
ist und bleibt ein gewagtes Unterfangen. Die vermeintlich
risikoscheue Angela Merkel geht volles Risiko. Scheitert ihr Plan,
dürfte nicht nur ihre Kanzlerschaft, sondern auch der Euro am Ende
sein. Geht er auf, werden die Geschichtsbücher die Kanzlerin eines
Tages als Architektin eines neuen Europa ausweisen.
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