(neu: Büro Netanjahu dementiert Telefonat mit Trump, 3. Absatz.)
DOHA (dpa-AFX) - Vor Beginn der möglicherweise entscheidenden Verhandlungsrunde um eine Waffenruhe im Gaza-Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas haben die Vermittler einen letzten Appell an alle Konfliktparteien im Nahen Osten gerichtet. "Keine Partei in der Region sollte Maßnahmen ergreifen, die die Bemühungen um einen Deal untergraben würden", teilte das US-Außenministerium nach einem Telefonat von Ressortchef Antony Blinken mit seinem katarischen Kollegen Mohammed bin Abdulrahman Al Thani mit. Ein Durchbruch bei den heutigen Verhandlungen in der katarischen Hauptstadt Doha könnte einen Vergeltungsschlag des Irans und seiner Partner gegen Israel verhindern - und damit eine Ausweitung des Krieges deutlich über den Gazastreifen hinaus.
"Der morgige Tag wird ein wichtiger Tag sein. Wir wollen einen Waffenstillstand erreichen", sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, am Vorabend der Gespräche. "Wir wollen, dass dieser Krieg beendet wird. Wir wollen, dass die Geiseln nach Hause kommen, auch die amerikanischen Geiseln. Wir wollen, dass mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen fließt. Und wir glauben, dass dieses Abkommen der Weg ist, um die Spannungen im Nahen Osten zu deeskalieren." Da Israel und die Hamas nicht direkt miteinander reden, fungieren die USA, Katar und Ägypten als Vermittler.
Die USA drängen auf ein Abkommen
Die Gespräche in Doha gelten als entscheidend für das Bemühen, nach mehr als zehn Monaten Krieg eine Waffenruhe und einen Austausch von Geiseln in der Gewalt der Hamas gegen palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen zu erwirken. Netanjahus Büro wies Medienberichte zurück, wonach der Ministerpräsident am Vortag mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump telefoniert habe. Das US-Nachrichtenportal "Axios" hatte dies unter Berufung auf zwei informierte US-Quellen berichtet.
Israelische Medien berichteten, dass Beamte der Regierung von US-Präsident Joe Biden am Vorabend mit mehreren Vertretern Israels telefonierten, darunter Verteidigungsminister Joav Galant. Sie hätten dabei betont, wie wichtig es sei, dass es zu einem Deal kommt. Eine Einigung könne auch eine Eskalation des Konflikts mit dem Iran und der verbündeten Hisbollah verhindern.
Seit der Tötung eines wichtigen Vertreters der Hisbollah-Miliz im Libanon und des Auslandschefs der Hamas in der iranischen Hauptstadt Teheran vor gut zwei Wochen wird ein Angriff des Irans und seiner Verbündeten gegen Israel befürchtet.
Erneut Luftalarm an Israels Nordgrenze
Unterdessen geht der gegenseitige Beschuss zwischen Israel und der Hisbollah im Grenzgebiet beider Länder weiter. Das libanesische Gesundheitsministerium teilte mit, dass bei israelischen Angriffen auf Orte nahe der Grenze drei Menschen getötet worden seien. Die israelische Armee erklärte, sie habe nach Angriffen der Hisbollah Militärstrukturen der Miliz im Süden des Libanons attackiert. Zwei Hisbollah-Terroristen seien "eliminiert" worden. Keine der Angaben konnte unabhängig überprüft werden. Auch Stunden vor Beginn der Gaza-Verhandlungen heulten im Norden Israels an der Grenze zum Libanon wieder die Sirenen, wie die israelische Armee in der Nacht mitteilte.
Die Hisbollah-Miliz handelt nach eigenen Angaben aus Solidarität mit der Hamas in Gaza. Beide sind Verbündete des Irans.
US-Präsident Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris ließen sich unterdessen von ihrem nationalen Sicherheitsteam über die Entwicklungen in Nahost unterrichtet. Sie seien über die militärischen Maßnahmen der USA zur Unterstützung der Verteidigung Israels sowie über die diplomatischen Bemühungen unterrichtet worden, die Situation zu deeskalieren und einen Deal im Gaza-Krieg zum Abschluss zu bringen, teilte das Weiße Haus mit.
Während Israels Armee seit Tagen in höchster Alarmbereitschaft ist, haben die verbündeten USA ihre Militärpräsenz in der Region stark ausgebaut. Im Iran gelten die USA wie Israel als Erzfeinde.
Blinken telefonierte nach Angaben des US-Außenministeriums derweil auch mit seinem ägyptischen Kollegen Badr Abdelatty und dankte dem Land für die "entscheidenden Bemühungen", ein Gaza-Abkommen zu erzielen. Die Hamas will an der neuen Gesprächsrunde nicht teilnehmen und sich nach eigenen Angaben danach über die besprochenen Punkte informieren lassen. Hamas-Vertreter wären ohnehin nicht im selben Raum mit der israelischen Delegation gewesen, sagte ein arabischer Beamter der "Times of Israel". Das Format sei "im Grunde dasselbe" wie bei früheren Verhandlungsrunden, wurde der Beamte weiter zitiert.
Nach dpa-Informationen werden CIA-Chef William Burns, Katars Ministerpräsident Al Thani und Ägyptens Geheimdienstchef Abbas Kamel in Doha erwartet. Israels Delegation dürfte wieder vom Chef des Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, und vom Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, Ronen Bar, geleitet werden. Ministerpräsident Netanjahu habe die Abreise der israelischen Delegation nach Doha sowie das Mandat für die Verhandlungsführung genehmigt, teilte sein Büro ohne Nennung weiterer Details mit.
Hoffnung auf Durchbruch
Was die Gespräche in Doha bringen werden, ist völlig ungewiss. In den vergangenen Monaten kamen schon mehrmals Hoffnungen auf einen Durchbruch auf, die sich nicht erfüllten. Zuletzt brachten die Gespräche kaum noch Fortschritte. Netanjahu wies den Vorwurf zurück, neue Bedingungen gestellt und einen Deal so blockiert zu haben. Umgekehrt beschuldigte er die Hamas, neue Forderungen erhoben zu haben. Netanjahu will die Hamas im Gazastreifen militärisch zerschlagen und sicherstellen, dass sie nicht mehr in der Lage ist, das seit vielen Jahren von Israel abgeriegelte Küstengebiet zu regieren.
Die Hamas und andere Gruppen aus dem Gazastreifen hatten am 7. Oktober vergangenen Jahres den Süden Israels überfallen, mehr als 1.200 Menschen getötet und weitere 250 als Geiseln verschleppt. Das Massaker war Auslöser des Krieges. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive in Gaza. Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden seither fast 40.000 Menschen getötet. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern und lässt sich nicht unabhängig überprüfen. Angesichts der hohen Zahl ziviler Opfer und der katastrophalen Lage im Gazastreifen steht Israel international immer stärker in der Kritik.
Während einer kurzen Waffenruhe kamen mehr als 100 der israelischen Geiseln frei, unter ihnen vor allem Frauen und ältere Menschen. Derzeit hat die Hamas nach israelischer Zählung noch 115 Geiseln in ihrer Gewalt. Viele der Entführten dürften allerdings nicht mehr am Leben sein.