TOKIO/HONGKONG/SHANGHAI/MUMBAI (dpa-AFX) - Nach einem enttäuschenden Jahr 2022 werden an den Weltbörsen (ETR:SPPW) im neuen Jahr die Karten neu gemischt. Die Corona-Politik Chinas, die Notenbanken, regulatorische Maßnahmen und geopolitische Konflikte werden die Richtung vorgeben. Dabei könnten die Chancen in Fernost größer sein als in westlichen Märkten: Die Experten von Morgan Stanley (NYSE:MS) glauben, dass große Investoren mit viel Geld an der Seitenlinie stehen, das bevorzugt nach Fernost fließen könnte. Asien könnte demnach 2023 eine konjunkturelle Erholung anführen - unterstützt durch die Widerstandsfähigkeit der Binnennachfrage.
Im alten Jahr 2022 hatten die Folgen der Corona-Pandemie, der Krieg Russlands gegen die Ukraine und der internationale Kampf der Notenbanken die Börsen weltweit belastet. In China kamen Staatseingriffe hinzu. Der CSI-300-Index mit den 300 wichtigsten chinesischen Unternehmen an den Festlandbörsen verlor 2022 denn auch fast 22 Prozent. Für den Hang-Seng-Index der Sonderverwaltungszone Hongkong sah es mit minus 15,5 Prozent nur wenig besser aus. Der japanische Leitindex Nikkei 225 büßte 2022 gut 9 Prozent ein.
In Zeiten weltweit trüberer Konjunkturaussichten glauben auch die Aktienstrategen des Investmenthauses Jefferies, dass Asien im internationalen Vergleich eine solide Wahl für Anleger ist. "Asien könnte das beste unter generell schlechten Losen sein", beschreibt Analyst Simon Powell die Lage. Er vertritt die These, dass eine ausgeprägte Rezession in Asien wohl vermieden werden kann. In der Vergangenheit habe sich während der Schocks der DotCom-Pleite und der globalen Finanzkrise Asien schnell erholt und "wir erwarten, dass dies auch wieder 2023 der Fall sein kann", betonte der Experte.
In China dürfte der Fokus auf dem Weg aus der Corona-Pandemie liegen. Nach massiven Protesten der Bevölkerung hatte die Regierung ihre strikte Null-Covid-Strategie aufgehoben und viele Maßnahmen wie Lockdowns, Zwangsquarantäne und Massentests beendet. "Die weitreichenden Veränderungen, die von den höchsten Stellen der chinesischen Politik kommen, lassen wenig Zweifel daran, dass ein Wandel in der Null-Covid-Politik im Gange ist", schrieb der Credit-Suisse-Experte John William Huia Woods.
Woods betonte aber zugleich, dass das endgültige Ausmaß eines Konjunkturschubs durch die Lockerungen unklar sei. Das Tempo hänge von Impf-Fortschritten und der Geschwindigkeit ab, mit der die breite Bevölkerung ihr Verhalten nach drei Jahren mit Lockdowns "normalisiert". Epidemiologen erwarten, dass bis Mitte März drei Infektionswellen durch das bevölkerungsreichste Land der Erde rauschen werden. Die erste Welle werde bis Mitte Januar dauern und vor allem die städtischen Gebiete betreffen, sagte der Chef-Epidemiologe des Gesundheitsamtes, Wu Zunyou, laut Staatsmedien.
"China wird auch im Jahr 2023 ein schwieriger Finanzmarkt für Investoren bleiben", heißt es denn auch von den Experten der Bank M.M. Warburg. Sie warnen neben den Unsicherheiten rund um die Corona-Politik auch vor den Folgen der Immobilienkrise und vor Regulierungsmaßnahmen der chinesischen Regierung, die nicht prognostizierbar seien. Dagegen sieht der Kapitalmarktexperte Robert Halver von der Baader Bank Schwellenländer wie China als möglichen Profiteur von Aufwertungen ihrer Währungen, sobald die Zinspolitik der US-Notenbank Fed zurückhaltender wird.
Vielleicht sind es 2023 dann aber auch andere Regionen Asiens, die für Anleger vielversprechend werden. Die Experten von Morgan Stanley favorisieren die Börse in Südkorea sowie Taiwan, bevor dann in ihrer Rangliste Japan folgt. Sie geben den beiden Favoriten den Vorzug wegen des stärkeren Schwerpunktes auf Halbleiter- und Hardware-Unternehmen im Technologie-Bereich.
In Taiwan jedoch dürfte nach wie vor die Angst mitspielen, dass sich der Konflikt mit China weiter verschärft. Auch der auf die wirtschaftliche Ebene fokussierte Dauerkonflikt Chinas mit den USA dürfte im Blick bleiben, zumal die USA gerade mit neuen Exportverboten für bestimmte Halbleiterprodukte die Zügel weiter angezogen hat.
Bei japanischen Aktien glaubt die US-Bank JPMorgan (NYSE:JPM) an eine robuste Entwicklung. Die Experten verweisen auf relativ widerstandsfähige Unternehmensgewinne, auf attraktive Bewertungen, das niedrigere Inflationsrisiko und den 2022 sehr schwachen Yen. Dieser kann für die in Japan besonders wichtige Exportwirtschaft von Vorteil sein, indem die Waren der Unternehmen auf den Weltmärkten wettbewerbsfähiger werden.
Auf eine Yen-Schwäche können sich die Anleger 2023 aber womöglich nicht mehr als Stütze verlassen. Denn die japanische Notenbank wird ihre geldpolitische Ausrichtung wohl ändern. Erste Indizien, die den Yen bereits deutlich stärkten, gab es kurz vor Weihnachten: Die Bank of Japan will den bislang recht streng kontrollierten langfristigen Kapitalmarktzins stärker schwanken lassen. Diese Entscheidung traf die Finanzmärkte vollkommen unvorbereitet.
Fachleute stuften die Entscheidung überwiegend als Schritt in Richtung einer weniger lockeren Geldpolitik ein. "Wir gehen davon aus, dass die Bank of Japan im Jahr 2023 den ersten Schritt in Richtung einer geldpolitischen Normalisierung unternimmt und in diesem Jahr von ihrem eigenen einzigartigen Weg des Nichtstuns abweicht", schrieb unlängst der JPMorgan-Ökonom Ayako Fujita. Er verwies dabei auf die mittlerweile auch in Japan anziehende Inflation, die im Oktober 2022 erstmals seit 30 Jahren die Zwei-Prozent-Schwelle überschritten habe. Er rechnet mit weiteren Steigerungen in Japan im ersten Halbjahr.