Erstmals in der Geschichte der EU werden aufgrund eines Pandemieausbruchs fiskalische Regeln ausgesetzt und fast die gesamte Wirtschaft steht still. Kann Europa eine schwere Wirtschaftskrise vermeiden? Thema in Real Economy.
"Die Europäische Zentralbank hat ein Konjunkturpaket von 750 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, als deutliches Zeichen dafür, dass sie 'alles Nötige tun wird', um die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise zu bekämpfen", so euronews-Reporterin Efi Koutsokosta. "Außerdem interviewen wir den EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni: und fragen ihn, ob die Maßnahmen ausreichen, um eine neue wirtschaftliche Katastrophe zu vermeiden. Aber zuerst eine Reportage aus Spanien: Fanny Gauret berichtet wie Arbeitnehmer und kleine Unternehmer mit der Krise umgehen."
Barcelona kämpft mit der KriseSeit dem Ausbruch des Coronavirus in Europa mussten insbesondere in den am stärksten betroffenen Ländern wie Italien und Spanien viele Unternehmen vollständig geschlossen werden:
"Auch hier in Barcelona, einer Tourismus-Hochburg Europas, sind die Auswirkungen dieser Gesundheitskrise sichtbar. Was kommt nach der Eindämmung des Virus? Man sorgt sich um die wirtschaftlichen Folgen. Welche Maßnahmen werden auf nationaler und europäischer Ebene zum Schutz der Unternehmen und der Arbeitsplätze ergriffen?", so euronews-Reporterin Fanny Gauret.
Der Tourismus macht fast 13 Prozent des Bruttosozialprodukts in Spanien aus. Der Sektor, der den größten Beitrag zur Wirtschaft des Landes leistet, wurde von der Krise schwer getroffen. Restaurantbesitzer Eric Basset musste seine 20 Angestellten in Kurzarbeit schicken:
"Wir wissen nicht, ob die Kunden zurückkommen, ob der internationale Tourismus in Barcelona wieder aufblüht. Was wir brauchen, ist eine konkrete, echte Unterstützung für unsere Mitarbeiter, für uns, sowie die Möglichkeit, unser Geschäft unter guten Bedingungen wieder aufzumachen. Wir brauchen einen Geldfonds, damit wir unsere normale Aktivität wieder aufnehmen können", sagt er.
Dank der Schaffung eines europäischen Fonds und flexibler EU-Haushaltsregeln mobilisiert die spanische Regierung 200 Milliarden Euro, d.h. 20 Prozent ihres BIP zur Unterstützung der Landeswirtschaft. Erstmals seit 65 Jahren musste das Guitart Hotel schließen. Der Direktor hofft auf schnelle und koordinierte Maßnahmen:
"Wir werden wahrscheinlich nur 50 Prozent des geplanten Umsatzes erzielen. Ohne die vereinten Anstrengungen der Banken, der Regierung sowie der Lieferanten und Kunden kommen wir nicht aus dieser Situation heraus", so Roberto Torregrosa, Direktor des Katalanischen Tourismusverbandes (ACPT) und des Guitart Hotels . "Die Regierungschefs der EU-Länder müssen entschlossen handeln und eine gemeinsame Poitik vorgeben."
96 Prozent des spanischen Mittelstands ist erheblich von der Coronakrise betroffen. Fast 1,5 Millionen Arbeitsplätze könnten verloren gehen. Trotz des EZB-Notfallplans in Höhe von 750 Milliarden Euro, bleiben Unsicherheiten.
Celia Ferrero, Vizepräsidentin der Nationalen Föderation der Unabhängigen Arbeiter (ATA), sagt: _"Es wird zwar von vielen Maßnahmen gesprochen, aber bisher wurde noch keine ergriffen. Wir befürchten, dass es - wenn es endlich einen Konsens gibt - zu spät sein wird, eine Krise zu verhindern, die zweifellos tiefe Einschnitte für die Wirtschaft bedeutet. Und die Enttäuschung wird groß sein, wenn es keine gemeinsame, unterstützende Reaktion auf diese Krise gibt, die die notwendige Liquidität schafft. Denn es gibt viele kleine und mittlere Unternehmen und Selbständige, die zweifellos auf der Strecke bleiben werden."_
Kriseninstrumente der EUVor dem Gespräch mit EU-Kommissar Gentiloni über die europäische Wirtschaft erklären wir einige Schlüsselbegriffe, die in der Debatte über die Bewältigung der Krise verwendet werden.
Die allgemeine AusweichklauselDie Aktivierung dieser Klausel bedeutet, dass sich die EU-Länder den Defizitbeschränkungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts entziehen können. In der Folge können sie das ausgeben, was sie zur Unterstützung der Wirtschaft und der Gesundheitssysteme benötigen.
Der Europäische StabilitätsmechanismusDieser Rettungsschirm wurde als Konsequenz aus der Schuldenkrise von den Eurozonen-Ländern geschaffen, um Notfallkredite für Reformprogramme bereitzustellen. Mit dem Fonds können 410 Milliarden Euro mobilisiert werden, um zur Bekämpfung der Coronavirus-Krise beizutragen.
Corona-BondsDie Ausgabe sogenannter Corona-Bonds wäre ein Zeichen dafür, dass die EU die "Bazooka" herausholt. Mit diesen Bonds würde man die Schulden teilen, die in den EU-Mitgliedsstaaten zur Milderung der wirtschaftlichen Folgen der Krise aufgenommen wurden. Aber fiskalkonservative Länder sind dagegen.
Wie unterstützt die EU Menschen und Unternehmen in dieser beispiellosen Krise?Zurück im Studio in Brüssel für ein Interview mit EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. Wie wird die EU Menschen und Unternehmen in dieser beispiellosen Krise unterstützen?
Euronews-Reporterin Efi Koutsokosta:Kommissar Gentiloni , vielen Dank, dass Sie bei uns sind. Die ganzen Bemühungen der Mitgliedsstaaten, ihre Wirtschaft in dieser gewaltigen Krise zu unterstützen, führen auch zu zusätzlichen Schulden. Wie geht man mit dieser Schuldenlast um?
Paolo Gentiloni, EU-Wirtschaftskommissar:'Vertrauen Sie der Europäischen Zentralbank' lautet meine einfache Antwort. Denn die EZB und weltweit alle Zentralbanken haben entschlossen reagiert und das EZB-Corona-Nothilfepaket zum Ankauf von Anleihen war meiner Meinung nach sehr wichtig, um die Märkte zu stabilisieren und eine Fragmentierung insbesondere in der Euro-Zone zu vermeiden. Ich denke, dass man mit dieser Intervention durchaus in der Lage ist, die Situation unter Kontrolle zu halten.
Euronews:Ist das der richtige Zeitpunkt für die Ausgabe von Corona-Bonds?
Paolo Gentiloni:Die Ausgabe von Anleihen im Finanzsektor ist ein Instrument in der Notlage. Wir müssen jetzt einig hinter dieser Maßnahme stehen, denn das kann sich kein einzelnes Land - egal ob wirtschaftlich stärker oder schwächer aufgestellt - allein leisten.
Euronews:Aber ist es der richtige Zeitpunkt für diese Corona-Bonds? Und ist ein 'Nein' aus Deutschland oder den Niederlanden ein 'Nein' zur Solidarität mit den schwächeren Ländern?
Paolo Gentiloni:Ein 'Nein' zur Solidarität in diesem Moment wird unser gesamtes Projekt gefährden. Die Möglichkeit, den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu nutzen oder Anleihen auszugeben, sind nicht die einzigen Werkzeuge, die es gibt und die zu diskutieren sind. Es gibt auch den Haushalt der Europäischen Union, es gibt die Möglichkeit, die Rolle der europäischen Investitionsbank zu stärken. Ich denke, dass die Finanzminister ein Instrumentarium auf dem Tisch haben, um sich über die jetzt notwendigen Maßnahmen einig zu werden.
Euronews:Es gibt bereits eine Diskussion, Herr Kommissar, wie die Welt nach dieser Coronavirus-Krise aussehen wird. Sind Sie der Meinung, dass die EU-Verträge überarbeitet werden müssen?
Paolo Gentiloni:Das ist kein aktuelles Thema. Sicherlich wird es eine stärkere öffentliche Intervention auf nationaler Ebene geben, die Rolle des Staates wird stärker als zuvor sein, und wir sollten für ein stärkeres Gesundheitssystem und ein stärkeres Engagement für den Wohlfahrtsstaat kämpfen. Aber dabei muss man wissen, dass eine stärkere Rolle des Staates auch mehr Anziehungskraft für autoritäre Modelle von außerhalb und innerhalb unserer Union bedeutet, was eine echte Gefahr für unsere Welt nach der Pandemie sein könnte.