Investing.com – Die Wirtschaft Deutschlands befindet sich in einem erbärmlichem Zustand. Ökonomen sprechen vom kranken Mann Europas, die Industrie ruft immer lauter nach Subventionen, während der Bundeskanzler Olaf Scholz fordert, nicht alles schlechtzureden, denn Deutschland geht es gut.
Dass die Wirtschaft in Schwierigkeiten steckt, ist unbestritten, die zunehmenden Firmenpleiten sprechen diesbezüglich eine deutliche Sprache. Aber genau das ist das Ziel der EZB, bei ihrem Kampf gegen die Inflation. Firmen sollen Konkurs anmelden und die Menschen müssen ihren Arbeitsplatz verlieren, denn nur dann sinkt die Gesamtnachfrage und die Geldentwertung verlangsamt sich.
Die wirkliche Misere ist jedoch, dass es sich nicht nur um das typische Ende einer heißgelaufenen Konjunkturphase handelt. In den USA und China gibt es unzählige Schwelbrände in Form von Vermögensblasen. Gelingt es den Regierungen nicht, diese mit immer mehr Geld vor dem Platzen zu bewahren, kommt es zu einem bisher noch nie dagewesenen weltweiten Flächenbrand.
Wie dramatisch die Situation ist, zeigte das Jackson Hole Symposium in der vergangenen Woche, auf dem die wichtigsten Zentralbanker der Welt zusammenkamen.
Der Fed-Vorsitzende Powell sprach wie üblich darüber, dass es noch lange dauern wird, bis das Inflationsziel von 2 Prozent erreicht ist. Er sagte genau genommen nichts Neues. Und genau das sollte den Finanzmärkten zu denken geben, weil er auf das brisanteste Detail zur Inflationsbekämpfung nicht einging, wie Peter Schiff erklärte.
Die Fed beabsichtigt, mit ihren hohen Zinsen, wie die EZB auch, die Gesamtnachfrage zu senken. Schiff erläuterte jedoch, dass sich die US-Zentralbank an ihrem Ziel von 2 Prozent die Zähne ausbeißen wird – die Zinserhöhungen werden nicht die gewünschte Wirkung erzielen.
Das liegt schlichtweg daran, dass die US-Regierung 2023 mehr Geld ausgibt, als es während der Großen Rezession unter der Obama-Regierung der Fall war. Schon jetzt hat die Biden-Regierung für das Jahr 2023 ein Defizit von 1610 Milliarden Dollar angehäuft. Geld, dass in die Wirtschaft fließt und den für die Senkung der Inflation wichtigen Nachfrageeinbruch verhindert. Deshalb prognostiziert die Atlanta Fed für das dritte Quartal auch ein Wirtschaftswachstum von 5,9 Prozent, trotz hoher Zinsen.
Damit negiert die Fiskalpolitik von Biden die Geldpolitik von Powell. Aber darüber sprach Powell in Jackson Hole nicht, obwohl er als Fed-Vorsitzender weiß, dass Geld- und Finanzpolitik an einem Strang ziehen müssen.
Seine Aufgabe, als Vorsitzender einer unabhängigen Institution, ist es, von der Regierung zu fordern, dass diese ihre Ausgaben reduziert, wie Schiff schreibt. Stattdessen steigt die Verschuldung immer rasanter, während sich auch der Wertverfall des Dollars beschleunigt.
Die EZB-Präsidentin Christina Lagarde meldete sich auf dem Symposium ebenfalls zu Wort. Was sie sagte, war erschreckend, wie der Rabobank-Analyst Ben Picton schrieb.
Lagarde skizzierte, dass sich die Weltwirtschaft grundlegend ändert und wir uns auf unbekanntem Terrain bewegen. Auf gut Deutsch, selbst die Europäische Zentralbank hat nicht die leiseste Ahnung, wie es mit der Wirtschaft, der Inflation und den Zinssätzen weitergeht.
Für Investoren ein echtes Horrorszenario, denn ohne eine klare Fahrtrichtung lassen sich keine fundierten Investmententscheidungen treffen.
Was Lagarde mit der Änderung der wirtschaftlichen Bedingungen meint, ist, dass ein Großteil der Handelsbeziehungen zur Disposition stehen. Zum einen propagieren die Politiker der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten immer mehr die Unabhängigkeit von internationalen Lieferketten und zum anderen treiben die BRICS-Staaten die Entwicklung ihres G7-Kontrahenten voran. Einer, wie der Rabobank-Analyst Michael Every es nennt "Anti-Dollar-Gemeinschaft", die kontinuierlich größer wird.
Das erste Opfer der sich verschiebenden Handelsströme könnte jedoch der Euro und nicht der Dollar sein, denn bereits jetzt hat der Anteil des Euro an SWIFT-Transaktionen ein Rekordtief erreicht.
Gleichzeitig versucht sich China, die BRICS-Galionsfigur, mit aller Kraft gegen den wirtschaftlichen Abschwung und das Platzen der Vermögensblasen zu stemmen. Die gefürchtete Stagflation darf von der Presse nicht mehr thematisiert werden und die Veröffentlichung der Daten zur rekordverdächtigen Jugendarbeitslosigkeit wurde eingestellt.
Damit sind die Probleme aber nicht aus der Welt geschafft, ganz im Gegenteil. Die bisherigen Bemühungen, das Platzen der Vermögensblasen zu verhindern, verpufften. Bloomberg berichtete, dass mit der Senkung der Stempelsteuer für Aktien der chinesische Leitindex CSI 300 am Montag zwar um 5,5 Prozent zulegte, doch am Ende des Tages schmolz der Kursanstieg auf magere 1,2 Prozent zusammen.
Ein ähnliches Verhalten des CSI 300 konnte bereits zur Finanzkrise 2008 und dem Platzen der chinesischen Aktienblase 2015 beobachtet werden. Jedes Mal griff Peking in die Märkte mit Konjunkturpaketen ein, doch diesmal ist die Aufgabe wesentlich komplexer.
Der Nomura (TYO:9716) Chefvolkswirt Ting Lu warnte davor, dass sich sämtliche Maßnahmen als nutzlos erweisen werden, wenn die Realwirtschaft keine Unterstützung erfährt.
Das Einzige, was Peking jetzt noch retten kann, ist eine beispiellose Aktion, wie die Bloomberg-Analysten George Lei und Ye Xie schrieben. Ähnlich wie die Fed-Zusage im März 2020, Staatsanleihen in unbegrenzter Menge aufzukaufen. Oder als EZB-Präsident Mario Draghi im Jahr 2012 zur Rettung des Euro sagte: "Whatever it takes".
Es lodert überall auf der Welt, denn die wirtschaftlichen Gefüge, wie wir sie bisher kannten, befinden sich im Umbruch. Jahrzehntelang ging es an den Finanzmärkten dank Globalisierung, niedriger Inflation und billigem Geld kontinuierlich nach oben. Aber diese maßgeblichen Faktoren sind nicht mehr vorhanden.
Das Einzige, was die Märkte bisher nicht kollabieren ließ, ist der Glaube, dass es nur eine vorübergehende Phase ist. Aber so wie sich die Zentralbanken eingestehen mussten, dass die Inflation nicht vorübergehend ist, so werden auch die Märkte früher oder später erkennen, dass sich die Spielregeln grundlegend geändert haben.
Der Chefökonom Michael Darda von der Investmentbank Roth MKM verwies darauf, dass die Aktienrisikoprämie im S&P 500 zum ersten Mal seit 20 Jahren negativ wurde. Jedes Mal, wenn das passierte und wie aktuell eine invertierte Zinsstrukturkurve und ein Rückgang der realen Geldmenge gegeben waren, kam es zu einem Crash am Aktienmarkt.
Und Anlegern, die jetzt auf neue Allzeithochs spekulieren, gab Darda Folgendes mit auf den Weg:
"Diejenigen, die argumentieren, dass die Zinskurve sich wieder normalisieren und wieder eine normale aufwärtsgerichtete Steigung aufweisen wird, indem die langfristigen Zinsen stärker steigen als die kurzfristigen Zinsen, erwarten ein Szenario, das in der US-Geschichte noch nie vorgekommen ist".