Berlin, 24. Aug (Reuters) - In der Bundesregierung gibt es unterschiedliche Auffassungen über die Bedeutung der EU-Finanzbeschlüsse für die Zukunft der Union. Der Sprecher von Kanzlerin Angela Merkel, Steffen Seibert, widersprach am Montag der Einschätzung von Bundesfinanzminister Olaf Scholz, dass die vereinbarte gemeinsame Schuldenaufnahme in Europa mit dem Corona-Wiederaufbaufonds keine krisenbedingte Eintagsfliege sei. Die Erlaubnis zur Schuldenaufnahme der EU-Kommission sei die Antwort auf "eine vorübergehende extreme Krise, zeitlich und hinsichtlich Höhe und Umfang klar begrenzt und zur Bewältigung dieser Krise ausgerichtet", sagte Seibert in Berlin. Es gehe um eine "temporäre Maßnahme".
Zuvor hatte der SPD-Kanzlerkandidat in einem Interview gesagt: "Der Wiederaufbaufonds ist ein echter Fortschritt für Deutschland und Europa, der sich nicht mehr zurückdrehen lässt." Die EU nehme erstmals gemeinsame Schulden auf, setze diese gezielt gegen die Krise ein und verpflichte sich zugleich, bald mit der Rückzahlung zu beginnen. "All das sind tiefgreifende Veränderungen, vielleicht die größten Veränderungen seit Einführung des Euro."
Hintergrund ist die unterschiedliche Auslegung der Beschlüsse des EU-Gipfels in Europa und der Berliner Koalition. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betont, dass nun der Einstieg in eine gemeinsame Verschuldung in der EU erreicht sei. Scholz schloss sich nun eher dieser französischen Interpretation an. Kanzlerin Merkel hat dagegen die Einmaligkeit der Erlaubnis zur Schuldenaufnahme betont. Kritik an Scholz kam auch aus der Unions-Bundestagsfraktion. Vor einigen Wochen hatte sich der EU-Gipfel darauf verständigt, dass die EU-Kommission erstmals europäische Schulden an den Finanzmärkten aufnehmen darf, die bis 2058 zurückgezahlt werden sollen.