Börsen-Zeitung: Die Vorsicht siegt, Marktkommentar von Georg Blaha
Frankfurt (ots) - Wenn Markterwartungen enttäuscht werden, schafft
das meistens Unruhe. Die Unsicherheit für die Teilnehmer steigt,
Risikoassets wie Aktien werden verkauft und die Kurse für 'sichere
Häfen' wie Bundesanleihen legen zu, kurz: Es breitet sich eine mehr
oder weniger ausgeprägte Krisenstimmung aus. Bei den Sondertilgungen
der Banken für den zweiten Dreijahrestender war es diesmal anders. Am
Freitag gab die Europäische Zentralbank (EZB) die für die neue Woche
geplanten Rückzahlungen bekannt. Mit 61,1 Mrd. Euro liegt das Volumen
nur bei knapp der Hälfte der von Analysten und Händlern
veranschlagten 125 Mrd. Euro. Dennoch blieb eine panische
Marktreaktion aus, einzig der Euro reagierte mit leichten Verlusten.
Dabei galt doch gemäß Markterwartung: Je höher das Tilgungsvolumen,
desto besser die Refinanzierungssituation für Eurolands Banken.
Doch das niedrigere Volumen ist im aktuellen Umfeld die bessere
Nachricht. Die Regierungsbildung in Italien dürfte längere Zeit in
Anspruch nehmen, gleich wer aus den Parlamentswahlen des Wochenendes
als Sieger hervorgeht. Damit könnte die Reform- und Rettungsagenda
für die Währungsunion an Fahrt verlieren, auch wenn sie weiter auf
Kurs bleiben dürfte. Das sorgt für Nervosität am Markt, ebenso die
vielen Fragezeichen hinter der konjunkturellen Entwicklung in den USA
und China. Dass die Banken in Euroland nun doch etwas länger an den
EZB-Mitteln festhalten, um für alle Fälle eine Vorsichtskasse zu
haben, ist nur plausibel.
Kleiner Entzugsschock
Viele Analysten hatten erwartet, dass die Institute den
erstmöglichen Rückzahlungstermin für den zweiten Dreijahrestender am
27. Februar genauso rege nutzen würden, wie sie es bei den
Sondertilgungen für das erste dreijährige Refinanzierungsgeschäft
taten. Gut 137 Mrd. Euro gingen am 30. Januar auf einen Schlag
zurück, woraufhin so etwas wie ein kleiner Entzugsschock am Geldmarkt
einsetzte. Die folgenden Tilgungen - Banken können diese jede Woche
vornehmen - waren weit geringer und lagen im einstelligen
Milliardenbereich. Mit den beiden Dreijahrestendern hatte die EZB den
Instituten Ende 2011 und Anfang 2012 netto rund 500 Mrd. (brutto rund
1 Bill.) Euro geliehen. Mit der Rückzahlung am 27. Februar haben die
Geldhäuser insgesamt rund 212 Mrd. Euro vorzeitig getilgt.
Einige Experten hatten für den Rückzahlungstermin Ende Februar
sogar noch höhere Volumina geschätzt als die genannten 125 Mrd. Euro.
Banken könnten sich dazu verleitet sehen, alle Überschüsse zu tilgen,
um dem Markt zu demonstrieren, dass sie nicht mehr auf die Hilfe der
EZB angewiesen sind. Es ist gut, dass es zumindest bislang nicht zu
solch einer Variation des 'Herdenverhaltens' gekommen ist. Zudem wäre
die EZB möglicherweise in einen hektischen Aktionismus gezwungen
geworden, einem zu raschen Liquiditätsentzug gegenzusteuern, was
wieder neue Unsicherheit und Marktverwerfungen geschaffen hätte. Ein
schleichender Entzug der Liquidität, wie er sich nun andeutet, ist
die bessere Alternative.
Marktteilnehmer werden die wöchentlichen Tilgungsdaten aber im
Auge behalten. Die Rückzahlungen beeinflussen die
Überschussliquidität des Eurosystems und diese die Zinsen am kurzen
Ende. Von den Höchstständen um 800 Mrd. Euro Anfang 2012 sind die
Überschüsse deutlich heruntergekommen (siehe Grafik). Aufwärtsdruck
für die Zinsen gibt es laut EZB und Analystenschätzungen erst ab der
Schwelle von 200 Mrd. Euro. Dies ist der Erfahrungswert, der sich mit
dem Auslaufen der einjährigen Krisentender der Notenbank Mitte 2010
gezeigt hatte.
Die Geldmarktanalysten von Barclays rechnen damit, dass im ersten
Halbjahr noch weitere 100 Mrd. Euro vorzeitig getilgt werden. Ein
guter Teil davon soll dann laut Barclays-Schätzung von italienischen
Instituten kommen, die bislang an den EZB-Mitteln festgehalten haben.
Die Überschussliquidität werde dann auf 300 Mrd. Euro sinken. Das ist
noch immer weit genug entfernt von der Schwelle, ab der Auswirkungen
auf die Zinsen zu erwarten wären. Eonia, der Satz für unbesicherte
Übernachtausleihungen, dürfte sich vorerst weiter in der Spanne von
0,06% bis 0,08% bewegen. Sollte in Euroland wieder mehr Zuversicht
gefasst werden und der Interbankenhandel in Schwung kommen, könnte
Eonia sogar noch etwas nachgeben, erwartet die Royal Bank of
Scotland. Und solange sich auf der Zinsseite nichts tut, steht auch
der Euro nicht unter Aufwertungsdruck, was der EZB angesichts der
Debatte um Abwertungswettläufe sicher auch nicht ungelegen kommt.
Enttäuschte Markterwartungen müssen nicht immer etwas Schlechtes
sein.
Originaltext: Börsen-Zeitung
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Börsen-Zeitung
Redaktion
Telefon: 069--2732-0
www.boersen-zeitung.de
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das meistens Unruhe. Die Unsicherheit für die Teilnehmer steigt,
Risikoassets wie Aktien werden verkauft und die Kurse für 'sichere
Häfen' wie Bundesanleihen legen zu, kurz: Es breitet sich eine mehr
oder weniger ausgeprägte Krisenstimmung aus. Bei den Sondertilgungen
der Banken für den zweiten Dreijahrestender war es diesmal anders. Am
Freitag gab die Europäische Zentralbank (EZB) die für die neue Woche
geplanten Rückzahlungen bekannt. Mit 61,1 Mrd. Euro liegt das Volumen
nur bei knapp der Hälfte der von Analysten und Händlern
veranschlagten 125 Mrd. Euro. Dennoch blieb eine panische
Marktreaktion aus, einzig der Euro reagierte mit leichten Verlusten.
Dabei galt doch gemäß Markterwartung: Je höher das Tilgungsvolumen,
desto besser die Refinanzierungssituation für Eurolands Banken.
Doch das niedrigere Volumen ist im aktuellen Umfeld die bessere
Nachricht. Die Regierungsbildung in Italien dürfte längere Zeit in
Anspruch nehmen, gleich wer aus den Parlamentswahlen des Wochenendes
als Sieger hervorgeht. Damit könnte die Reform- und Rettungsagenda
für die Währungsunion an Fahrt verlieren, auch wenn sie weiter auf
Kurs bleiben dürfte. Das sorgt für Nervosität am Markt, ebenso die
vielen Fragezeichen hinter der konjunkturellen Entwicklung in den USA
und China. Dass die Banken in Euroland nun doch etwas länger an den
EZB-Mitteln festhalten, um für alle Fälle eine Vorsichtskasse zu
haben, ist nur plausibel.
Kleiner Entzugsschock
Viele Analysten hatten erwartet, dass die Institute den
erstmöglichen Rückzahlungstermin für den zweiten Dreijahrestender am
27. Februar genauso rege nutzen würden, wie sie es bei den
Sondertilgungen für das erste dreijährige Refinanzierungsgeschäft
taten. Gut 137 Mrd. Euro gingen am 30. Januar auf einen Schlag
zurück, woraufhin so etwas wie ein kleiner Entzugsschock am Geldmarkt
einsetzte. Die folgenden Tilgungen - Banken können diese jede Woche
vornehmen - waren weit geringer und lagen im einstelligen
Milliardenbereich. Mit den beiden Dreijahrestendern hatte die EZB den
Instituten Ende 2011 und Anfang 2012 netto rund 500 Mrd. (brutto rund
1 Bill.) Euro geliehen. Mit der Rückzahlung am 27. Februar haben die
Geldhäuser insgesamt rund 212 Mrd. Euro vorzeitig getilgt.
Einige Experten hatten für den Rückzahlungstermin Ende Februar
sogar noch höhere Volumina geschätzt als die genannten 125 Mrd. Euro.
Banken könnten sich dazu verleitet sehen, alle Überschüsse zu tilgen,
um dem Markt zu demonstrieren, dass sie nicht mehr auf die Hilfe der
EZB angewiesen sind. Es ist gut, dass es zumindest bislang nicht zu
solch einer Variation des 'Herdenverhaltens' gekommen ist. Zudem wäre
die EZB möglicherweise in einen hektischen Aktionismus gezwungen
geworden, einem zu raschen Liquiditätsentzug gegenzusteuern, was
wieder neue Unsicherheit und Marktverwerfungen geschaffen hätte. Ein
schleichender Entzug der Liquidität, wie er sich nun andeutet, ist
die bessere Alternative.
Marktteilnehmer werden die wöchentlichen Tilgungsdaten aber im
Auge behalten. Die Rückzahlungen beeinflussen die
Überschussliquidität des Eurosystems und diese die Zinsen am kurzen
Ende. Von den Höchstständen um 800 Mrd. Euro Anfang 2012 sind die
Überschüsse deutlich heruntergekommen (siehe Grafik). Aufwärtsdruck
für die Zinsen gibt es laut EZB und Analystenschätzungen erst ab der
Schwelle von 200 Mrd. Euro. Dies ist der Erfahrungswert, der sich mit
dem Auslaufen der einjährigen Krisentender der Notenbank Mitte 2010
gezeigt hatte.
Die Geldmarktanalysten von Barclays rechnen damit, dass im ersten
Halbjahr noch weitere 100 Mrd. Euro vorzeitig getilgt werden. Ein
guter Teil davon soll dann laut Barclays-Schätzung von italienischen
Instituten kommen, die bislang an den EZB-Mitteln festgehalten haben.
Die Überschussliquidität werde dann auf 300 Mrd. Euro sinken. Das ist
noch immer weit genug entfernt von der Schwelle, ab der Auswirkungen
auf die Zinsen zu erwarten wären. Eonia, der Satz für unbesicherte
Übernachtausleihungen, dürfte sich vorerst weiter in der Spanne von
0,06% bis 0,08% bewegen. Sollte in Euroland wieder mehr Zuversicht
gefasst werden und der Interbankenhandel in Schwung kommen, könnte
Eonia sogar noch etwas nachgeben, erwartet die Royal Bank of
Scotland. Und solange sich auf der Zinsseite nichts tut, steht auch
der Euro nicht unter Aufwertungsdruck, was der EZB angesichts der
Debatte um Abwertungswettläufe sicher auch nicht ungelegen kommt.
Enttäuschte Markterwartungen müssen nicht immer etwas Schlechtes
sein.
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