BERLIN (dpa-AFX) - Die Debatte über eine mögliche eigene europäische Strategie für Atomwaffen geht weiter. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) kritisierte seine Parteikollegin Katarina Barley für ihren Anstoß zu der Diskussion. "Meine Meinung: Darüber diskutiert man nicht öffentlich", sagte Pistorius dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Zuvor hatte er bereits am Rande von Terminen bei der Nato in Brüssel die Debatte für unnötig erklärt. "Wir haben die nukleare Abschreckung der Amerikaner, das ist vereinbart und ich sehe keine Signale dafür, dass diese Vereinbarung ein Ende findet", sagte Pistorius dem RND.
Barley, SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, hatte nach Äußerungen des früheren US-Präsidenten Donald Trump, der das Amt erneut anstrebt, die Verlässlichkeit des amerikanischen Atomwaffen-Schutzschirms für Europa in Zweifel gezogen. Der Republikaner Trump hatte am Wochenende bei einem Wahlkampfauftritt deutlich gemacht, dass er Bündnispartnern mit geringen Verteidigungsausgaben im Fall eines russischen Angriffs keine amerikanische Unterstützung gewähren würde.
Ähnlich wie Pistorius äußerte sich der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter. "Die öffentliche Debatte darüber würde nur die Befürworter einer Abkopplung in den USA stärken und (Kremlchef Wladimir) Putin und Co. in die Hände spielen", sagte Kiesewetter dem Medienhaus Table.Media. Kiesewetter hält den US-Schutzschirm für unverzichtbar. Alle EU-Staaten müssten seiner Ansicht nach für einen echten Ersatz fünf bis sechs Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts ausgeben.
Der FDP-Außenpolitiker Michael Link, der auch Transatlantikkoordinator der Bundesregierung ist, sagte hingegen der Deutschen Presse-Agentur, man müsse "die nukleare Abschreckung der Nato durch Stärkung ihres europäischen Pfeilers sichern und Gespräche mit Frankreich, Großbritannien und anderen handlungsbereiten Nato-Mitgliedern über die nächsten Schritte zur Sicherung der Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung führen". Dies müsse in enger Absprache mit den USA geschehen, "aber auch mit Blick auf die nahenden US-Präsidentschaftswahlen und eine mögliche Wiederwahl Donald Trumps."
Auch Pistorius mahnte mit Blick auf Trump zur Vorsicht. Man müsse dessen Androhungen "einerseits zur Kenntnis nehmen, aber andererseits sich nicht beirren lassen, was wir in Europa zu tun haben", sagte er am Mittwochabend in den ARD-"Tagesthemen". Im RND betonte er: "Trump ist Trump. Man muss mit allem rechnen." Der Verteidigungsminister warnte zugleich: Jeder, "der das transatlantische Band zerschneidet oder auch nur überspannt, gefährdet sowohl seine geopolitischen als auch seine strategischen Interessen". Allerdings sei es auch keine neue Erkenntnis, dass Europa mehr tun müsse für seine Verteidigung. Dies geschehe jetzt aber auch im Rahmen der Nato.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert seit langem, dass sich Europa unabhängiger von der Supermacht USA machen sollte und hat Deutschland und anderen EU-Partnern wiederholt Gespräche zur atomaren Abschreckung in der EU angeboten.