Die Frage, die uns in letzter Zeit am häufigsten gestellt wird: "Warum steigen die Anleiherenditen?"
Nachdem wir diese Frage in vielen Gesprächen beantwortet haben, ist es an der Zeit, unsere Gedanken dazu schriftlich festzuhalten – damit Sie einen besseren Überblick erhalten. Die Antwort wird Ihnen helfen, die Ursachen des Anstiegs der Anleiherenditen besser zu verstehen und – noch wichtiger – eine Einschätzung darüber zu gewinnen, wann sich dieser Trend wieder umkehren könnte.
Während Aktienkurse kurzfristig oft von der Stimmung der Anleger beeinflusst werden, basiert der Anleihemarkt in weitaus stärkerem Maße auf wirtschaftlichen Fundamentaldaten. Da Zinssätze in einer stark verschuldeten Wirtschaft wie der unseren die Kosten für Kapital bestimmen, beeinflussen sie direkt die wirtschaftliche Aktivität und die Inflation. Deshalb sind Wirtschaftswachstum, Inflation und Staatsanleiherenditen eng miteinander verknüpft.
Trotzdem spielt auch die Stimmung der Anleger im Anleihemarkt eine Rolle und kann die Renditen beeinflussen – allerdings auf messbare Weise. Im Anleihemarkt spricht man in diesem Zusammenhang von der sogenannten "Laufzeitprämie" oder "Laufzeitabschlag".
Die Laufzeitprämie beschreibt den zusätzlichen Renditeaufschlag, den Investoren für das Halten langfristiger Anleihen verlangen, um sich gegen Unsicherheiten wie steigende Inflation oder schwächeres Wachstum abzusichern. Der Laufzeitabschlag hingegen deutet darauf hin, dass Investoren bereit sind, niedrigere Renditen für langfristige Anleihen in Kauf zu nehmen, wenn sie davon ausgehen, dass wirtschaftliche Risiken eher zu sinkenden Zinsen führen könnten.
Die Analyse dieser Prämie oder Abschläge – und vor allem das Verständnis der zugrunde liegenden Marktstimmung – ist entscheidend, um bewerten zu können, ob der Markt über- oder untertreibt. Die entscheidende Frage lautet also: Bleibt die Laufzeitprämie oder der Abschlag auf dem aktuellen Niveau, oder gibt es Anzeichen für eine Normalisierung? Wenn die Stimmung von übertriebenen Einschätzungen geprägt ist, entstehen mitunter Chancen, von einer Korrektur zu profitieren.
Genau aus diesem Grund möchten wir Ihnen erklären, warum die Anleiherenditen aktuell steigen – und was dahintersteckt.
Unser fundamentales Renditemodell
Wir haben ein proprietäres Renditemodell entwickelt, das auf nur zwei zentralen Faktoren basiert: Inflation und Wirtschaftswachstum. Trotz seiner Einfachheit liefert das Modell ausgesprochen zuverlässige Ergebnisse.
- Inflation: Unser Modell nutzt die Inflationserwartungen der Cleveland Fed, das sowohl reale Inflationsdaten als auch markt- und umfragebasierte Einschätzungen berücksichtigt. Diese umfassende Kombination aus aktuellen und erwarteten Preisentwicklungen zeichnet ein vollständiges Bild der Inflation.
- Wirtschaftstätigkeit: Hier greifen wir auf das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) zurück. Das reale BIP blendet den Einfluss von Preisänderungen aus und bietet somit eine präzise Einschätzung der Wirtschaftsleistung.
Die nachfolgende Grafik zeigt diese beiden Inputs im Vergleich zu den Renditen der 10-jährigen US-Staatsanleihen. Die Inputs sind bewusst in blassen Farben dargestellt, um den Fokus auf die Summe der beiden Faktoren (in Schwarz) und ihre Korrelation mit den Anleiherenditen (in Grün) zu legen.
Das Schaubild verdeutlicht bereits eine solide Korrelation zwischen den beiden Einflussfaktoren und den Renditen. Um unser Modell jedoch weiter zu verfeinern, haben wir eine multiple Regressionsanalyse durchgeführt. Dabei zeigt sich ein interessanter Zusammenhang mit einem R² von 0,9702 – ein ausgesprochen hoher Wert, der auf eine nahezu perfekte Anpassung des Modells hinweist.
Die beiden nachstehenden Abbildungen illustrieren diesen starken Zusammenhang noch deutlicher, sowohl statistisch als auch visuell.
Modell der Renditeerwartungen
Das Liniendiagramm, das die erwartete Modellrendite mit den tatsächlichen Renditen vergleicht, zeigt eine Modellrendite von 3,78 % im Vergleich zur tatsächlichen Rendite von 4,57 %.
Die Differenz von 0,79 % stellt die sogenannte Laufzeitprämie dar. Das Balkendiagramm im ersten Schaubild sowie der orangefarbene Punkt im Streudiagramm setzen diese Prämie in einen historischen Kontext und verdeutlichen, wie ungewöhnlich oder typisch diese Abweichung ist.
Im Streudiagramm sind die Werte aus den Jahren 2018-2019 grün hervorgehoben, um zu verdeutlichen, welche Richtung die 10-jährigen Renditen einschlagen könnten, wenn sich die Wirtschaftstätigkeit und die Inflation weiter normalisieren und die Laufzeitprämie verschwindet. In einem solchen Szenario könnten die 10-jährigen Renditen in den Bereich von 2-3 % fallen.
Bei einer angenommenen Restlaufzeit von acht Jahren für diese Anleihen würden Anleger Kursgewinne zwischen 12 und 20 % erwarten, zusätzlich zu jährlichen Kuponzahlungen von über 4 %.
Wie lässt sich Stimmung bewerten?
Die New Yorker Fed beschreibt den Begriff "Prämie" als:
"Die Entschädigung, die Anleger für die Übernahme des Risikos verlangen, dass sich die Zinssätze während der Laufzeit der Anleihe ändern können."
Einfacher gesagt: Es handelt sich um die zusätzliche Rendite, die Anleger als Ausgleich für das Risiko fordern, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Zinssätze ändern könnten. Diese Prämie spiegelt also die Stimmung am Anleihemarkt wider.
Wir sind der Meinung, dass es viele Faktoren gibt, die die aktuelle Prämie beeinflussen – doch zwei davon sind vermutlich die ausschlaggebendsten:
Hohe Defizite
Der Markt ist mit Treasuries überschwemmt, sagen einige Experten – eine Aussage, der wir nicht grundsätzlich widersprechen, die jedoch im Kontext betrachtet werden muss.
In den letzten fünf Jahren (2020–2024) stiegen die US-Bundesschulden um beachtliche 12,2 Billionen USD, was einem jährlichen Anstieg von fast 9 % entspricht. Zum Vergleich: In den zehn Jahren davor wuchsen die Schulden um 2 Billionen USD weniger, trotz des doppelt so langen Zeitraums.
Ökonomen ziehen häufig den Vergleich zwischen Schulden und Bruttoinlandsprodukt (BIP), um das Ausmaß der Verschuldung einzuordnen. Wie das nachstehende Schaubild zeigt, stieg die Schuldenquote des Bundes im Jahr 2020 sprunghaft an, was hauptsächlich durch pandemiebedingte Fiskalmaßnahmen bedingt war. Seitdem hat sie sich jedoch teilweise normalisiert und bleibt seit 2022 relativ stabil. Entscheidend ist, dass die Wirtschaft gleichzeitig wuchs und somit die Fähigkeit, die Schulden zu finanzieren, erhalten blieb.
Für den Anleihemarkt ist nicht nur der Umfang der Schulden relevant, sondern auch deren Laufzeit. Finanzministerin Janet Yellen hat in ihrer Amtszeit die Finanzierung der Defizite umgestellt. Wie aus einer Analyse von Robbert van Batenburg im Bear Traps Report hervorgeht, wurden langfristige Schulden zunehmend durch kurzfristige Anleihen ersetzt. Rund 30 % der US-Schulden entfallen nun auf kurzfristige Anleihen mit einer Laufzeit von zwei Jahren oder kürzer – im Vergleich zu nur 15 % im Jahr 2023.
Yellen passte diese Strategie an die starke Nachfrage nach kurzfristigen Anleihen an und reduzierte gleichzeitig die Ausgabe von langfristigen Schuldtiteln, da diese weniger nachgefragt wurden. Ihr Ziel: das Angebot an den Markt anzupassen, um die Finanzierungskosten für den Staat sowohl kurzfristig als auch langfristig niedrig zu halten.
Der Ansatz birgt jedoch Risiken. Sollten die kurzfristigen Renditen bei Fälligkeit steigen, könnten die Refinanzierungskosten deutlich höher ausfallen. Auf der anderen Seite könnte sich die Strategie auszahlen, falls die Renditen fallen und die kurzfristigen Schulden zu niedrigeren Zinsen auf längere Laufzeiten umgeschichtet werden können. Yellen setzt dabei auf einen Rückgang der Zinssätze in der Zukunft.
Unabhängig davon, wie der Markt ihre Entscheidungen bewertet, hat Yellen bei der Steuerung des Angebots an langfristigen Schuldtiteln solide Arbeit geleistet. Trotz der hohen Defizite haben sich die Auswirkungen auf langfristige Anleiherenditen als weniger gravierend erwiesen, als viele ursprünglich befürchtet hatten.
Eine Änderung dieser Strategie durch einen neuen Finanzminister könnte jedoch eine erneute Analyse erforderlich machen, da sich die Dynamik des Anleihemarktes entsprechend verändern könnte.
Mehr Inflation
Ein weiterer Faktor, der die Anleiherenditen belastet, ist die anhaltende Angst vor Inflation. Auch wenn dieses Thema ausführlich diskutiert wurde, lohnt es sich, zwei zentrale Punkte zusammenzufassen:
Erstens war der Inflationsschub im Jahr 2022 und dessen Nachwirkung fast ausschließlich eine Folge unterbrochener Lieferketten und knapper Warenbestände – begleitet von einer hohen Nachfrage durch umfangreiche staatliche Konjunkturmaßnahmen. Diese Kombination aus steigender Nachfrage und begrenztem Angebot führte zwangsläufig zu inflationärem Druck. Mittlerweile hat sich die Situation jedoch weitgehend normalisiert, und ein erneutes Auftreten dieses Szenarios erscheint äußerst unwahrscheinlich.
Zweitens lässt sich die aktuelle „Hartnäckigkeit“ der Inflation vor allem auf den Kostenfaktor Wohnen zurückführen. Im Verbraucherpreisindex (VPI) macht Wohnen mehr als ein Drittel des Gesamtindex aus. Das Problem dabei: Die im VPI erfassten Wohnkosten hinken der Realität oft hinterher, da Mietverträge in der Regel nur langsam angepasst werden und die zur Berechnung herangezogenen Wohnungspreise Verzögerungen aufweisen. Ohne diesen verzögerten Einfluss liegt der VPI bereits in einem ähnlichen Bereich wie 2018–2019. Sollte die tatsächliche Inflation bei den Wohnkosten nahe null liegen, dürfte sich der VPI bald wieder dem 2%-Ziel der US-Notenbank annähern.
Andere Szenarien, die eine anhaltend hohe Inflation erwarten lassen, erachten wir als unwahrscheinlich – es sei denn, es käme zu einem unerwarteten Anstieg der Wirtschaftstätigkeit oder zu deutlich höheren Staatsausgaben. Angesichts der derzeitigen weltweiten wirtschaftlichen Abkühlung ist es jedoch wahrscheinlicher, dass der Inflationsdruck weiter nachlässt.
Fazit
Warum also steigen die Anleiherenditen? Im 4. Quartal stieg die Rendite der 10-jährigen US-Treasuries um 62 Basispunkte. Davon waren 52 Basispunkte auf eine steigende Laufzeitprämie zurückzuführen, während lediglich 10 Basispunkte auf die wirtschaftliche Aktivität und die Inflation entfielen.
Der sprunghafte Anstieg der Laufzeitprämie lässt sich auf zwei zentrale Faktoren zurückführen: Sorgen über das Haushaltsdefizit und die anhaltende Inflation. Interessanterweise ergibt sich aus dieser Situation eine Chance: Selbst wenn sich die fundamentalen Rahmenbedingungen nicht ändern, könnten längerfristige Anleihen eine attraktive Rendite abwerfen, sobald die Prämie wieder sinkt.
Darüber hinaus könnten diese Renditen im Falle einer Rezession, einer wirtschaftlichen Schwäche und/oder einer Rückkehr zu einer Inflation von 2 % oder weniger noch höher ausfallen.
Für Anleiheinvestoren könnte Geduld also belohnt werden, sobald sich die Fundamentaldaten stabilisieren und die Laufzeitprämie zurückgeht. Bis dahin bleibt jedoch vor allem die Marktstimmung – und weniger die harten Wirtschaftsdaten – der treibende Faktor für die Zinssätze.