NÜRNBERG/BONN/BERLIN (dpa-AFX) - Zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres kämpfen in Deutschland viele junge Menschen mit Startschwierigkeiten in Ausbildung und Berufsleben. Ein Mangel an Beratungsangeboten und Praktikumsplätzen erschwerte die Berufsorientierung während der Corona-Pandemie. Das wirkt nach und führt dazu, dass vielen jungen Leuten die Auswahl schwer fällt und sie Entscheidungen hinausschieben, wie Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der Deutschen Presse-Agentur sagte. Die Folgen zeigen sich auch auf dem Ausbildungsmarkt, wo zuletzt nach jüngsten Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) noch 177 000 Plätze unbesetzt waren.
Vor allem an der Schnittstelle zwischen Schulen und Unternehmen hapert es aus Sicht des IAB-Direktors: So sei es trotz starker Personalengpässe weiterhin nicht einfach, einen Praktikumsplatz im Wunschberuf zu finden. Obwohl Ausbildungsmessen und ähnliche Angebote wieder so wie vor der Pandemie stattfinden können, hätten es Unternehmen noch immer schwer, mit Schülerinnen und Schülern in Kontakt zu treten. "Hier müssten Schulen und Betriebe noch stärker aufeinander zugehen, unterstützt von der Bundesagentur für Arbeit und lokalen Akteuren", so Fitzenberger. Die Berufsorientierung sollte zudem in den Lehrplänen aller Schulformen fest verankert werden.
Die schulischen Leistungsstände hätten sich während der Pandemie zwar etwas verschlechtert, doch bekämen angesichts des Fachkräftemangels jetzt auch mehr leistungsschwächere Jugendliche Chancen seitens der Betriebe als in der Vergangenheit. Bei Bedarf bietet die BA Unterstützung über eine Assistierte Ausbildung oder die Einstiegsqualifizierung - das sind bezuschusste sozialversicherungspflichtige Langzeitpraktika, über die sich Arbeitgeber und potenzielle Azubis näher kennenlernen und die jungen Menschen auch Leistungsrückstände aufholen können. Hier sollten auch die Berufsschulen gut eingebunden werden, erklärte Fitzenberger. "Diese Maßnahmen sind jedoch noch zu wenig bekannt und werden zu wenig genützt."
Ähnliche Erfahrungen hat man bei der vom Bundesbildungsministerium geförderten Initiative "Vera" gemacht. Sie will junge Leute fit fürs Berufsleben machen und drohende Ausbildungsabbrüche verhindern. Durch die Pandemie sei die Unsicherheit bei vielen jungen Menschen gewachsen, sagt auch Vera-Leiterin Astrid Kloos. Relativ viele von ihnen benötigten Beistand, doch seien die Möglichkeiten zu wenig bekannt und auch zu unübersichtlich. "Viele wissen schon einmal gar nicht, was es an Berufen gibt." Deshalb entschieden sie sich dann für einen der klassischen Ausbildungsgänge wie Kfz-Mechatroniker/-in oder Verkäufer/-in - obwohl das vielleicht gar nicht ihren Neigungen und Stärken entspreche. Dabei habe sich gerade auch beim Ausbildungsangebot sehr viel getan, "das müssen die Jugendlichen wissen", sagte Kloos.
Seit Ende 2008 bringt die Initiative ehrenamtliche Fachleute im Ruhestand mit Auszubildenden mit Unterstützungsbedarf zusammen. Über ein 1:1-Coaching begleiten die Fachleute sie auf dem Weg ins Berufsleben - ob bei Schwierigkeiten in der Berufsschule, Stress im Ausbildungsbetrieb oder anderen Problemen. Schon mehr als 21 000 junge Menschen habe man in dieser Zeit unterstützt - mit einer Erfolgsquote von 75 Prozent, sagt Kloos. Dabei bemisst sich die Quote am Erreichen individueller Ziele, die jedes Tandem aus Coach und Azubi miteinander festlegt - ob es um den Abschluss der Ausbildung oder eine Notenverbesserung in der Berufsschule geht. Wer Unterstützung sucht, kann sich über die Vera-Website dafür anmelden - das Angebot sei niedrigschwellig und kostenlos.
Neben solchen Hilfen für Auszubildende sollten auch Betriebe und Berufsschulen überlegen, wie sie den jungen Menschen den Einstieg erleichtern können - von niedrigeren Hürden für Jugendliche, die keine 1er-Abschlüsse vorweisen können über eine faire Bezahlung bis hin zur Konzeption von Prüfungen, sagte Kloos. "Oft sind beispielsweise Prüfungsaufgaben so geschrieben, dass sie kein Mensch versteht" - und das bei einem hohen Anteil an Auszubildenden mit ausländischen Wurzeln.
Auch in den Unternehmen stellt man sich derweil immer stärker auf junge Menschen mit Startschwierigkeiten ein, wie der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Achim Dercks, sagt. "Unsere aktuelle DIHK-Ausbildungsumfrage zeigt: 80 Prozent der Ausbildungsbetriebe haben Angebote, um junge Menschen mit Defiziten zu fördern und in Ausbildung zu bringen. 35 Prozent haben sogar ein eigenes Nachhilfeangebot." Drei von vier Ausbildungsbetriebe wollten zudem ihre Angebote in der beruflichen Orientierung weiter ausbauen. So soll es künftig mehr Schülerpraktika geben - 61 Prozent der Betriebe planen dies der Umfrage zufolge.
Für dieses Ausbildungsjahr zeigte sich Dercks insgesamt zuversichtlich - auch wenn die Lage am Ausbildungsmarkt nach wie vor angespannt sei. Hier schlage vor allem der demografische Wandel durch, durch den es rund 100 000 weniger Schulabgängerinnen und
-abgänger gebe als noch vor zehn Jahren. "Umso erfreulicher ist, dass
sich die Zahl der Ausbildungsverträge im IHK-Bereich zuletzt positiv entwickelt", erklärte Dercks. "Insgesamt bestehen gute Aussichten, dass 2023 mehr Betriebe und Azubis über einen Ausbildungsvertrag zueinander finden als im Vorjahr.