WANGELS (dpa-AFX) - Die G7-Gruppe der führenden demokratischen Industrienationen will sicherstellen, dass die Ukraine trotz des russischen Angriffskriegs ein bedeutender Getreideexporteur bleiben kann. Man berate gemeinsam darüber, wie man die von Russland ausgeübte Getreideblockade brechen und ukrainisches Getreide in die Welt bringen könne, sagte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Donnerstag zu Beginn von Beratungen mit Kolleginnen und Kollegen aus den anderen G7-Staaten in Weißenhäuser Strand an der Ostsee. Derzeit seien wegen des Kriegs 25 Millionen Tonnen Getreide in ukrainischen Häfen blockiert, insbesondere in Odessa.
Deutschland hat derzeit den Vorsitz der G7-Gruppe. Der Runde gehören neben der Bundesrepublik die Nato-Staaten USA, Kanada, Frankreich, Großbritannien und Italien sowie Japan an.
Das Getreide werde dringend in afrikanischen Ländern und im Nahen Osten gebraucht, sagte Baerbock. Am Himmel braue sich eine Ernährungskrise zusammen, die durch die globalen Klimaauswirkungen noch einmal verschärft werde. Die Ukraine zählt weltweit zu den wichtigsten Getreidelieferanten. So war sie 2021 nach Zahlen der Welternährungsorganisation der UN noch drittgrößter Exporteur von Gerste und fünftgrößter Exporteur von Weizen.
Kurz vor Baerbock hatte bereits die EU-Kommission vor einer gefährlichen Situation gewarnt. "20 Millionen Tonnen Getreide müssen die Ukraine in weniger als drei Monaten verlassen", sagte die für Verkehr zuständige EU-Kommissarin Adina Valean in Brüssel. Das Getreide drohe die Lagerstätten zu blockieren, die für die nächsten Ernten benötigt würden. Die Ukraine kann wegen der durch Russland blockierten Häfen im Schwarzen Meer derzeit nicht wie früher exportieren. Die EU-Kommission will deswegen nun den Transport über den Landweg - also über Straße und Schiene - erleichtern.
Die Ukraine wirft Russland auch vor, ukrainische Getreidelager geplündert und Agrarprodukte ins eigene Land gebracht oder vernichtet zu haben. Russlands Präsident Wladimir Putin kündigte am Donnerstag an, dass er in diesem Jahr eine Rekordernte beim Weizen erwartet und die Exporte steigern will. Russland ist einer der größten Getreideproduzenten weltweit mit einer wichtigen Rolle für die Welternährung.
Baerbock sagte, es sei Putins Ziel, "diesen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ebenso dafür zu nutzen, die Weltgemeinschaft zu spalten". Dem stelle sich die G7-Gruppe entgegen. Solidarisch stehe man an der Seite der Ukraine und an der Seite aller Länder, "die unter den brutalen Folgen dieses Angriffskrieges leiden". Baerbock ergänzte: "Deswegen setzen wir heute ein deutliches Signal: Wir sehen euch, wir hören euch und wir unterstützen euch."
Zurückhaltend äußerte sich Baerbock zur ukrainischen Forderung nach der Lieferung westlicher Kampfjets. Sie verwies auf die bisherige Haltung zur Einrichtung von Flugverbotszonen. Auch zur Lieferung von "Flugmaterialien haben wir uns ja bereits deutlich positioniert". Bundesregierung und Nato sind strikt gegen die Einrichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine, da befürchtet wird, dass es bei deren Durchsetzung zu einer direkten Konfrontation zwischen der Nato und Russland kommen könnte. Dann bestünde die Gefahr, dass sich der Krieg in der Ukraine dramatisch ausweitet.
Bei ihrem Besuch in Kiew an diesem Dienstag habe sie "darüber gesprochen, wie wir die Ukraine unterstützen können, vor allen Dingen bei ihrer Wehrhaftigkeit, bei ihrer Verteidigungsfähigkeit, ohne dazu beizutragen, dass die Nato Kriegsteilnehmer in diesem Krieg wird", sagte Baerbock. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hatte kurz zuvor am Rande von Gesprächen in Berlin die Lieferung westlicher Kampfjets und Raketenabwehrsysteme für die Verteidigung seines Landes gegen Russland gefordert. An diesem Freitag soll Kuleba zeitweise am Treffen der G7-Außenminister an der Ostsee teilnehmen.
Die Entwicklungsorganisation One rief die G7-Gruppe auf, insbesondere auf die ärmsten Länder Rücksicht zu nehmen. Die Runde müsse ihrer Verantwortung gerecht werden "und sich diesen multiplen Krisen ganzheitlich und allumfassend widmen. Dabei dürfen die G7 Afrika nicht vergessen", sagte Stephan Exo-Kreischer, Direktor von One Deutschland, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Neben Kuleba wird auch der Außenminister von Moldau, Nicu Popescu, zeitweise bei dem Treffen an der Ostsee dabei sein. Es wird befürchtet, dass die kleine Nachbarrepublik der Ukraine das nächste Angriffsziel Russlands sein könnte.