FRANKFURT (dpa-AFX) - Der Krieg in der Ukraine, die hohe Inflation und die gestiegenen Zinsen haben dem steilen Wachstum des Online-Brokers Flatexdegiro (ETR:FTKn) 2022 ein jähes Ende gesetzt. Nach dem Rekordjahr 2021 handelten Anleger deutlich weniger Wertpapiere, die Zahl der Transaktionen brach um mehr als ein Viertel ein. Besserung ist nicht in Sicht. "Wann genau wir wieder eine Belebung der Handelsaktivität von Privatanlegern sehen werden, bleibt abzuwarten", sagte Vorstandschef Frank Niehage bei der Vorlage der vorläufigen Jahreszahlen am Montag nach Börsenschluss in Frankfurt. Fortschritte sieht er bei dem jüngsten Ärger mit der Finanzaufsicht Bafin: Das Unternehmen wolle die gerügten Mängel noch in diesem Jahr beheben.
Am Finanzmarkt wurden die Nachrichten positiv aufgenommen: Nachdem die Flatexdegiro-Aktie am Montag bis Börsenschluss schon mehr als viereinhalb Prozent gewonnen hatte, legte sie im nachbörslichen Handel auf der Plattform Tradegate um weitere acht Prozent auf 7,99 Euro zu. Seit dem Rekordhoch von knapp 30 Euro vom Juli 2021 war es für das im SDax notierte Papier lange abwärts gegangen.
Dabei hatte die Corona-Krise dem Online-Broker einen nie gekannten Boom beschert. Immer mehr Kunden handelten auf den Plattformen von Flatexdegiro mit Wertpapieren. Im Jahr 2021 sprang die Zahl der Transaktionen um mehr als ein Fünftel auf 91 Millionen nach oben. Doch mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, der grassierenden Inflation in vielen Ländern und der Anhebung der Leitzinsen durch die großen Notenbanken brach das Geschäft ein.
Im abgelaufenen Jahr wuchs die Zahl der Kundenkonten bei Flatexdegiro zwar netto noch um rund gut 16 Prozent auf rund 2,4 Millionen. Doch die Zahl der Transaktionen ging im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 26 Prozent auf 67 Millionen zurück. Der Umsatz sank um 2,5 Prozent auf 407 Millionen Euro, und der um Sonderposten bereinigte operative Gewinn (Ebitda) sackte um 18 Prozent auf 145 Millionen Euro nach unten. Immerhin schnitt Flatexdegiro damit besser ab als Anfang Dezember vorhergesagt.
Da hatte der Vorstand seine Jahresprognosen spürbar eingedampft. Letztlich ging die bereinigte operative Marge (Ebitda) im Vergleich zum Vorjahr zwar von 42,4 auf 39,3 Prozent zurück, lag aber deutlich über der gekappten Jahresprognose von 37 Prozent.
Unter dem Strich verdiente Flatexdegiro mit gut 106 Millionen Euro mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Die Ursache für den Anstieg ist jedoch nicht gerade positiv: Weil der Aktienkurs im vergangenen Jahr so stark gesunken war, musste das Unternehmen Rückstellungen für aktienbasierte Vergütungen seiner Mitarbeiter auflösen. Dies trieb den Gewinn nach oben. Ohne solche Sondereffekte wäre der Überschuss um rund 19 Prozent auf knapp 79 Millionen Euro gesunken.
Wann das Geschäft mit dem Aktienhandel wieder anzieht, wagte Niehage nicht vorherzusagen und verwies auf die Notenbanken der USA und der Eurozone: "Zu sehr ist dies bedingt durch die geopolitische Situation sowie die erwarteten Zinsschritte von Fed und EZB." Immerhin: Die hohen Zinsen kommen dem Online-Broker an anderer Stelle zugute. So stiegen die Einlagen der Kunden auf den Konten des Konzerns im vergangenen Jahr um 15 Prozent auf 3,2 Milliarden Euro, woran auch Flatexdegiro mitverdient. Auch 2023 erhofft sich Niehage von höheren Zinseinnahmen einen positiven Beitrag zum operativen Gewinn.
Die Handelsaktivität der Kunden dürfte im laufenden Jahr auf dem Niveau der vergangenen drei Quartale verharren, schätzt er. Dennoch will er die Zahl der Kunden deutlich anderthalbmal bis doppelt so stark steigern wie die Konkurrenz. Zudem gebe es das Potenzial, den Umsatz auf bereinigter Basis leicht zu steigern und dabei eine operative Marge oberhalb der Marke von 40 Prozent zu erreichen. Damit dies gelingt, will Flatexdegiro auch an den Marketingausgaben sparen.
Allerdings hat der Online-Broker noch weitere Probleme zu lösen. Nachdem die deutsche Finanzaufsicht Bafin Flatexdegiro einer Sonderprüfung unterzogen und im Herbst Mängel in der Organisation und der Unternehmensführung festgestellt hatte, ist ein Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Verstößen in den Jahren 2020 und 2021 zwar abgeschlossen. Dafür musste das Unternehmen nun ein Bußgeld von gut einer Million Euro bezahlen.
Zudem hatte die Bafin wegen der Mängel auch die Eigenmittelanforderungen erhöht. Das Unternehmen bezog sich in der Mitteilung nun auf Wertpapierkredite, die von seiner Sparte Degiro begeben wurden. Dort seien die Strategien zur Risikominderung wegen "prozessualer Schwächen temporär nicht anwendbar", hieß es. Das Unternehmen treibe die Behebung dieser Mängel "mit Hochdruck voran". Die erfolgreiche Umsetzung der notwendigen Maßnahmen solle noch im Jahr 2023 erreicht werden, hieß es.
Bereits vollzogen ist die Vergrößerung des Vorstands. Dem Vorstandschef Frank Niehage steht der frühere Finanzvorstand Muhamad Said Chahrour als Stellvertreter und Leiter des Tagesgeschäfts (COO) zur Seite. Die Finanzen managt nun Benon Janosm, und der zweite neue Vorstandsposten wird von Stephan Simmang als Chief Technology Officer (CTO) ausgefüllt.