BERLIN (dpa-AFX) - Vor einem Spitzentreffen der Regierungskoalition zu den gestiegenen Preisen für Energie und Lebensmittel fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund einen monatlichen Zuschlag für alle Hartz-IV-Empfänger. Dies sei sozialpolitisch dringend geboten, damit Armut nicht verschärft werde, sagte die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi der Funke-Mediengruppe.
Überdies forderte die Gewerkschaftschefin einen Preisdeckel für den "Grundbedarf" bei Strom und Gas. Dies würde alle Privathaushalte schnell entlasten und gleichzeitig das Energiesparen anregen. "Denn wer über diesen Grundbedarf hinaus verbraucht, zahlt dann umso mehr." Angesichts steigender Preise und der gedrosselten Gasversorgung aus Russland brauche es "unbedingt" ein weiteres Entlastungspaket für die Bürger, sagte Fahimi.
Der Koalitionsausschuss von SPD, Grünen und FDP tagt an diesem Mittwoch. Beraten wird über mögliche Maßnahmen im Kampf gegen die Preissteigerungen in den kommenden Wochen. Eine Presseunterrichtung im Anschluss war zunächst nicht geplant.
Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) warnte vorab, der Staat könne nicht alles für alle ausgleichen. Er sagte dem "Stern": "Ich sehe ganz grundsätzlich keine Spielräume, Menschen zu entlasten, die ein sehr hohes Einkommen haben." Er sei aber offen, über eine gezielte Entlastung unterer und normaler Einkommen zu reden. "Wir müssen die Folgen der Preisentwicklung gezielt für die Menschen abfedern, für die sie wirklich eine existenzielle Bedrohung ist."
Finanzminister Christian Lindner (FDP) schwor die Bürger angesichts steigender Preise infolge des Ukraine-Kriegs auf eine lange Phase mit Entbehrungen ein. "Meine Sorge ist, dass wir in einigen Wochen und Monaten eine sehr besorgniserregende Situation haben könnten", sagte Lindner am Dienstagabend im ZDF-"heute journal". Es gehe um drei bis vier, vielleicht fünf Jahre der Knappheit. "Es besteht die Gefahr einer sehr ernstzunehmenden Wirtschaftskrise aufgrund der stark gestiegenen Energiepreise, aufgrund der Lieferketten-Probleme, aufgrund auch der Inflation." Oberstes Ziel müsse nun sein, die Inflation zu stoppen. "Nicht nur wegen der Wirtschaft, sondern weil viele Menschen auch Sorgen haben, ob sie das Leben bezahlen können."
Der DGB forderte, deswegen den Grundfreibetrag in der Einkommenssteuer umgehend auf mindestens 12 800 Euro zu erhöhen. "In einer solchen Zeit der Krisen kann es nicht allein der Lohnpolitik aufgebürdet werden, Kaufkraftverluste zu verhindern und soziale Härten abzufedern", sagte Fahimi.
Vorbereitet werden soll vom Koalitionsausschuss auch die "Konzertierte Aktion", die Kanzler Olaf Scholz (SPD) am 1. Juni angekündigt hatte. Dabei soll am 4. Juli gemeinsam mit Spitzenvertretern der Arbeitnehmer und Arbeitgeber beraten werden, wie die Preisentwicklung in den Griff zu bekommen ist.
Seit einigen Tagen pumpt Russland deutlich weniger Gas nach Deutschland - die Versorgungslage ist daher laut Bundesnetzagentur angespannt, und die Preise sind hoch. Auch Lebensmittel sind in den knapp vier Monaten nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine deutlich teuer geworden.
Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Andreas Jung schlug einen gemeinsamen "Kraftakt" von Bund, Ländern und Kommunen vor. Dabei müssten öffentliche Gebäude Vorbild sein, dort müsse ab sofort bei Kühlen, Heizen und Beleuchtung strikt gespart werden - "vom Kanzleramt in Berlin bis zum Rathaus um die Ecke", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Da komme "richtig was zusammen".
Der Vize-Fraktionschef der Union, Jens Spahn, sagte den Funke-Zeitungen: "Es braucht nachhaltige und gezielte Entlastungen, wo die Preise am höchsten sind." Er schlug unter anderem Energiegutscheine vor, die "Energiesparen und Geldsparen verbinden". Zudem plädierte Spahn für eine Absenkung der Stromsteuer.
Der Co-Chef der SPD-Linken, Sebastian Roloff, sagte dem "Handelsblatt" vor dem Koalitionsausschuss: "Ich könnte mir eine Fortsetzung des 9-Euro-Tickets oder ähnliche Modelle, wie zum Beispiel das 365-Euro-Jahresticket, vorstellen." Er plädierte zudem für "Tankgutscheine für Pendler", die noch gezielter wirkten als der Tankrabatt.
Der Bund der Steuerzahler und der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) warnten die Koalition davor, die Schuldenbremse im kommenden Jahr erneut auszusetzen. Sie sei kein beliebiges politisches Symbol, sondern Ausdruck eines fairen Miteinanders der Generationen und einer tragfähigen Haushaltspolitik, sagte Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, der Funke-Mediengruppe. Er forderte, dass die Ampel-Koalition nun wie vereinbart überflüssige, unwirksame und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben abbauen müsse.