Investing.com - Die türkische Lira stürzte am Freitag um mehr als 3 % auf ein Rekordtief ab und weitete damit ihre Verluste aus. Die große Zinserhöhung der Zentralbank konnte die Märkte nicht davon überzeugen, dass Präsident Tayyip Erdogan seine seit langem verfolgte unorthodoxe Politik aufgeben würde.
Mit einem historischen Tiefstand von 25,8083 gegenüber dem Dollar erreichte die türkische Landeswährung einen weiteren Negativrekord. Auf Jahressicht steht ein Minus von fast 28 % zu Buche. Zuletzt konnte die Lira jedoch ihre Verluste etwas eindämmen und stabilisierte sich leicht.
Am Donnerstag erhöhte die Zentralbank ihren Leitzins um satte 650 Basispunkte auf 15 %. Damit blieb sie jedoch deutlich hinter den marktseitigen Erwartungen einer stärkeren Straffung zurück, die nach Ansicht von Analysten ein langfristiges Engagement im Kampf gegen die Inflation verdeutlicht hätte.
"Obwohl es sich um einen Schritt in die richtige Richtung zurück zu einer orthodoxeren Geldpolitik handelte, enttäuschte das Ausmaß der Anpassung die Markterwartungen und löste einen erneuten Ausverkauf türkischer Vermögenswerte und der Lira aus", so die Finanzexperten von MUFG.
Nach ihrer ersten Sitzung unter der neuen Gouverneurin Hafize Gaye Erkan, die Erdogan nach seinem Wahlsieg im vergangenen Monat ernannt hatte, erklärte die Zentralbank, dass sie "zeitnah und graduell" weitere Schritte unternehmen werde.
Der neue Finanzminister Mehmet Simsek, der an den Finanzmärkten einen hohen Stellenwert genießt, bekräftigte die Botschaft des Kurswechsels mit den Worten: "Der Weg zur Preisstabilität wird graduell, aber beständig sein."
Daten von Investing.com legten nahe, dass die Marktteilnehmer mit einer Zinserhöhung auf mindestens 21 % gerechnet hatten.
Die Experten von MUFG äußerten die Ansicht, dass es noch zu früh sei, um einen signifikanten Zustrom von Kapital in die Türkei aufgrund des politischen Kurswechsels zu erwarten, der zur Stützung der Lira auf schwächeren Niveaus beitragen könnte. Daher seien die Risiken für die türkische Währung weiterhin erheblich.
Die Commerzbank (ETR:CBKG) nannte als Voraussetzung für eine Stabilisierung der Lira die wiederholte Verpflichtung des Präsidenten, an diesem neuen politischen Kurs festzuhalten, bis er erfolgreich sei. Laut der Bank werde selbst eine umfangreiche Zinserhöhung allein nicht ausreichen, um die Lira zu stabilisieren.
Erdogan, der nach seiner Wiederwahl vor wenigen Wochen eine Wende seiner umstrittenen Geld- und Finanzpolitik signalisiert hat, ist weithin bekannt für seine feindselige Haltung gegenüber hohen Zinsen. Diese Ansicht gründet sich auf seine unorthodoxe wirtschaftliche Überzeugung, die von einigen als "Erdoganomics" bezeichnet wird.
Der türkische Präsident betrachtete bis vor Kurzem hohe Zinsen als Hindernis für das Wirtschaftswachstum und die Kreditvergabe. Seiner Meinung nach führen hohe Zinsen zu höheren Kreditkosten, die wiederum die Investitionen dämpfen und Unternehmen daran hindern, Kredite aufzunehmen, um ihr Geschäft auszubauen. Erdogan argumentierte, dass niedrige Zinsen das Wirtschaftswachstum ankurbeln und den Bürgern zugutekommen, indem sie den Zugang zu günstigen Krediten erleichtern.
Diese Ansicht steht jedoch im Widerspruch zu den Grundlagen der konventionellen Wirtschaftstheorie und den Empfehlungen von Ökonomen. In der Regel wird angenommen, dass hohe Zinsen dazu beitragen, die Inflation zu bekämpfen, die Währung zu stabilisieren und Kapitalflucht zu verhindern. Durch die Anhebung der Zinsen kann die Zentralbank die Geldmenge begrenzen und somit die Inflation eindämmen.
Erdogans Abneigung gegen hohe Zinsen hat in der Vergangenheit zu Spannungen mit der türkischen Zentralbank geführt. Die Unabhängigkeit der Zentralbank wurde mehrmals in Frage gestellt, da Erdogan versuchte, die Geldpolitik nach seinen eigenen Vorstellungen zu lenken. Diese Einmischung in die Zentralbankpolitik hat das Vertrauen der Investoren in die türkische Wirtschaft geschwächt und zu erheblichen Währungsturbulenzen geführt.
Obwohl Erdogan nach den letzten Wahlen im vergangenen Monat eine neue Gouverneurin für die Zentralbank ernannt hat, bleibt abzuwarten, ob er seine unkonventionelle wirtschaftliche Philosophie aufgeben wird. Die jüngste Zinserhöhung der Zentralbank war ein Schritt in die richtige Richtung, aber es bleibt fraglich, ob Erdogan bereit ist, eine orthodoxere Geldpolitik zu verfolgen, um das Vertrauen der Märkte zurückzugewinnen.
Die Diskrepanz zwischen Erdogans Ansichten und den traditionellen wirtschaftlichen Prinzipien stellt die Türkei vor erhebliche Herausforderungen. Die Märkte werden weiterhin genau beobachten, wie sich die politischen Entwicklungen in der Türkei entfalten und ob Erdogan bereit ist, seinen Standpunkt wirklich zu überdenken, um das Wohl der türkischen Wirtschaft zu fördern.