Investing.com - Die türkische Lira markierte am Donnerstag gegen den Euro und den US-Dollar neue Tiefs und setzte damit ihren Abwertungstrend fort. Er scheint vorerst nicht zu stoppen zu sein. Notwendig dafür wären höhere Zinsen in der Türkei und niedrigere Inflationsraten im Vergleich zu anderen Ländern.
Die türkische Lira scheint keinen Boden zu finden. Mit Kursen bis zu 0,0904 Euro je TRY sind und waren am Freitag so wenige Einheiten der europäischen Gemeinschaftswährung notwendig, um eine Einheit der türkischen Lira erwerben zu können, wie noch nie zuvor.
Angesichts der gestrigen Zinssenkung der türkischen Zentralbank um 200 Basispunkte scheint der Abwertungstrend der türkischen Lira nicht aufzuhalten zu sein. Und: Experten rechnen mit weiteren Zinsschritten zur Unterseite.
"Die gestrige Entscheidung hat den Verfall der Währung weiter beschleunigt", sagte Capital Economics in einer Notiz. "In den kommenden Monaten rechnen wir mit weiteren Zinssenkungen, die sich auf zusätzliche 400 Basispunkte bis Mitte nächsten Jahres belaufen und den einwöchigen Reposatz auf 12 Prozent bringen."
Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb ein Ende der Talfahrt der türkischen Lira noch nicht in Sicht ist.
Zwar rechnet das Londoner Forschungsinstitut mit einem leichten Rückgang der Inflation in den kommenden Monaten, sie werde sich aber im zweistelligen Bereich in den nächsten Jahren halten.
"Das ist wesentlich höher als die Inflationsraten, die wir für die meisten anderen Länder prognostizieren, was auf eine weitere Abwertung des nominalen Wechselkurses der Lira hindeutet", hieß es in der Notiz weiter.
Die Verbraucherpreise in der Türkei hatten sich im September um 19,58 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat erhöht. So hoch stand die Teuerungsrate zuletzt im März 2019. Zum Vergleich: in Europa erreichte die Rate laut Eurostat zuletzt 3,4 Prozent.
Wenn der nominale Wechselkurs nicht parallel zum Inflationsgefälle abwertet, führt dies zu einer Aufwertung des realen Wechselkurses der Türkei und schadet damit der Wettbewerbsfähigkeit des Landes im internationalen Handel. Dieser Faktor spielte bei der Abwertung der Lira in den letzten Jahren eine zentrale Rolle, und die Analysten von Capital Economics gehen davon aus, dass er auch künftig eine wesentliche Rolle bei der Kursentwicklung spielen wird.
Ein weiterer Faktor, der die türkische Lira in den kommenden Monaten weiter unter Druck lassen könnte, ist die schwache außenwirtschaftliche Position der Türkei, was das Risiko einer weiteren Zahlungsbilanzkrise erhöht.
"Während der vorangegangenen Krise im Jahr 2018 wertete die Lira gegenüber dem Dollar signifikant ab. Angesichts der Gefahr einer ähnlichen Entwicklung liegt das Risiko für die Lira eher auf der Unterseite", schreiben die Analysten.
Der dritte und letzte Grund, warum die Lira ihren brutalen Abwertungstrend fortsetzen dürfte, ist das Fehlen entsprechender Mittel der türkischen Zentralbank, um die Lira durch Interventionen überhaupt verteidigen zu können. Nicht nur befinden sich ihre Nettodevisenreserven auf einem historischen Tiefstand, sie sind sogar negativ, wenn man die umfangreichen Devisenswapgeschäfte berücksichtigt.
Somit sei der "gezielte Einsatz von Reserven zur Stützung der Währung, wie es die politischen Entscheidungsträger in den letzten Jahren gelegentlich getan haben, keine praktikable Option", wie Capital Economics feststellte.
Zwar sehen die Analysten bis zum Jahresende die Türkische Lira zum US-Dollar konstant bei 9,50 Dollar, bis Ende 2022 könnte der Wechselkurs aber bis auf 10,5 Dollar abwerten - mit dem Risiko einer noch umfangreicheren Abwertung der türkischen Landeswährung.
"Das Risiko tendiert ganz klar zu einem unkontrollierten Absturz. Dies wiederum könnte die Verantwortlichen zur Einführung von Kapitalverkehrskontrollen zwingen und die Gefahr einer weiteren Zahlungsbilanzkrise wie im Jahr 2018 erhöhen."
Um weitere Verwerfungen zu vermeiden, müsste die Zentralbank in erster Linie die Zinsen erhöhen. Außerdem müsste die Türkei aktiv Maßnahmen gegen die Inflation ergreifen und ihre kurzfristigen Auslandsschulden abbauen. Nur wenn diese Bedingungen zusammenkommen, dürfte sich auch das Vertrauen in die türkische Lira stabilisieren und eine sich immer weiter zuspitzende Währungskrise abschwächen lassen.
So lange dafür keine Anzeichen erkennbar sind, dürften die aktuellen Trends anhalten, die türkische Lira dürfte gegen den Euro und den US-Dollar weiter deutlich an Wert verlieren. Zumindest so lange, bis sich die türkische Zentralbank und die Regierung endlich dagegen wehren.